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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012
Volksbegehren unerwünscht
von Friedrich Kastner

Der Berliner Senat will das Volksbegehren «Rettet unsere S-Bahn» verzögern und Fakten schaffen.

Mitte letzten Jahres starte der Berliner S-Bahn-Tisch die erste Stufe für ein Volksbegehren «Rettet unsere S-Bahn». Konkretes Ziel ist u.a., den Einsatz von Personal und Wagenkapazitäten zu erhöhen, eine tarifliche Entlohnung der S-Bahn-Beschäftigten zu sichern und die Verträge zwischen dem Land Berlin und der S-Bahn offenzulegen.

32000 Berlinerinnen und Berliner haben das Volksbegehren unterstützt, die erste Stufe konnte somit erfolgreich abgeschlossen werden. Im Februar verkündete der Berliner Senat das Volksbegehren jedoch wegen juristischer Bedenken für ungültig und hinterlegte eine Klage beim Landesverfassungsgericht.

Breites Bündnis gegen den Senat

Der Berliner S-Bahn-Tisch hält das Agieren des Senats für reine Verzögerungstaktik. Und in der Tat: Im Juli soll die offizielle Ausschreibung von Teilstrecken des S-Bahn-Betriebs beginnen. Hier würde das Volksbegehren ein reibungsloses Ausschreibungsverfahren stören. Der juristische Winkelzug verschafft dem Senat Spielraum, um an seinem eigentlich Ziel festzuhalten: der Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn.

Wieder einmal macht die Berliner SPD damit deutlich, dass ihr Parteitagsbeschlüsse nichts bedeuten. Der Landesparteitag der SPD hatte eindeutige Beschlüsse gegen eine Teilausschreibung der S-Bahn gefasst. Gleichzeitig hatte die bis zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18.September 2011 verantwortliche Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer bereits vor der Wahl in der SPD-Mietgliederzeitung Berliner Vorwärts für eine Teilausschreibung der S-Bahn plädiert.

Derzeitig gibt sich die SPD in Berlin als Partei, die um eine Meinung ringt. Realistisch ist aber, dass sie ihren Privatisierungskurs fortsetzt und die Debatten wie immer eher Scheingefechte zur Basisberuhigung sind.

Das Vorgehen des Senats ist nicht neu: Auch andere Volksbegehren wurden mit gleichen Maßnahmen behindert, wenn sie erfolgreich waren. Hinzu kommt beim S-Bahn-Volksbegehren, dass SPD und CDU die Zusammensetzung des Berliner S-Bahn-Tischs ganz und gar nicht schmeckt. Die Debatte um die S-Bahn hat bei den Berliner Eisenbahnern die Haltung gegen jegliche Privatisierung verstärkt. Erstmalig bei einem Volksbegehren engagieren sich Beschäftigte und soziale Bewegungen gemeinsam. Und: neben Attac, Fahrgastverbänden, Vereinen und Parteien zählen auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und fast alle Fraktionen im Betriebsrat der S-Bahn zu den Unterstützern des Volksbegehrens. Diese Konstellation hat damit gute Grundlagen, etwas zu bewegen.

Zweifelhafte Argumente

Bekräftigt wird die Einschätzung des Berliner S-Bahn-Tischs durch den Senat selbst bzw. seine Argumentation bei der Ablehnung des Volksbegehrens. So hatte der Senat Bedenken angemeldet wegen der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei Veröffentlichung der Verkehrsverträge. Nur wenige Tage später wurden die Verträge ohne Schwärzungen vom Senat selbst veröffentlicht. Hat sich in dieser kurzen Zeitspanne die Rechtslage geändert?

Weiterhin stellte der Senat in seiner Ablehnungsbegründung fest: «Bezüglich künftiger Verkehrsverträge hängt die Erfüllbarkeit der Forderungen davon ab, ob sich ein Unternehmen findet, das die Vorgaben akzeptieren würde. Auch dies lässt sich nicht per Gesetz beschließen.» Das heißt im Klartext: Das S-Bahn-Volksbegehren stört beim Teilverkauf der S-Bahn. Das heißt aber auch: Die Interessen von Privatinvestoren haben absolute Priorität.

Nicht zuletzt argumentiert der Senat mit scheinbaren Sachzwängen wie zum Beispiel: Die geforderten Wagenkapazitäten seien aus technischen Gründen nicht möglich. Das Volksbegehren fordert aber nichts anderes, als die Wagenkapazitäten mit einer entsprechenden Reserve auf den Stand des Jahres 2005 zu bringen – also auf den Stand, als der Betrieb noch gewährleistet war. Die Notwendigkeit dieser Forderung unterstreicht der ständige Ausnahmezustand im S-Bahn-Betrieb.

Die im S-Bahn-Tisch zusammengeschlossenen Organisationen sehen das Volksbegehren als ein Mittel zur Mobilisierung im Kampf gegen die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn. Gleichzeitig betonte die stellvertretende Vorsitzende der EVG Berlin, Katrin Dornheim, in einem Interview: «Volksbegehren ... können nur ein Mittel sein, um von außen auf die politisch herrschenden Parteien Druck zu entfalten. Letztlich müssen die Menschen begreifen, dass sie ihre Belange selbst in die Hand nehmen müssen, wenn sich etwas verändern soll.»

Von strategischer Bedeutung wird dabei sein, dass insbesondere die S-Bahn-Beschäftigten die Sache in die Hand nehmen und dabei auch nicht vor betrieblichen Kampfmaßnahmen zurückschrecken.

Der Autor ist Beschäftigter der DB AG und Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, Nachfolgegewerkschaft von Transnet).

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