Fraktionsvorsitzender des Linksbündnisses SYRIZA, nach der Übernahme des Mandats zur Regierungsbildung am 8.Mai 2012
Die Wahlentscheidung vom 6.Mai lässt sich nicht beliebig interpretieren: Die überwältigende Mehrheit der Bürger hat gegen die barbarische Memorandenpolitik gestimmt [Memoranden heißen in Griechenland die von der Troika oktroyierten Kürzungspakete der Regierung].
3,3 Millionen Bürger sind den beiden Memorandumsparteien von der Fahne gegangen und haben damit die Pläne für die Ausarbeitung von 79 neuen Maßnahmen im Juni gestoppt, ebenso wie die Pläne zur Entlassung von 150.000 Menschen im öffentlichen Dienst und andere Maßnahmen im Umfang von 11 Milliarden Euro, die vom nächsten Monat an ausgearbeitet werden sollten.
Trotzdem versuchen einige, das Ergebnis zu ihren Gunsten auszulegen. Sie sprechen von sentimentalen Stimmen oder Wutstimmen. Sie irren sich. Es war eine reife, bewusste politische Entscheidung.
Das griechische Volk hat entschieden: weder 151 Sitze [von 300 Parlamentssitzen] noch 51% für die Parteien, die die Memoranden unterstützen. Das war eines unserer wichtigsten Wahlziele, wir haben es erreicht.
Die Memorandumsparteien haben keine Mehrheit im Parlament mehr für barbarische Maßnahmen gegen das griechische Volk. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung, ein sehr wichtiger Sieg für unsere Gesellschaft. Andererseits trennen nur ein paar tausend Stimmen und das antidemokratische Wahlrecht die linken und fortschrittlichen Kräfte von der Möglichkeit eines Mehrheitsmandats.
Trotzdem stoppt die Wahlentscheidung ganz eindeutig das Memorandum und die zustimmenden Briefe, die Herr Venizelos und Herr Samaras [Spitzenkandidaten von PASOK bzw. Nea Dimokratia] nach Europa und an den IWF geschickt haben, und bietet als erste Alternative eine Linksregierung an, die mit Memoranden und Unterwerfungskrediten Schluss macht.
In den vergangenen Tagen haben wir dennoch erlebt, wie sich die Memorandumsparteien und ein Teil der Medien vollständig der Linie des Unternehmerverbands SEV anpassen, der gestern eine Regierung der nationalen Rettung unter Beteiligung von SYRIZA und natürlich mit Unterstützung der Memorandumsparteien gefordert hat.
Demgegenüber stellen wir klar: An welche Verkaufstricks sie auch immer denken mögen, es besteht keine Chance, dass wir durch die Hintertür wieder einführen, was die Bevölkerung am Sonntag durch die Vordertür hinausgejagt hat.
PASOK und ND sollen aufhören, im Namen der nationalen Rettung wieder nach einer Regierung zu rufen, die das Memorandum und das Kreditabkommen erfüllt. Das wäre keine Regierung der nationalen Rettung, sondern eine Regierung zur Rettung des Memorandums. Das kann nicht unsere Sache sein.
Sollten Herr Venizelos und Herr Samaras tatsächlich ihre Meinung über die katastrophalen Entscheidungen, die die Gesellschaft zerstört haben, geändert haben, lade ich sie ein, bis morgen, wenn ich mit ihnen zusammentreffe, an die Führer der EU und der EU-Mitgliedstaaten einen Brief zu senden, in dem sie klar und eindeutig feststellen, dass die Zusicherungen, die sie in früheren Briefen gegeben haben, worin sie sich verpflichten, die Vorgaben des Marktes und des IWF und das barbarische zweiten Memorandums voll zu erfüllen, keine Gültigkeit mehr besitzen.
Wenn sie dies nicht tun, sollen sie aufzuhören, das griechische Volk zu betrügen, sie würden nicht einmal mehr die ihnen noch verbliebenen Wähler überzeugen.
Für uns gilt, nachdem wir das Mandat zur Prüfung der Möglichkeit einer Regierungsbildung erhalten haben: Wir werden genau so handeln, wie wir es vor den Wahlen versprochen haben. Wir bekräftigen unseren Vorschlag für eine Linksregierung.
Unser Programm und unsere Positionen zu entscheidenden Fragen wie der Neuverteilung der Steuerlasten, einem sozial gerechten Steuersystem, der Wiederaufrichtung der Produktivität des Landes und einem ökologischen Umbau sind jedermann bekannt.
All unsere Positionen und Vorschläge liegen auf dem Verhandlungstisch, auch solche, die von anderen linken Parteien kommen, wie die Vorschläge der KKE zum Schutz der Erwerbslosen oder für die Entschuldung privater Haushalte oder auch die Vorschläge anderer Kräfte, die mit unseren Positionen vereinbar sind.
Als Grundlage für den Dialog, den wir heute beginnen, möchte ich folgende Minimalpunkte hervorheben:
1. Sofortige Beendigung der Ausarbeitung der Memorandumsmaßnahmen, insbesondere der schändlichen Gesetze, durch die Gehälter und Renten noch weiter gekürzt werden sollen.
2. Aufhebung der Gesetze, die grundlegende Arbeitsrechte einschränken, insbesondere des Gesetzes das festlegt, dass ab dem 15.Mai die Tarifverträge keine Gültigkeit und keine Nachwirkungen mehr besitzen sollen.
3. Schritte zu einer sofortigen Veränderung des politischen Systems, um Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu stärken, angefangen mit einer Änderung des Wahlrechts, der Herstellung des vollen Verhältniswahlrechts und der Abschaffung des Gesetzes über die Ministerverantwortung.
4. Öffentliche Kontrolle des Bankensystems, das heute, obwohl es rund 200 Milliarden Euro in bar und in Garantien erhalten hat, noch immer in der Händen der Manager liegt, die es in den Bankrott getrieben haben. Wir fordern die Veröffentlichung des Black Rock Reports [siehe dazu den Artikel von Stephan Lindner, S.14]. Wir fordern die Transformation der Banken in ein Instrument zur Wirtschaftsentwicklung und zur Stärkung der kleinen und mittelständischen Unternehmen.
5. Schaffung eines öffentlichen Rechnungsprüfungskomitees, das die riesige Schuldenlast untersucht, ein Moratorium für die Rückzahlung der Schulden und die Forderung nach einer fairen und nachhaltigen europäischen Lösung.
Die Krise ist keine griechische Besonderheit. Sie ist eine europäische Krise und wir müssen nach einer Lösung auf europäischer Ebene suchen.
Mit diesen fünf Punkten kommen wir zu einer substanziellen und ehrlichen Diskussion, sowohl mit fortschrittlichen, linken und ökologischen Kräften, als auch mit der griechischen Bevölkerung. Diese Punkte sind unser Beitrag zur Diskussion darum, wie wir eine regierungsfähige Lösung finden.
Ich möchte hervorheben, dass uns die Regierbarkeit des Landes nicht kalt lässt. Vor allem aber sind wir in Sorge um die Richtung, die die Regierung einschlagen wird, ob sie den Wählerwillen respektiert und ob sie den Wahlentscheidungen entspricht oder ihnen völlig widerspricht, wie dies in den vergangenen zwei Jahren der Fall war.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.