von Bernhard Schmid
Die Wirtschafts- und Sozialkrise spült in einer Reihe von EU-Ländern auch rechtsextreme, autoritäre, faschistisch-nationalistische Kräfte nach oben. In ihrem konkreten Auftreten unterscheiden sich diese Parteien mitunter. Die ungarische «Jobbik» ist explizit antisemitisch und steht vergleichsweise nahe am historischen Nationalsozialismus. Hingegen konzentriert die niederländische PVV unter Geert Wilders all ihre Angriffe auf muslimische Einwanderer.
Diese Partei ist eher wirtschaftsliberal, versteht es jedoch vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Krise auch, auf der Klaviatur der sozialen Demagogie zu spielen. So machte die PVV vor den Wahlen im Juni 2010 Wahlkampf unter anderem gegen die Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 – was aber auch ihr einziger konkreter «sozialer» Programmpunkt blieb – und ließ jüngst die Koalition mit Konservativen und Wirtschaftsliberalen platzen. Die drei Parteien, die zusammen die Koalitionsmehrheit bildeten, in der die PVV jedoch keine eigenen Minister stellte, konnten sich nicht auf ein Paket von Sparmaßnahmen einigen. Die Restkoalition fand letztendlich Unterstützung für ihr Sparpaket bei linksliberalen bisherigen Oppositionsparteien.
Auftritt der Stiefelnazis
In Griechenland kann sich die offene Neonazipartei Chrysi Avgi («Goldene Morgenröte») als Krisengewinnerin fühlen. Bei den Parlamentswahlen vom 6.Mai erhielt die Truppe, die ungeschminkt antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und die griechische Militärdiktatur der Jahre 1967–1974 verherrlichend auftritt, knapp 7% der Stimmen.
Dies ist dramatischer, als hätte eine «reine Wahlpartei» vom Typ der vormals erfolgreichen Partei «Orthodoxer Volksalarm» (LAOS) ein Ergebnis in derselben Höhe erzielt. LAOS ist eine rechtsextreme Partei, die strategisch vor allem auf die Teilnahme an Wahlen setzt. Zuletzt scheiterte sie jedoch an ihrem eigenen Taktieren im Kontext der Krisenfolgen seit 2010: Erst stimmte sie für die Austeritätspolitik und trat in die Regierung ein, um sich «staatsmännisch» zu geben. Später trat sie aus dem Kabinett aus und versuchte sich als Opposition gegen die Sparpolitik. Dies trug ihr den Anschein der Unglaubwürdigkeit ein. Mit 2,9% der Stimmen scheiterte sie knapp an der in Griechenland geltenden 3%-Hürde. Die bis dahin weitgehend unbekannte Partei Chrysi Avgi heimste an ihrer Stelle die Wahlerfolge ein.
Dies ist aber ungleich schlimmer, denn bei ihr handelt es sich um eine militante Straßenkampftruppe. Noch am Wahltag selbst kam es zu Zwischenfällen mit Anhängern dieser Partei, die abstimmende Bürger in Wahllokalen mit offenen Gewaltdrohungen einschüchterten. Ihr Chef, Nikolaos Michaloliakos, tritt stets umgeben von muskelbewehrten Milizionären in Erscheinung.
Die Partei machte seit Anfang 2012 vor allem durch gewalttätige Angriffe auf Migranten von sich reden, die – etwa aus den kurdischen Gebieten, aus Syrien, dem Iran oder anderen Ländern, wo ihr Leben bedroht ist – über Griechenland in die EU einreisen und dort oft Monate festsitzen. Bei einem Schlägerangriff auf Einwanderer in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar, dessen Videoaufzeichnung vor kurzem publik wurde und einen Skandal auslöste, sieht man Parteigänger der Neonaziformation im Zusammenwirken mit Polizisten agieren. Teile der griechischen Polizei sind mit rassistischem Gedankengut verseucht und kooperieren unter der Hand mit den Neonazis.
Deren Auftreten auf der politischen Bühne verhindert allerdings, dass sie für Parteien des bürgerlichen Establishments zu Ansprech- oder gar Koalitionspartnern werden könnten. Das konservative Establishment, repräsentiert durch die Partei «Neue Demokratie» (ND), konkurriert zwar mit den Neonazis um die Stimmen des ruinierten Kleinbürgertums und der verängstigten Mittelschichten, indem es für Maßnahmen gegen Einwanderer wirbt. Kurz vor den Wahlen wurde das erste große Abschiebezentrum in Griechenland spektakulär eingeweiht. Aber an Allianzen mit Chrysi Avgi im Parlament ist nicht zu denken.
Hoffähig gemacht
Allmählich jedoch stellt sich die Frage für einige rechtsextreme Wahlparteien, die auf außerparlamentarischen, gewalttätigen Aktivismus verzichten, anders.
Noch nie wurde beispielsweise den französischen Rechtsextremen so stark und so eindeutig von anderer, bürgerlicher Seite signalisiert, dass ihre politische Existenz legitim und ein Bestandteil der Normalität sei. Dies hängt nicht nur mit ihren hohen Wahlergebnissen zusammen – ihre Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen erhielt Ende April dieses 18 Prozent der Stimmen, sondern auch mit der Strategie von Teilen des konservativ-wirtschaftsliberalen Blocks. Zum ersten Mal, jedenfalls in dieser Deutlichkeit, bezeichnete die bis vor kurzem regierende UMP den rechtsextremen Front National (FN) als «im selben politischen Lager verankert».
Unter Altpräsident Jacques Chirac hatte die bürgerliche Rechte überwiegend eine klare Linie der Abgrenzung zur extremen Rechten gezogen. Chiracs damaliger Premierminister Alain Juppé bezeichnete den FN 1996 als «rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Partei», die sich außerhalb der Demokratie stelle.
Einen ganz anderen Tonfall schlug der Noch-Präsident und Kandidat für seine Wiederwahl, Nicolas Sarkozy, in den letzten Wochen seiner Amtszeit an. Er wandte sich ausdrücklich an die Wählerinnen und Wähler des Front National und erklärte: «Wenn die Demokratie Marine Le Pen das Recht gibt, zur Wahl anzutreten, dann ist Marine Le Pen mit der Demokratie vereinbar.»
Nur zur Erinnerung: Der FN benutzt als Parteisymbol zur Selbstdarstellung nach wie vor die Flamme in den drei Nationalfarben blau, weiß und rot. Dieses Abzeichen hatte sie bei ihrer Gründung im Oktober 1972 von den italienischen Neofaschisten des MSI übernommen. Bei diesen symbolisierte die Flamme in der Nachkriegszeit die Seele Benito Mussolinis, die aus dem Sarg empor in den Himmel fährt. (Den MSI gibt es in dieser Form nicht mehr.)
Einige frühere Tabus auf der konservativen Rechten sind inzwischen gefallen. Dennoch möchten sich weder die seit kurzem in die Opposition gewechselte UMP noch der FN heute mehrheitlich miteinander zu einer Regierungskoalition verbünden. Aus Sicht der Konservativen wäre dies ein zu hohes Risiko für die politische Stabilität, während umgekehrt die extreme Rechte eine Strategie verfolgt, die darauf hinausläuft, die eigene Partei zur stärksten Kraft auf der politischen Rechten aufzubauen.
Verbünden sich Rechte und Rechtsextreme?
Dazu fehlt es noch an einigem. Nimmt man die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der jüngsten Präsidentschaftswahl als Maßstab, setzt sich die Wählerschaft deutlich rechts von der Mitte zu zwei Fünfteln aus Anhängern Marine Le Pens und zu drei Fünfteln aus Anhängern Nicolas Sarkozys zusammen.
Aus der Sicht des FN entstehen Bündnisperspektiven erst dann, wenn sich das Verhältnis umgekehrt oder zumindest ausgeglichen hat – worauf er inständig hofft. Deshalb strebte der harte Kern der Partei bei den letzten Präsidentschaftswahlen auch nach einer Niederlage Sarkozys und hofft auf eine Implosion der bisherigen Präsidentenpartei UMP.
Nicht alle in der Partei, und noch weniger in ihrer Wählerschaft, teilen allerdings diese Ausrichtung. 51% der FN-Wähler stimmten in der Stichwahl vom 6.Mai für Nicolas Sarkozy – wegen der ideologischen Nähe in vielen Punkten: In der letzten Phase des Wahlkampfs war Sarkozy ganz überwiegend gegen Einwanderung, gegen die Einführung des Ausländerwahlrechts und für verschärfte Grenzkontrollen zu Felde gezogen. 15% stimmten für den Sozialdemokraten François Hollande. Der Rest stimmte ungültig, wie Marine Le Pen selbst laut ihrer Ankündigung am 1.Mai dieses Jahres, oder ging nicht zur Wahl.
Vor dem Hintergrund der sozialen und ökonomischen Krise hatte sich die Führung der bürgerlichen Rechten unter Sarkozy offenkundig für eine Strategie entschieden, die man im Französischen mit dem Schlagwort «Ça passe ou ça casse» bezeichnet. Das hieß: Entweder wir kommen damit durch, oder wir scheitern und gehen in die Opposition. Massive Ausländerhetze wurde kombiniert mit, in dieser Schärfe bislang völlig unbekannten, expliziten Angriffen auf die Gewerkschaften. Diese forderte Sarkozy am 1.Mai in einer Ansprache vor Parteigängern auf: «Legt die rote Fahne nieder, und dient Frankreich! Dient Frankreich!»
In vier Jahren...
Gegenüber dem vordergründig weichen, auf sozialen Konsens und die Integration von Protestpotenzialen abzielenden Kurs des rechten Sozialdemokraten François Hollande versuchte das konservativ-wirtschaftsliberale Lager somit den Durchmarsch. Es spekulierte darauf, die Krisenfolgen hätten die Gesellschaft reif genug geschossen, um etwa eine scharfe Einschränkung der Gewerkschaftsrechte hinzunehmen, oder einen verschärften Sozialabbau, begleitet von massiver Ausländerhetze.
Von denen, die Sarkozy in der Stichwahl gewählt haben, gaben 65% an, ihre Wahl sei durch die Sorge um «Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite» motiviert, 53% trieb die «Sorge um Einwanderung» um – das waren mit Abstand die beiden wichtigsten Wahlmotivationen in ihrem Lager. Das belegt, wie porös die Grenze zwischen Konservativen und Rechtsextremen, jedenfalls auf ideologischem Gebiet, geworden ist.
Wenn die Strategie nicht aufgeht – so kalkulierte die bürgerliche Rechte –, werde man lieber in die Opposition gehen und der Sozialdemokratie die ordinäre Krisenverwaltung überlassen. Falls diese dabei scheitert, will man in wenigen Jahren wiederkommen. In der Zwischenzeit will man die Bündnisfrage gegenüber der extremen Rechten «klären».
Auf François Hollande lastet also eine schwere Verantwortung, auch für die Zukunft der bürgerlichen Demokratie. Scheitert er, oder enttäuscht er einen beträchtlichen Teil seiner Wähler (wie François Mitterrand in den Jahren nach 1981), so dürfte die Alternative zur jetzt regierenden Mitte lauten: Beim nächsten Regierungswechsel kommen Konservative und Faschisten gemeinsam.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.