Philipp Müller – erstes Todesopfer der BRD-Repression
von Arno Klönne
Die damals in Hamburg erscheinende Tageszeitung Die Welt meldete am 12.Mai 1952 in großer Aufmachung:»Getarnte FDJ schießt auf Polizei in Essen. Demonstration gegen Generalvertrag. Ein Toter und zahlreiche Verletzte.»
Diese Berichterstattung passte vorzüglich in die staatlicherseits arrangierte antikommunistische Propaganda – aber sie bediente sich einer krassen Lüge. Kein FDJler und überhaupt kein Demonstrant hatte geschossen. Opfer eines Schießbefehls der Polizei waren gegen die Wiederaufrüstung protestierende Jugendliche, der Tote war Philipp Müller, ein junger kommunistischer Arbeiter aus München.
Zu dem Treffen am 11.Mai in Essen unter dem Motto «Widersteht der Militarisierung!» hatte ein Aktionsbündnis aufgerufen, dem der Darmstädter protestantische Pfarrer Herbert Mochalski vorstand. Die schon verbotene FDJ wirkte darin mit, aber beteiligt waren ebenso kriegsgegnerische Gruppen aus der Naturfreundejugend, kirchlichen Jugendverbänden und Pfadfinderbünden.
Die Behörden hatten diese «Jugendkarawane» im letzten Moment unter fadenscheinigen Gründen verboten und Bereitschaftspolizei nach Essen beordert. Sie waren offenbar auf Konfrontation begierig, denn selbstverständlich konnten die von auswärts in Zügen und Bussen anreisenden Jugendlichen über das Verbot gar nicht mehr benachrichtigt werden, etwa 20.000 fanden sich in Essen ein und zogen rufend und singend zur GRUGA. Die Polizei ging brutal gegen sie vor, Schlagstöcke wurden eingesetzt, Demonstranten verprügelt, und als sich daraus Rangeleien entwickelten, wurde der Einsatz von Schusswaffen freigegeben.
Weshalb das nahezu hysterische Vorgehen der Organe des «Staatsschutzes»? Vorgeschoben war die Begründung, die 1949 gegründete westdeutsche Republik müsse vor einer gewaltsamen Überrumpelung durch aus Ostdeutschland gesteuerte Kommunisten bewahrt werden. Die noch legale KPD stellte aber in der Bundesrepublik keinen einflussreichen Faktor mehr da, die FDJ war bereits in die Illegalität verdrängt, und die sowjetische Politik, der die SED zu folgen hatte, machte 1952 gerade noch einmal den Versuch, mit dem Westen zu einer Vereinbarung über ein neutrales Gesamtdeutschland zu kommen.
Brisant war die Lage für die westdeutsche Regierung unter Konrad Adenauer aus einem anderen Grunde: Seit 1950 konnte kein Zweifel mehr daran sein, dass die Machteliten in der Bundesrepublik fest entschlossen waren, den westlichen Teil Deutschlands ökonomisch, politisch und militärisch in den nordatlantischen Block einzugliedern, um den Preis einer deutschen staatlichen Trennung. Die westdeutsche Wiederaufrüstung war der entscheidende Schritt auf diesem Weg, der «Generalvertrag» gab ihr den rechtlichen Rahmen.
Diese Politik einer erneuten Militarisierung, wenige Jahre nach dem Ende eines Weltkriegs, stieß zunächst bei einer großen Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung auf klare Ablehnung. Insbesondere bei der jungen Generation kam massenhafter Protest auf, gegen die Gefahr eines neuen Krieges, gegen den «Barras», gegen den Kasernenhofgeist. Um diesen Widerstand gegen die Wiederaufrüstung zu brechen, setzte die Bundesregierung ein Heer von Propagandisten, «Verfassungsschützern», Justizbeamten, Journalisten und Parteifunktionären in Marsch – und eben Polizisten, die «durchzugreifen» hatten. Der «Kalte Krieg» wurde auch im westdeutschen Landesinneren geführt, gegen Kommunisten, tatsächliche oder angebliche, aber zugleich gegen alle, die sich der Remilitarisierung in den Weg stellten.
Antimilitarismus war zu dieser Zeit das tragende Motiv der westdeutschen FDJ. Dass diese dann bald den Großteil ihres Potenzials verlor, lag nicht nur an dem Verbot und den staatlichen Repressionen. Ständig regierten die Westabteilungen des SED-ZK und des FDJ-Zentralrates in die westdeutsche Jugendszene hinein, instrumentalisierten diese, versuchten absurde Projekte durchzusetzen. Und dann begann die «Wehrerziehung» in der DDR, der die dortige FDJ ihre Dienste zu leisten hatte. So geriet der antimilitaristische Jugendprotest der 50er Jahre zwischen die Fronten militarisierter staatlicher Politik, die in Westdeutschland vorexerziert, in Ostdeutschland dann rasch nachgeholt wurde.
Philipp Müller wurde in der DDR zum «tapferen Patrioten» stilisiert. Als er mit Tausenden anderer junger Leute 1952 durch Essen zog, wurde gesungen: «Nie, nie wolln wir Waffen tragen, nie, nie gehn wir in den Krieg. Solln die großen Herrn selber sich erschlagen – wir machen einfach nicht mehr mit». Ein Lied, das nicht zum Stechschritt der Nationalen Volksarmee passte...
Der erschossene Philipp Müller verdient Erinnerung, die eine historische junge Opposition so schildert wie sie war, ohne parteibürokratische Legende und ohne antikommunistische Verächtlichmachung.
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