Heiner Geißler: Sapere aude! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen, Berlin: Ullstein, 2012, 157 S., 16,99 Euro
von Paul B. Kleiser
Heiner Geißler zählt hierzulande zu den profiliertesten Vertretern des Wertkonservatismus. Wer ihn noch als scharfmachenden Generalsekretär der CDU in Erinnerung hat, könnte sagen, dass er eine Kehrtwende vollzogen hat und altersweise geworden ist. Die Führung der CDU ist meistens «not amused», wenn er als Gast in diversen Talkrunden Kampfreden gegen Finanzkapitalismus und Neoliberalismus hält.
Auch mit seinem neuen Buch «Sapere aude! Warum wir eine neue Aufklärung brauchen» dürfte er sich in der Union weit mehr Feinde als Freunde machen. Denn abgesehen von seiner in der CDU anrüchigen, heftigen Kapitalismuskritik dürften seine Attacken gegen den «klerikalen Absolutismus» und vor allem gegen die Führung der katholischen Kirche einigen wie Wackersteine im Magen liegen.
Hinter dem Titel «Wage zu denken» – oder, mit Schiller: «Erkühne dich, weise zu sein», verbirgt sich ein Versuch, auf der Grundlage von ethisch fundierter Vernunft eine neue Aufklärung der «Bürgergesellschaft» gegen den «ökonomischen, klerikalen und islamischen Absolutismus» und gegen die «autoritäre Politik» auf den Weg zu bringen. Diese Aufklärung richtet sich zunächst gegen die «Wahnidee des sich selbst regulierenden Marktes», der «die Idee des Wettbewerbs und die Ideologie des Wachstums um jeden Preis» an die Stelle des «Ideals des Gemeinwohls» gesetzt hat.
Die Milleniumsziele der UNO könnten ohne weiteres erreicht werden, schreibt Geissler, «wenn die ungeheuren Geldmengen, die vorhanden sind, nicht in falschen Händen wären». «Angesichts des ausufernden Irrationalismus, der Degradierung der Menschen zu Kostenfaktoren, der Vergötzung des Kapitals, der Bürokratisierung und Reglementierung aller Aspekte des menschlichen Lebens, des Versagens der demokratischen Institutionen gegenüber der ökonomischen Globalisierung und der kapitalabhängigen medialen Verdummung scheint es sinnvoll, ja geradezu eine Pflicht zu sein, sich wieder auf das Erbe der Aufklärung zu besinnen.»
Die humane Alternative zum «gescheiterten Kapitalismus» ist für Geißler die «soziale Marktwirtschaft» in Form einer «internationalen Öko-Sozialen Marktwirtschaft mit geordnetem Wettbewerb und dem Ziel eines guten Lebens für alle Menschen». Mit dem Ziel könnten wir uns sicherlich einverstanden erklären, ob jedoch die von ihm idealisierte «soziale Marktwirtschaft» der Weg dazu sein kann, möchten wir mit Blick auf die bundesdeutsche Vergangenheit bezweifeln.
Recht hat er, wenn er Schröders Agenda 2010 und vor allem Hartz IV («Der Mensch wurde regierungsamtlich zum Kostenfaktor erklärt») als «Triumph des Neoliberalismus» anprangert und den Parteien vorwirft, «autoritäre Politikkonzeptionen» (Bastapolitik) zu vertreten.
Geißler sieht jedoch eine wachsende Bereitschaft, «gegen die Herrschaft der Finanzmärkte, die Denkblockaden der Marktgläubigen und die autoritäre Willkür von Behörden» zu revoltieren. Die Proteste gegen Stuttgart 21 und den Ausbau der verschiedenen Flughäfen bestätigen ihn in seiner Ansicht. Die kritische Zivilgesellschaft soll frühzeitig in alle wesentlichen Planungsprozesse eingebunden und die parlamentarische Demokratie durch Formen der unmittelbaren Demokratie ergänzt werden.