von Jochen Gester
In Frankfurt am Main wird gegenwärtig gewerkschaftliches Neuland betreten. Die Beschäftigten des Clubs Behinderter und ihrer Freunde (CeBeeF) haben einen offenen Arbeitskampf eingeleitet, es ist der erste dieser Art für diese Berufsgruppe.
Die in der Persönlichen Assistenz für Menschen mit Behinderungen Beschäftigten unterstützen Behinderte darin, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Entweder sind sie bei ambulanten Diensten angestellt und werden nach Rücksprache mit den Assistenznehmern zugewiesen, oder die Behinderten sind selbst ihre Arbeitgeber.
Vor dem Hintergrund einer wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen und der politisch gewollten Ausweitung ambulanter Versorgung ist diese Beschäftigtengruppe in den letzten Jahren stark gewachsen. Der Umfang der möglichen Assistenznehmer nähert sich langsam der Millionengrenze. Die Zahl der bekannten Persönlichen Assistenten ist hingegen mit gut 10.000 Beschäftigten überschaubar.
Dies ist kein Grund für Wehrlosigkeit. Im November 2008 gründete sich die Unabhängige Arbeitnehmervertretung in der Persönlichen Assistenz (UAPA) und drückte im Folgejahr durch eine ungewöhnliche Aktion ihren Protest gegen Dumpinglöhne und prekäre ungeregelte Arbeitsbedingungen aus: In einem sog. «Scheiß-Streik» wurden Kotröhrchen an Verbände und Parteien geschickt, die für diesen Zustand verantwortlich sind bzw. davon profitieren.
Die Beschäftigten
Für Slave Cubela, der jahrelang in diesem Bereich tätig und auch als Betriebsrat aktiv war, gibt es bei den Beschäftigten im wesentlichen vier Gruppen: Studierende, in den 80er und 90er Jahren noch die Mehrheit, schätzen vor allem die zeitliche Flexibilität. Dann gibt es die Gruppe der «Umtriebig-Kreativen», die diese Arbeit mit anderen Projekten verbinden und an der Arbeit vor allem den für die Behinderten emanzipativen Charakter schätzen. Die zuletzt am stärksten gewachsene Gruppe ist die der «Dazuverdiener», darunter viele Mütter, die über eine hohe Sozialkompetenz verfügen. Schließlich kommen auch Leute aus den Sozial- und Pflegeberufen, die aus Arbeitsbereichen fliehen, die kaum auszuhalten sind.
Die übergroße Mehrheit besitzt trotz aller Kritik an der unzureichenden Honorierung ihrer Leistung eine hohe Arbeitsmotivation. Das damit einhergehende Verantwortungsgefühl für die Assistenznehmer machte eine intensive Diskussion darüber nötig, wie unter diesen Bedingungen ein Arbeitskampf geführt werden kann. Nach Informationen eines UAPA-Treffens 2008 unterstützten damals in den Betrieben, in denen UAPA-Mitglieder tätig sind, 2000 Assistenten 520 Hilfebedürftige.
Die Frankfurter CeBeeF gehört mit 530 Beschäftigten, die in Pflege, Assistenz, Schulbegleitung und Fahrdienst eingesetzt sind, zu einer der größten Einrichtungen. Die dort Beschäftigten verdienen zumeist 9,31 Euro in der Stunde, seit mehr als zehn Jahren haben sie keine Gehaltserhöhung mehr bekommen. Das ist 40% unter Tarif, so dass sie auch bei Vollzeitarbeit auf Hartz IV, weitere Jobs oder auf die Unterstützung durch Partner oder die Familie angewiesen sind.
Die Geschäftsleitung
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen im Frankfurter Betrieb gelang es Anfang 2011, die Geschäftsleitung zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit Ver.di zu bewegen. Ende 2011 führten sie schließlich zu dem Ergebnis, dass die CeBeeF einwilligte, am 1.Juli 2012 den TVöD zu übernehmen. Bis zur endgültigen Unterschrift unter den Vertrag wurde eine ungewöhnlich lange Erklärungsfrist bis zum 31.März 2012 vereinbart.
Doch Anfang April überraschte die Geschäftsleitung mit der Erklärung, sie werde jetzt nicht, «vielleicht später» unterschreiben. Das «Restrisiko» ungeklärter Refinanzierung sei zu groß. Damit verbrämt sie nur ihre beabsichtigte Flucht aus der Verantwortung, in konsequenten Verhandlungen mit den Kostenträgern eine tarifgerechte Refinanzierung durchzusetzen, und sei es notfalls im sog. Schiedsstellenverfahren.
Denn es ist gesetzlich geregelt, dass der jeweilige Arbeitgeber für die nachgewiesene Erbringung der vertraglich vereinbarten Dienstleistungen von den Kostenträgern «refinanziert» wird. So dürfte der überwiegende Teil der Kosten von der Stadt Frankfurt zu tragen sein, vermittelt über die Sozialhilfe (SGB XII), sprich: Grundsicherung für «dauerhaft voll erwerbsgeminderte» Schwerstbehinderte (u.ä.) und Leistungen der Eingliederungshilfe.
Andere Kosten werden von der Pflegeversicherung (SGB XI) übernommen, oder über einen Vertrag für die Integrationsassistenz behinderter Schüler nach SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) aufgebracht. Last but not least hatte die Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am 1.März 2012 einen Tariftreuebeschluss gefasst, nachdem die Belegschaft zusammen mit den Gewerkschaftskollegen des Frankfurter «Netzwerks Soziale Arbeit» genug öffentlichkeitswirksamen Rabatz gemacht hatten.
Der Streik
Im März leiteten die CeBeeF-Kollegen zwei Arbeitsniederlegungen im Rahmen der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes ein. Am 19.April gelang der erste ganztägige Warnstreik für einen Haustarifvertrag, er wurde durch ganztägige Betriebsversammlungen an den Folgetagen weitergeführt. Am 24.April und zuletzt am 2.Mai wurde erneut die Arbeit verweigert. Am 1.Mai war der Protest der Assistenten Teil der gewerkschaftlichen Maidemonstration.
Auf ihren bisherigen Arbeitskampf können die Kollegen stolz sein. Das Ergebnis all dieser Aktionen ist, dass ein neues Angebot der Geschäftsleitung vorliegt, das am 15.Mai auf einer Ver.di-Mitgliederversammlung diskutiert wurde. Da die CeBeeF sich nun bereit erklärt, bis zum 31.Mai den Tarifvertrag zu unterschreiben, beschlossen die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, bis Ende des Monats eine Streikpause einzulegen. Gleichzeitig wurde für den 1.Juni eine weitere Ver.di-Mitgliederversammlung einberufen, auf der die Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik eingeleitet werden soll, falls der Arbeitgeber seine Zusage nicht einhält. Ist der Tarifvertrag unterschrieben, gibt es eine Party.
Weitere Infos unter www.cebeefstreik.com sowie www.labournet.de/branchen/dienstleistung/gw/pflege.html.
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