Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2012
Für die Investoren «nicht signifikant»
von Angela Huemer

Ein verseuchtes Nigerdelta, gigantische Tankerhavarien in Alaska, vor der Bretagne, am Persischen Golf, verölte Strände im Golf von Mexiko – und nun das Riesengasleck in der Nordsee. Die Risiken der Öl- und Gasförderung in großen Tiefen sind nicht beherrschbar.Seit 25.März strömen auf der Elgin-Plattform des Ölkonzerns Total täglich rund 200000 Kubikmeter Gas aus. Ende März erklärte Philipp Guys, der Grossbritannien-Verantwortliche des französischen Mineralölunternehmens, auf einer Pressekonferenz, man habe schon ab dem 25.Februar einen veränderten Druck festgestellt. Doch erst am 25.März wurde die Plattform eilig geschlossen und die Arbeiter evakuiert, man hatte Angst vor einer Explosion. Schon im gesamten vorigen Jahr gab es Probleme mit der Gasförderung an genau dieser Stelle. Das Leck liegt rund 4000 Meter unter dem Meeresboden. Die Plattform befindet sich 250 km vor Ostküste Schottlands, das Meer hat hier eine Tiefe von rund 100 Metern.

Keine Sorge...

Im englischsprachigen Raum verbreiteten sich rasch Vergleiche mit dem Unglück auf der Ölplattform Deepwater-Horizon im Golf von Mexiko, das sich gerade in diesen Tagen zum zweiten Mal jährte. Doch allseits gab es Entwarnung: Erstens ist die Nordsee nicht so tief wie der Golf von Mexiko, zweitens ströme ja «nur Gas» aus, drittens habe der tägliche Ausstoß schon abgenommen – «und überhaupt», ist man versucht zu sagen.

Am 11.April zitierte die BBC den schottischen Umweltminister Richard Lochend: Wasser- und Sedimentproben, die zwei Meilen vom Bohrturm entfernt entnommen worden waren, hätten ergeben, dass die Folgen für die Meeresumgebung minimal seien. Greenpeace-Sprecher Christoph von Lieven relativiert die Aussage, bestimmte Kohlenstoffverbindungen hätten die schottischen Umweltschützer gar nicht untersucht. Solche Untersuchungen wären zwar schwierig, aber doch dringend notwendig. Und 50% der Rückstände seien laut schottischer Untersuchung eh nicht identifizierbar.

Auf der Webseite seekingalpha.com, die sich an Börseninvestoren richtet, spielt Thomas Lott, seines Zeichens ehemaliger Hedgefonds-Manager und nunmehr Investor, die Schäden durch das Leck auf der Elgin-Plattform herunter: «Das Gas blubbert an die Oberfläche und evaporiert.» Also: «keine Reinigungskosten und wohl auch überhaupt keine Umweltauswirkungen».

Tja. Greenpeace Deutschland hat dazu Dr.Hans-Jochen Luhmann von Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie befragt. Dieser weist zuallererst darauf hin, dass die Schätzung von 200.000 Kubikmetern pro Tag (und auch die Hinweise auf den derzeit geringeren Ausstoß) von Total selbst stammen. und ergänzt: Sobald Methangas an die Oberfläche «blubbert», entsteht ein Klimaeffekt, denn Methangas ist sehr «klimawirksam», d.h. klimaschädlich.

Der aktuelle Ausstoß entspricht etwa der einer mittleren Erdölraffinerie. Dazu kommt, dass nicht nur Gas austritt. Christoph von Lieven von Greenpeace erklärte gegenüber der Redaktion, es sei auch ein sog. Gaskondensat, eine benzolhaltige Flüssigkeit, ins Meer gelangt. Greenpeace hat nahe der Elgin-Plattform Proben entnommen (die Ergebnisse waren erst nach Redaktionsschluss verfügbar und sind auf www.greenpeace.de veröffentlicht). Dabei bemerkten die Aktivisten deutlich einen Ölfilm auf dem Wasser – eine Erinnerung daran, dass auch bei reibungsloser Ölförderung auf den Plattformen immer Öl ins Meer gelangt.

Hans-Jochen Luhmann weist im Gespräch mit Greenpeace darauf hin, dass Exxon im Jahr 1990 aus Versehen ein Methanfeld anbohrte. In der Folge traten 2,7 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre – das Leck ist bis heute nicht abgedichtet.

...die Rendite ist sicher

In einem Kommentar für die Taz spricht Manfred Kriener von «Schamfristen»: Nach deren Verstreichen gehe die Öl- und Gasgewinnung munter weiter, in immer tieferen Meeresregionen. Solche Schamfristen gibt für die Investoren gar nicht. Interessanterweise finden sich die ausführlichsten Informationen sowohl zum Leck, als auch zu Total und zu den Folgen des Unfalls auf Internetseiten, die sich an die Geschäftswelt richten.

Elliott Gue vermerkt auf seekingalpha.com, nun wären Anteile von Total zum «bargain price», zum Spottpreis, zu haben und eine Rendite von 6% möglich. Das Leck koste Total zwar rund 2,5 Mio. Dollar  – darin eingerechnet sind allerdings laut Lieven von Greenpeace eine Million entgangener Verdienste, das sind keine realen Kosten –, doch man muss sich vor Augen halten, dass Total auf 19 Mrd. Dollar Cash sitzt, für Schäden an der eigenen Ausrüstung in Höhe von einer Milliarde Dollar versichert ist und für Schäden anderer Art nochmal in Höhe von 750 Mio. Dollar.

Sein Kollege Thomas Lott, der frühere Hedgefonds-Manager und aktuelle Investor, weist darauf hin, dass Total zu den sechs größten Öl- und Gaskonzernen der Welt gehört – neben Exxon, Shell, BP, Chevron und Conoco. Auch wenn das Leck 2,5 Mio. Dollar pro Tag kostet, rechnet er, wären das auf ein halbes Jahr hochgerechnet nur 450 Mio. Dollar – offenbar Peanuts für diese Art von Konzernen.

Öl und Gas
Ende April hat Total nun die Genehmigung für Entlastungsbohrungen erhalten, außerdem will man das Leck stopfen, indem man von oben Schlamm hineinpumpt. Total versichert zudem, das Leck sei gar nicht so schlimm, weil es schon seit einem Jahr nicht mehr richtig genutzt worden sei und da gar nicht mehr so viel Gas drin sei.

Der Investment-Berater Elliott Gue erwähnt wenigstens, dass nicht nur Gas austritt, sondern auch das bereits genannte Kondensat, das den Ölfilm auf der Meeresfläche verursacht. Das wäre jedoch nicht genug, um «signifikante Langzeitauswirkungen auf die Umwelt» zu haben. Bleibt die Frage, was genau er mit signifikant meint.

Auf einer anderen Businessseite, gCaptain («World Leader in Maritime and Offshore News»), erfährt man, dass eine der Auswirkungen eventuell ein höherer Ölpreis sein könnte. Denn durch die Schließung der Elgin-/Franklin-Plattform, auf der sowohl Gas als auch täglich 60.000 Tonnen Rohöl gefördert werden, hätten sich Frachtschiffe verspätet und Lieferungen von sogenanntem Forties-Rohöl seien abgesagt worden – das ist eine Ölsorte, die für die Bestimmung des Barrel-Preises eine wichtige Rolle spielt.

Weitere Verzögerungen in der Öllieferung entstanden durch ein kleineres Feuer auf einer Plattform der kanadischen Ölfirma Nexen auf der Buzzard North Sea Platform am Wochenende des 21.April. Als darüber berichtet wurde, war das Feuer schon wieder aus, und Öl ist wohl auch keins ins Meer gedrungen. Angesprochen auf diesen weiteren Unfall erklärte mir Christoph von Lieven von Greenpeace, dass solche Unfälle fast nie Schlagzeilen machen, «davon gibt es rund 400 im Jahr – von denen wir erfahren».

«Weltweit hat das niemand im Griff», Christoph von Lieven meint die Öl- und Gasforderungen auf dem Meer weltweit. Ein großes Problem sei die Tatsache, dass man eigentlich nur von den Unterzeichnern des Oslo-Abkommens von Havarien und Unfällen erfährt. Das Abkommen von 1972 regelt das Einbringen bzw. Einleiten von Stoffen in die Hohe See. Was auf russischen oder chinesischen Plattformen geschehe, wisse man beispielsweise überhaupt nicht – eine ziemlich beunruhigende Tatsache.

Wichtig zu wissen ist auch, dass die Konzerne nur für Schäden haften, die auf hoher See passieren, ab 22 km vor der Küste haftet dann das jeweilige Land. Mit oder ohne Schamfrist, das Bohren geht munter weiter und stets erteilen die jeweiligen Regierungen bereitwillig die Genehmigungen dafür.

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