Ein Querblick auf den Krisenprozess der Neuen Antikapitalistischen Partei in Frankreich
von Willi Hajek
Frankreich hat einen neuen Präsidenten. Im Land ist eine große Erleichterung festzustellen über die Ablösung von Sarkozy. Genau das ist aber auch der gemeinsame Grundgedanke: Hollandreou – so wurde er von Mélenchon, dem redegewandten Kandidaten der Linksfront, genannt – wurde nicht wegen seines Programms noch wegen seiner perspektivischen Vorstellungen, sondern eher als einer gewählt, der zumindest nicht Sarkozys «Kultur des Hasses», fortsetzen wird.
Die Initiativen der Papierlosen, der Wohnungslosen, die kämpfenden Belegschaften im Stahlbereich (Florange) , die ArbeiterInnen von Fralib, haben dem neuen Präsidenten ihre Erwartungen und Forderungen schon vorgetragen. Aber auch die Polizeigewerkschaften machen mobil und fordern bessere Ausrüstung. Eine neu gegründete rechte Richtergewerkschaft will verhindern, dass die repressiven Praktiken und harten Urteile besonders gegen Jugendlichen aus der Banlieue von der Regierung nicht mehr unterstützt werden. Auf der Linken organisiert der Volkstribun Mélenchon seine Mannschaft, zu der die unterschiedlichsten Gruppierungen gehören. Darüber hat sich auch die PCF wiederbelebt und versucht, ihre Kandidaten für die Parlamentswahl in Stellung zu bringen.
Wie kam es zum Erfolg von Mélenchon?
Mélenchon verbindet in seinen Reden die revolutionäre Tradition Frankreichs mit der heutigen Situation. «Frankreich muss in Europa wieder zur Avantgarde werden gegen die Sparpolitik. Die Völker Europas hoffen auf den Widerstand Frankreichs gegen die Troika und ihre Spar-Diktatur.»
Mélenchon will Entlassungen erschweren oder sogar durch gesetzliche Maßnahmen verhindern, mehr Referenden und Volksbefragungen fördern, in dieser Form soll sich der Aufstand der Bürgerinnen und Bürger entwickeln. Zumeist aber ist damit der Verweis auf die Wahlen verbunden. Vor den Wahlen hat er ein Buch herausgegeben mit dem Titel «Que se vayan todos» (Sie sollen alle verschwinden), ein den Aufständen in Argentinien 2001 entlehnter Slogan.
Ja, und was wird aus der NPA, dem Hoffnungsträger für die Partei neuen Typs? Wie kommt es, dass sie so sehr an Anziehungskraft verloren hat und gerade dabei ist, sich selbst zu zerlegen?
Poutou und Mélenchon
Voraussetzung für die Gründung der NPA waren die Wahlerfolge des Kandidaten der LCR, Olivier Besancenot, 2002 und 2007 und der gleichzeitige wahlpolitische Niedergang der PCF. Der alte Traum der Partei-Trotzkisten seit 1968 schien sich zu verwirklichen, endlich zur stärksten Kraft im radikal linken Parteienspektrum zu werden.
Vor dem Hintergrund dieser Wahlerfolge ergriff die LCR die Initiative zur Gründung einer breiten antikapitalistischen Parte, der viele neue Mitglieder zuliefen. Nicht wenige dieser Mitglieder kamen gerade wegen der Wahlerfolge Besancenots zu dieser Partei, in der Hoffnung, schnell einer neuen hegemonialen Kraft anzugehören. Neben vielen neuen Mitgliedern schlossen sich der NPA aber auch verschiedene organisierte Parteiaufbaugruppen an, die in der neuen Partei sehr schnell ihre Plattform- und Strömungskämpfe entwickelten.
Sichtbar wurde das auch bei der Festlegung des diesjährigen Präsidentschaftskandidaten Poutou, der selbst auch zu einer der drei Plattformen innerhalb der Partei gehörte und früher zusammen mit seinen Anhängern aus einer anderen trotzkistischen Gruppe ausgeschlossen worden war. Diese verbissene interne Abstimmungsmaschine und die Machtkämpfe hatten zum Ergebnis, dass viele der Neuhinzugekommenen die Partei wieder verließen. Poutou wurde nur von einer knappen Mehrheit der NPA zum Präsidentschaftskandidaten gewählt.
Gleichzeitig entwickelte die Linksfront in den Monaten des Wahlkampfs eine erfolgreiche Dynamik, verkörpert durch Mélenchon als etabliertem Linkspolitiker mit einem historischen, politischen und kulturellen Horizont und der Rhetorik eines Volkstribuns. Dagegen versuchte die NPA ihren Kandidaten Poutou als Fordarbeiter und CGT-Gewerkschaftsaktivist aufzubauen, ähnlich wie vorher den Briefträger Besancenot. Poutou sollte die andere Welt verkörpern, die Welt der Arbeiter, der Straße, der einfachen Leute.
Mélenchon dagegen stellte sich dar als Jakobiner, als Vertreter eines starken Staates, der dem Kapital seine Grenzen setzt, der nicht gegen den Bürgerwillen regieren will. Er war Minister unter Lionel Jospin gewesen, trennte sich aber beim Referendum über den EU-Verfassungsvertrag 2005 von der sozialistischen Regierungspartei. Die Linkspartei entstand also auf der Grundlage eines Nein gegen die EU-Verträge, daraus zieht Mélenchon seine politische Legitimität.
Wahlfixierung
Dennoch, entscheidend für das Scheitern des NPA-Projekts scheint mir die Fixierung auf die Wahlen. Die Aktiven sind überwiegend eingespannt in Parteiaktivitäten. Die Agenda der Wahlen bestimmt das ganze Parteileben und steuert Begeisterung wie Enttäuschung. Seit Monaten ziehen die NPA-Aktiven übers Land, um die notwendigen 500 Unterschriften von Bürgermeistern zu bekommen, damit Poutou Kandidat werden kann. Gleichzeitig wissen viele, dass das ganze Wahlspektakel ein Flop werden würde. Ein nicht kleiner Teil der Mitglieder hat daraus die Konsequenzen gezogen und sich dem Front de Gauche angeschlossen.
Auch diese Sammlungsbewegung wird sicherlich bald ähnliche Symptome zeigen wie die NPA. Auf der einen Seite sammeln sich die verschiedenen traditionellen Parteien – PCF, linken Sozialdemokraten, aus der NPA kommende Aktivisten bis hin zur PCOF, auf der anderen Seite kommen neue Aktivisten, junge wie alte, hinzu, die entweder früher organisiert waren oder bislang überhaupt nicht. Gemeinsame Zielorientierung sind die Wahlen, ist die Erringung von Posten in einem Parteibündnis, das, so Mélenchon, in zehn Jahren die Hegemonie im linken Lager erreichen will.
Glücklicherweise gibt es noch eine ganz andere Realität und Debatte in der französischen Gesellschaft: die gesellschaftliche Linke, Basisgewerkschaften, soziale Initiativen, die alternativ-libertäre und anarchosyndikalistische Bewegung: Sie konzentrieren sich darauf, ihre Basisaktivitäten in den Bereichen zu festigen, in denen sie unabhängig von Wahlerfolgen und Wahlniederlagen Wurzeln schlagen können. Dazu aber ein anderes Mal.
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