Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2012

von Angela Klein

Der 6.Mai hat eine Bresche in die Bastion namens Merkozy-Europa geschlagen: Der eine Häuptling ist bereits gefallen, die zweite wankt. Mehr und mehr rücken ihre ausländischen Freunde von Merkel ab, in Sorge, ihr Strategie könnte die Bastion zum Einsturz bringen und weltweit ein Beben auslösen. Selbst auf die treuen Angelsachsen ist kein Verlass mehr.

Der nachrückende französische Häuptling ist in Sachen Sparpolitik ein unsicherer Kantonist. Er steht zwischen Baum und Borke: Er muss den Kapitalanlegern das Vertrauen zurückgeben, dass sie Geld machen können, er muss dafür sorgen, dass auf ihrem Tummelplatz, den Märkten, wieder Ruhe und Sicherheit einkehren, und er muss gleichzeitig dafür sorgen, dass ihm dabei die Loyalität der Bevölkerung nicht abhanden kommt, sonst kippt die finanzielle und ökonomische Krise in eine politische Krise. Das ist seine Schwachstelle, denn diese Quadratur des Kreises ist unmöglich. Dieser Präsident wird bald mit Bewegungen konfrontiert werden, und er ist leichter unter Druck zu setzen als sein Vorgänger. Auf diesen Druck kommt es jetzt an.

In Griechenland ist der Fortschritt, der erreicht wurde, ein ganzes Stück größer. Dort ist das Wahlbündnis SYRIZA als die stärkste Kraft auf der Linken hervorgegangen – auf den Trümmern der sozialdemokratischen PASOK und der zersplitterten radikalen und revolutionären Linken. Alexis Tsipras, der Vorsitzende von SYRIZA, hat den Auftrag, eine Regierung zu bilden, angenommen und ist doch beim Hauptpunkt seines Programms geblieben: das Sparpaket für Griechenland für null und nichtig zu erklären. Das hat ihm das Ansehen eingetragen, dass er es ernst meint, und die Hoffnungen einer Mehrheit der griechischen Bevölkerung, dass eine Regierung unter seiner Führung in der Lage sein möge, einen Kurswechsel einzuleiten.

In den Meinungsumfragen steigt SYRIZA deshalb unaufhörlich: Derzeit wird das Bündnis bei 22% (Stand: 20.5.) gehandelt, Beobachter in Griechenland gehen davon aus, dass es bei den Neuwahlen am 17.Juni zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Nea Dimokratia kommen wird, die es trotz ihrer Wahlniederlage am 6.Mai geschafft hat, das rechte Lager erneut um sich zu scharen – beiden Parteien werden derzeit Werte um 30% vorhergesagt.

Zum erstenmal seit der Nelkenrevolution in Portugal 1975 ist in Europa eine Linke, die sich auf breite Massenmobilisierungen stützt, wieder nahe dran, eine Regierung bilden zu können. Die Hoffnungen, die sich in Griechenland und außerhalb daran knüpfen, sind enorm. Damit die Knospe aber aufgehen kann, braucht sie warmen Regen und Nährstoffzufuhr. Anders gesagt: Das kleine Griechenland, das mit einer Einwohnerzahl von nicht mal zwei Dritteln von NRW weniger als die Hälfte von dessen Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet, wird sich allein gegenüber der Troika nicht behaupten können – nicht mit dem Programm von SYRIZA, nicht mit dem Programm von ANTARSYA und auch nicht mit einer endlosen Kette von Generalstreiks.

Die griechische Bevölkerung steht eben nicht nur der eigenen Regierung und der griechischen herrschenden Klasse gegenüber, sondern zugleich der EU-Kommission in Brüssel, dem Zuchtmeister aus Berlin und den Geldsäcken aus London und Zürich. Der Schlüssel zur Lösung des griechischen Rätsels findet sich deshalb nicht in Delphi und auch nicht unter der Akropolis – aber vielleicht in Dublin?, wo am 31.Mai das Referendum über den Fiskalpakt stattfindet, vielleicht in Paris?, wo sich Initiativen wieder warm laufen, um zum dritten Mal nach Maastricht und Lissabon zu einer Massenbewegung für ein Referendum über die Europapolitik anzuheben. Und, wer weiß, vielleicht mittlerweile auch in anderen Ländern der EU?

Am Wochenende von Himmelfahrt fand in Frankfurt am Main eine mit 25.000 Teilnehmenden erfreulich starke, erfreulich bunte und erfreulich internationale Demonstration gegen die Spardiktate der Finanzmärkte und in Solidarität mit Griechenland statt. Seit den G8-Protesten in Genua 2001 und den Klimaprotesten in Kopenhagen 2009 hatten wir dergleichen nicht mehr gesehen.

Die Frankfurter Demonstration könnte der gelungene Auftakt zu einer neuen Welle europäischer Proteste und einer «neuen Debatte über Europa» sein – Auftakt endlich zu jenem Zusammenschluss von Mobilisierungen auf europäischer Ebene, ohne den jede Debatte über ein anderes Europa nur eine Stilübung bleibt.

Damit der Anspruch, Europa von unten «neu zu gründen», wie es in einem Aufruf von Gewerkschaftern heißt, für eine Mehrheit der Bevölkerungen Europas aber auch zu einer konkreten Perspektive wird, werden wir es beim Reden nicht bewenden lassen können. Wir müssen gemeinsam handeln, gemeinsam die Bastion des Merkozy-Europa zum Einsturz bringen.

Was böte sich dafür besser an, als der Fiskalpakt, jenes Machwerk, das nach dem Willen der Regierenden wieder einmal in Windeseile durch 17 Parlamente gepeitscht werden soll, und das in Europa nicht mehr einen Stein auf dem anderen ließe? Der Fiskalpakt, wenn er in allen Ländern ratifiziert würde, wäre das Todesurteil für die Griechen und für alle anderen EU-Länder der Strick, an dem sie aufgehängt werden. Ein konzertierter gemeinsamer Kampf, um den Fiskalpakt zu blockieren und seine Ratifizierung zu verhindern, wäre die wirksamste: nein, heute die einzig wirksame Solidarität mit Griechenland. Er würde die unsägliche Politik der Rettungspakete für die Banken stoppen und den Weg frei machen für solidarische Auswege aus der Krise.

Die Zeit drängt. Vor allem in Griechenland. Dort kann es nämlich passieren, dass aus den Wahlen am 17.Juni weder die Linke noch die Rechte als klarer Sieger hervorgehen. Dann befürchten unsere griechischen Freunde, dass die Rechte wieder zur Strategie der Spannung greift und Chaos stiftet, z.B. um einer militärischen Lösung den Weg zu ebnen. Die Faz vom 18.5. hat das Thema schon mal angetippt: «An internationale Schutztruppen, wie sie weiter nördlich zur Stabilisierung taumelnder Staaten stationiert sind, wird man hoffentlich nicht denken müssen.»

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