Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2012

Das schlechte Wahlergebnis der Linkspartei in einer Serie von Bundesländern, zuletzt in NRW, hat eine recht grundsätzlich Debatte über die weitere Orientierung der Partei ausgelöst. Wir veröffentlichen Auszüge aus zwei Stellungnahmen zum Wahlergebnis in NRW: eine vom Bundessprecherinnenrat der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der Linkspartei und eine Vorlage von Hermann Dierkes für die Gesamtfraktion.

Der Bundessprecherinnenrat der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der Linkspartei

Die Wahlniederlage der LINKEN in NRW – und auch in Schleswig-Holstein – hat tieferliegende Ursachen. Sie ist primär eine Folge der Vernachlässigung des Parteiaufbaus, der fehlenden außerparlamentarischen Mobilisierungen und der mangelnden gesellschaftlichen Verankerung in den westdeutschen Bundesländern. Es ist uns in NRW nicht gelungen, die halbe Millionen Wählerinnen und Wähler des Jahres 2010 für gesellschaftliche Veränderungen zu mobilisieren.

Es reicht eben nicht, sich von den Wählerinnen und Wählern mit einem Mandat ausstatten zu lassen, denn auch die besten Gesetzesinitiativen haben bei fehlenden parlamentarischen Mehrheiten und fehlenden außerparlamentarischen Bewegungen und Initiativen keine Chance auf Realisierung.

Durch die Konzentration auf den Parlamentarismus, Wahlkämpfe und die Arbeit in den Kommunalparlamenten hat die Partei in NRW die Arbeit an der Basis und in den Bewegungen vernachlässigt. Bei 400 linken Kommunalmandaten auf verschiedenen Ebenen in NRW, die auf rund 8000 vielfach passive Mitglieder kamen, wurden viele Aktivistinnen und Aktivisten aus den Basisorganisationen durch die Kommunalparlamente regelrecht aufgesogen, ohne dass entsprechend Aktive nachrückten.

Die Chancen gesellschaftlicher Verankerung durch die Besetzung kommunaler Positionen konnten so nicht genutzt werden, vielmehr war eine Zersplitterung und Schwächung der Parteistrukturen und der Verlust kommunaler Abgeordneter für die Partei die Folge. Gleichzeitig ist es nicht gelungen, die Masse der Parteimitglieder in die Aktivitäten hereinzuziehen oder ihnen entsprechende Möglichkeiten eines Engagements auch jenseits der zeitaufreibenden Gremienarbeit aufzuzeigen. Auch der engagierte Wahlkampf in NRW ruhte so auf vergleichsweise wenigen Schultern. […]

Das Unbehagen mit dem Casino-Kapitalismus und einer Bundesregierung, die gegen die Interessen der Masse der Wählerinnen und Wähler Milliarden an die Banken verschenkt, ist enorm angewachsen. Die Occupy-Bewegung ist nur ein zarter Ausdruck dieses wesentlich tiefer sitzenden Unbehagens in breiten Bevölkerungsschichten. Dass dieses Unbehagen außer in kleineren Occupy-Aktionen und gelegentlichen Massenmails gegen den ESF noch keinen öffentlichen Ausdruck gefunden hat, liegt gleichfalls an der Desillusionierung breiter Bevölkerungsschichten in die vorhandenen Parteien und Verbände und den Parlamentarismus.

Diese Desillusionierung geht aber weiter, sie lässt die Menschen auch an ihrer eigenen Kraft zweifeln. Die Aufgabe einer linken Partei ist es, überall dort, wo es Widerstand gegen eine unsoziale Politik gibt, präsent zu sein, die Menschen zu unterstützen, zu ermutigen und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Veränderung zu stärken. Doch die LINKE vermittelte viel zu lange den Eindruck: «Wählt uns und wir werden es schon machen.» Dass die Fraktionen dies ohne eine breite Protestbewegung nicht machen konnten, hat viele Wählerinnen und Wähler enttäuscht. […]

Die ostdeutschen Landesverbände zeigen uns, wie eine in der Gesellschaft – in Kommunen, Landtagen, Vereinen und Verbänden – verankerte Partei mit sozialem Dienst am Menschen auch solide Wahlergebnisse einfahren kann. Es gehört zu den Aufgaben einer linken Partei, sich auch um die alltäglichen Probleme der Menschen vor Ort zu kümmern und dafür ein offenes Ohr zu haben. Kommunale Mandate können dafür eine große Hilfe sein. Aber das reicht nicht aus, um eine widerständige Partei zu sein und zu bleiben. Denn all zu leicht geht so der Blick auf den Gesamtzusammenhang, das große Ganze, auf die Einbindung der Kommunen in die kapitalistische Gesellschaft und die daraus resultierenden «Sachzwänge» verloren.

 

Hermann Dierkes, Vorlage für die Gesamtfraktion am 23.5.2012

Die LINKE setzte [die Minderheitsregierung] mit ihrer 11-köpfigen Landtagsfraktion mit zahlreichen Initiativen und Gesetzesvorlagen von links unter Druck, was ohne Zweifel zu Erfolgen führte. Die Frage war allerdings, wie lange diese Taktik durchgehalten werden konnte, weil die Maßnahmen der Regierung Kraft von vielen Menschen als Erfolge und Verbesserungen erfahren wurden, auch wenn sie oft halbherzig und inkonsequent waren.

Diese Teilerfolge setzten eine eigene Dialektik in Gang, die sich mehr und mehr gegen uns wandte. Dies umso mehr, wie wir die Kritik – für die breite Öffentlichkeit unverständlich und «gefährlich»– zuspitzten und gewissermaßen als bloße Nörgler dastanden. Es war eindeutig falsch, dass die Linksfraktion mehr und mehr einen Diskurs einschlug nach dem Motto: «Anfangs setzte die Regierung Kraft noch positive Sachen um, jetzt hat sie ihren Kurs geändert, betreibt wieder Sozialabbau und deswegen können wir zum Haushalt nur noch Nein sagen». Das ist von der breiten Öffentlichkeit und vor allem von dem für uns wichtigen Wählerpotenzial angesichts seiner schwachen Politisierung, geschweige Radikalisierung, eindeutig nicht nachvollzogen worden. […]

Zu den politischen Faktoren, die einer ernsthaften Lageeinschätzung vor der Entscheidung über Neuwahlen hätten zugrunde gelegt werden müssen, kommt der Zustand der Partei. Die LINKE NRW ist zwar zahlenmäßig relativ stark, hat sich bisher aber nicht zu einer stabilen und aktivistischen Partei entwickeln können. Dennoch wäre es unzutreffend, die bisherigen Aktivitäten der LINKEN fast ausschließlich auf der parlamentarischen Ebene zu verorten.

Auch für Duisburg trifft dies nicht zu. Wir waren bei vielen Bewegungen und Initiativen dabei. Und schon gar nicht trifft eine behauptete Trennung zwischen Gremienaktivsten und Parteiaktivsten zu. Viele unserer Mitglieder und Mandatsträger sind gewerkschaftlich aktiv, in der Umweltbewegung, bei den verschiedensten Protestaktionen und «bürgernahen» Aktivitäten dabei. Sie tragen sehr oft auf beiden Schultern. Aber die Bewegungen sind derzeit schwach und sie können nicht künstlich angestachelt werden. […]

Die ehemalige Wählerschaft der LINKEN, auch dies anders als in vorhergehenden Wahlen, geht nur zum geringen Teil zur Wahlenthaltung und votiert mehrheitlich für anderen Politikstil (Piraten) oder für eine rot-grüne Landesregierung (SPD, Grüne). Dieses Wählerpotenzial insgesamt ist nicht «mit dem Parlamentarismus fertig». Es setzt nach wie vor auf Politikveränderungen durch veränderte Parlaments- und Regierungsmehrheiten. Eigene Mobilisierungen und der Aufbau einer Partei sind aus ihrer Sicht nur Hilfsmittel.

Dennoch haben wir zu registrieren, dass rd. 40% der Wahlberechtigten noch vor der SPD als Nichtwähler stärkste «Partei» geblieben sind. Darunter sind sicher viele Menschen, die den Parlamentarismus von links kritisieren, aber mit Sicherheit auch zahlreiche, die längst nach rechts desillusioniert sind. […]

Unsere Kritik hat nichts mit der Aufgabe von programmatischen Prinzipien zu tun. Was wir dringend brauchen, ist eine realitätstüchtige Analyse und Politik. Wir sind sicher, dass es durch eine andere Vorgehensweise gelungen wäre, im Landtag noch Zugeständnisse heraus zu holen und die Situation der Minderheitsregierung aufrechtzuerhalten. Wir hätten sie weiter von links unter Druck setzen können. Damit hätten wir die Chance für einen Neuaufschwung der LINKEN bei künftig veränderten Bundestrends behalten. […]

Gerade für eine ernsthafte politische Linke muss der Verlust einer oder mehrerer Parlaments- und Kommunalfraktionen nicht das Ende bedeuten. […] Die Organisationen und Parteien der Arbeiterbewegung und der breiteren Linken allgemein haben nicht ihren Ursprung im Parlamentarismus, sondern in außerparlamentarischen Aktivitäten. Der Parlamentarismus sollte auch für Die LINKE nur ein – wenn auch sehr wichtiges – Aktionsfeld und politisches Instrument von vielen sein. Er ist jedenfalls nicht das alleinige Spielfeld. Teile der NRW-Linken sollten aber jetzt nicht den Fehler machen und Gremienarbeit mehr oder weniger unter Generalverdacht stellen.

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