von Gregor Kritidis
In den letzten zwei Jahren hat in Griechenland eine breite Massenbewegung die von der EU und dem IWF verordnete Austerity-Politik erbittert bekämpft. Mehrfach geriet die Regierung ins Taumeln, und nur durch massiven Druck und Interventionen von außen konnte die Hegemonie des herrschenden Blocks stabilisiert werden. Mit jeder weiteren Protestwelle erodierte die soziale und politische Basis der bisher regierenden Parteien jedoch weiter.
Das politische Spektrum hat sich nun geteilt in die Parteien des Memorandums – damit werden die Kreditverträge vom Mai 2010 und ersten Halbjahr 2011 zwischen Griechenland und den Staaten der Eurozone sowie dem IWF bezeichnet – und die Anti-Memorandum-Parteien.
Seit dem Sturz der Diktatur 1974 hatten sich die konservative Nea Dimokratia (ND) und die ehemals sozialistische PASOK an der Regierung abgewechselt. Dieses in Griechenland «Dikommatismos» genannte Zweiparteiensystem basierte auf einer, wenn auch begrenzten, sozialen Integration der Unterschichten und dem Ausschluss der politischen Linken von der Macht. Mit den Wahlen vom 6.Mai 2012 ist der Vorherrschaft der beiden großen Parteien ein Begräbnis erster Klasse bereitet worden.
Beobachter waren zuvor noch davon ausgegangen, dass ND und PASOK zusammen zumindest die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen und mithilfe des Wahlgesetzes, das traditionell die stärkste Partei mit zusätzlichen Mandaten begünstigt, ihren Austerity-Kurs fortsetzen können. Aber nicht einmal eine rechnerische Mehrheit von 151 Mandaten konnte erreicht werden, auch wenn alle Mittel der Manipulation aufgeboten worden waren.
Flucht in rechtsextreme Ressentiments
Insbesondere die PASOK hatte versucht, sich im Wahlkampf als Law-and-Order-Partei zu profilieren. Migranten ohne Papiere, die bei polizeistaatsähnlichen Razzien aufgegriffen wurden, verfrachtete man in kurzfristig gegen den Widerstand der Linken eingerichtete Sammellager. Selbst aus Kreisen der orthodoxen Kirche wurden sie als «Konzentrationslager» kritisiert. Hinzu kam eine vom Innen- und Gesundheitsministerium koordinierte Kampagne gegen den Straßenstrich. Die bei Razzien aufgegriffenen Frauen wurden auf HIV untersucht, Fotos der positiv getesteten Frauen wurden umgehend im Internet veröffentlicht.
Doch diese Kampagnen retteten der PASOK nicht die Zustimmung, sondern leitete das Wasser auf die Mühlen der offen faschistischen Chrisi Avghi («Goldene Morgendämmerung»), die mit rund 7% erstmals in die Athener Vouli einzog und die ebenfalls faschistische Konkurrenz LAOS weit hinter sich ließ. Offenbar hat das rechtsextreme Wählerpotenzial LAOS dessen zeitweilige Beteiligung an der Regierung Loukas Papadimou übel genommen.
Damit hat sich erstmals eine faschistische Partei mit Massenanhang etabliert, die – auch wenn es traditionell Verbindungen zu staatlichen Apparaten gibt – einen eigenständigen politischen Faktor darstellt. Allerdings dürfte die Chrisi Avghi auf Dauer Probleme haben, das gesamte rechte Wählerspektrum für sich zu gewinnen. Ihr positiver Bezug auf die Diktatur Metaxas der 1930er Jahre, auf das Kollaborationsregime während der deutschen Besatzung und auf die Obristendiktatur sind innerhalb der breiteren politischen Rechten nicht mehrheitsfähig. Neben den städtischen Ballungszentren hat die Chrisi Avghi vor allem in den Gegenden der Halbinsel Peloponnes, die schon während des Bürgerkriegs Hochburgen der faschistischen Sicherheitsbatallione waren, Wähler für sich gewinnen können.
Unregierbar
Viele von der ND enttäuschte Wähler zogen den Faschisten die im Februar 2012 gegründeten Anexartiti Ellines («Unabhängige Griechen», AnEl) des ehemaligen ND-Abgeordneten und Staatssekretärs Panos Kammenos vor. Dieser war aus der Fraktion der ND ausgeschlossen worden, nachdem er in der Vertrauensabstimmung gegen die von der ND mitgetragene Regierung Papadimou gestimmt hatte.
Kammenos trat vor allem mit Korruptionsvorwürfen gegen Politiker der ND und PASOK hervor und stellte sich in einer Rede in Distomo – wo 1944 eine SS-Einheit ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübte – in die Tradition des nationalen, respektive nationalistischen Widerstands. Neben der Agitation gegen das Memorandum – Kammenos unterstützt die Forderung nach einem Schulden-Audit – hoben sich die AnEl von anderen Parteien dadurch ab, dass sie die Frage der deutschen Reparationen zum Thema machten.
Deutlich gestärkt ging mit 17% die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) aus den Wahlen hervor. SYRIZA ist ein Zusammenschluss mehrerer kleiner marxistischer Organisationen mit der Linkskoalition (Synaspismos), die aus der eurokommunistischen Strömung hervorgegangen ist.
SYRIZA repräsentiert mit ihrem Vorsitzenden Alexis Tsipras eine neue Generation der politischen Linken, die sich basisdemokratischen und ökologischen Ansätzen geöffnet hat, und bezieht sich gleichzeitig positiv auf das historische Erbe der sozialen Bewegungen in Griechenland. Mit Manolis Glezos ist auf der Liste von SYRIZA eine historische Persönlichkeit der Linken ins Parlament eingezogen. Glezos, der mehrfach zum Tode verurteilt wurde, war einer der beiden Studenten, die während der deutschen Besatzung die Hakenkreuzfahne von der Akropolis einholten.
SYRIZA hat mit dem klaren Bekenntnis, eine linke Regierung bilden zu wollen und die Austerity-Politik zu beenden, erstmals die politisch wenig bewegliche KKE überflügelt. Es ist aber fraglich, inwieweit das innerhalb der Eurozone und der EU möglich sein wird.
In diesem Punkt wird sie nicht nur von der KKE, sondern auch von ANTARSYA, einem Zusammenschluss der außerparlamentarischen marxistischen Linken, kritisiert. Dieses Bündnis hat zwar nur 1,2% der Stimmen auf sich vereinigen können, jedoch bei allen politischen Mobilisierungen eine wichtige Rolle gespielt. Da die zukünftigen Mehrheitsverhältnisse keine Frage der Arithmetik, sondern realer Kräfteverhältnisse innerhalb der sozialen Bewegungen und der Gesellschaft sind, könnte ANTARSYA an Bedeutung gewinnen, da sie in ihrer Programmatik konsequenter und geschlossener als SYRIZA, ideologisch aber wesentlich flexibler als die KKE ist, der es zunehmend schwer fällt, ihre politischen Aussagen mit ihrer praktischen Politik des abwartenden Taktierens in Übereinstimmung zu bringen.
Ebenfalls im Parlament ist die Demokratische Linke (DIMAR) des ehemaligen Funktionärs von Synaspismos, Fotos Kouvelis, vertreten. DIMAR wendet sich zwar mit Nachdruck gegen die Austerity-Maßnahmen der EU, ist ansonsten aber den traditionellen Programmatiken und Organisationsformen der griechischen Linken verhaftet. PASOK und ND haben versucht, DIMAR für ein Regierungsbündnis zu gewinnen. Sie machte jedoch eine Beteiligung von SYRIZA zur Bedingung für eine Kooperation. Da SYRIZA zu einer Zusammenarbeit jedoch nur unter der Voraussetzung bereit war, dass PASOK und ND ihre Zustimmung zu den Kreditverträgen und den Austerity-Maßnahmen widerrufen, war dieser Versuch zum Scheitern verurteilt.
Der Umstand, dass sich DIMAR nicht an einer Koalition beteiligen will, die gegen die Absichten von SYRIZA, d.h. gegen die sozialen Bewegungen, zustande kommt, bedeutet nichts anderes, als dass eine aus Brüssel vorgegebene Politik bis auf weiteres nicht mehr durchsetzbar ist. Die Bestürzung, mit der in Europas Hauptstädten auf den griechischen Wahlausgang reagiert wurde, und die scharfen Attacken auf SYRIZA bringen das klar zum Ausdruck. Die bisherigen Stützen der EU-Krisenpolitik in Athen sind zusammengebrochen; mit den Worten der bürgerlichen Kommentatoren: Griechenland ist «unregierbar» geworden.
Der Autor lebt in Hannover, ist in der Erwachsenenbildung tätig und schreibt u.a. für die Online-Zeitung www.sopos.org.
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