Welches taktische Kalkül SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen dazu gebracht hat, Neuwahlen zu arrangieren, und weshalb die CDU sich darauf eingelassen hat, darüber kann man rätseln. Die juristische Begründung dafür war windig. Aber nun steht der «Gang zur Urne» an, und das Wahlvolk wird mit einer Parteienwerbung belästigt, die ganz überwiegend peinlich wirkt. Das ermuntert nicht gerade dazu, sich an dem Wahlakt zu beteiligen.
Die Piraten stellen dabei eine Ausnahme dar – nicht weil sie programmatisch eine klar umrissene und überzeugende Alternative zu den bisherigen Landtagsparteien darstellen, sondern weil sie neu im Angebot sind. Sie haben mangels Gelegenheit noch nichts falsch gemacht, also kommt der Verdruss an den «Altparteien» ihnen zugute. Außerdem geht es bei ihnen, wie sich das bei der Freibeuterei gehört, ziemlich ungeordnet zu. Das wirkt sympathisch angesichts der erstarrten Formen des Politikgeschäfts bei anderen Parteien.
SPD und Grüne sind guter Hoffnung, dass sie eine Mehrheit bekommen, mit der sie auf fallweise Hilfe anderer Parteien nicht mehr angewiesen sind. So ganz sicher ist das aber nicht. Und wenn es danebengeht, steht neuen Partnerschaften beim Regieren prinzipiell nichts im Wege: Die SPD würde auch mit der CDU, die CDU mit den Grünen oder der SPD, die grüne Partei mit der CDU eine Koalition bilden. Und die FDP würde, falls sie denn doch wieder in den Landtag kommt, zur Juniorbeteiligung an jeder Regierung bereit sein.
Das Fatale an einer solchen Wahl ist: Wenn man die Stimme abgegeben hat, ist sie weg – und wer jetzt in NRW die SPD, die CDU, die Grünen oder auch die FDP wählt, weiß nicht, welcher Regierung er damit in den Sattel hilft, möglicherweise exakt jener regierenden Koalition, die er vermeiden wollte.
Die Rolle einer parlamentarischen Opposition ist bei SPD/CDU/Grünen (und FDP) höchst unbeliebt, sie gilt ihnen – um Münteferings Wort aufzugreifen – als mistig. Gerät eine dieser Parteien dann doch auf die Oppositionsbank, fühlt sie sich wie im Wartestand fürs Regieren oder Mitregieren.
Das hat Folgen für die Inhalte parlamentarischer Aktivität, negative. Der allgemeine Drang zur «Regierungsfähigkeit» verdrängt die Austragung gesellschaftspolitischer Konflikte, die Auseinandersetzung zwischen Parteien wird zur Pseudokonkurrenz. Ob die Piraten sich diesem Muster von Parlamentarismus einfügen werden, lässt sich derzeit nicht voraussagen. Ministersessel haben Anziehungskraft.
Bleibt in den Blick zu nehmen die Partei Die Linke. Wenn sie wieder in den NRW-Landtag kommt, wird sie als einzige eine wirkliche Opposition darstellen. In Gefahr, durch Aufnahme in die Regierung politisch «erzogen» zu werden, ist sie in diesem Bundesland nicht. SPD und Grüne haben in NRW keinerlei Neigung zu einem solchen Versuch. Und auch unter bundespolitischem Aspekt ist jeder Gedanke an ein «linkes Lager» unsinnige Gedankenspielerei.
Der gegenwärtige Zustand der Linkspartei im Format des Bundes ist nicht dazu angetan, sich nun mit Begeisterung für diese zu engagieren. Allzu sehr ist diese Partei mit ihren personellen Binnenkonkurrenzen beschäftigt, viel zu bemüht sucht sie nach Anerkennung in der gutkapitalistischen Medienwelt, manche in ihrer Führungsschicht sind von dem Wunsch geleitet, endlich im herrschenden Politikbetrieb «anzukommen», von den Regierenden als «gesellschaftsfähig» akzeptiert zu werden. Und trotz aller Beteuerungen, das Bündnis mit sozialen Bewegungen anzustreben, ist die Linkspartei in ihrer Praxis aufs Parlamentarische fixiert. Aber wer eine Partei wählt, legt damit kein Glaubensbekenntnis ab, geht auch keineswegs die Verpflichtung ein, zur Politik dieser Partei Ja und Amen zu sagen.
Um von der Landtagswahl in NRW zu reden: Wenn die Linkspartei wieder ins Parlament kommt, wird damit außerparlamentische Bewegung nicht weniger notwendig. Bleibt diese Partei jedoch ohne Wahlerfolg, werden die kommerziellen Medien und die politische Klasse dies als Niederlage aller linken Ideen und Initiativen feiern, auch derjenigen außerhalb von Parlamenten – als «Stimmungstest», der ihrer Politik Recht gibt. Und im Landtag von NRW wird es dann keine Abgeordneten mehr geben, die gesellschaftspolitische Alternativen öffentlich machen – das Parlament des wichtigsten Bundeslands wird ohne soziale Opposition dastehen.
Meine persönliche Meinung: Der Linkspartei gehöre ich nicht an (und habe meine Gründe dafür) – aber Abgeordnete dieser Partei gehören in den NRW-Landtag. Von selbst kommen sie dort nicht hinein. Deshalb werbe ich dafür, zu wählen und der Linken die Stimme zu geben. Und auch jede Gelegenheit zu nutzen, diesen Rat zum Wahlverhalten zu verbreiten.
Freudig verbreiten Agenturen jetzt die Nachricht, umfragewertig sei die Linkspartei in NRW ohne Chance, zu Mandaten zu kommen. Aber Demoskopen sind keine Propheten, und man kann ihnen einen Strich durch ihre Rechnung machen.
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