von Angela Klein
Rodrigo Rato, bis Anfang Mai Chef der Bankia, Spaniens viertgrößter Bank, ist einer der Hauptverantwortlichen für die spanische Immobilien- und die nachfolgende Bankenkrise. Der Sprössling zweier schwerreicher Familien aus Asturien war von 1996 bis 2000, und dann noch einmal 2003 und 2004, Wirtschaftsminister in der Regierung Aznar.
In seiner Amtszeit konnte die Immobilienblase gedeihen, die die spanischen Sparkassen schließlich an den Rand des Ruins trieben. Eine ihrer Antriebskräfte war im übrigen, ganz wie in den USA, die Niedriglohnpolitik der konservativen Regierung. Um sich für den Euro zu qualifizieren (Spaniens Schulden sanken in den 90er Jahren von 60 auf 50% des Bruttoinlandsprodukts), wurden Sozialhaushalte gekürzt und der Arbeitsmarkt dereguliert. Der billige Euro ermunterte die Banken in den 2000er Jahren, die Lohnverluste dieser Klientel mit billigen Krediten zu kompensieren. Rato ist einer der politisch Verantwortlichen für diese Politik.
Eine windige Rettungsaktion
In der Regierungszeit des Sozialdemokraten Zapatero (2004–2011) machte Rato in verschiedenen internationalen Finanzinstitutionen Karriere. Im Herbst 2011 trat er in den Vorstand der Caja (Sparkasse) Madrid ein, deren Vorsitzender er im Januar 2012 wurde; zu dem Zeitpunkt hatte die Immobilienkrise längst auf die spanischen Sparkassen durchgeschlagen.
Rato versuchte, sie durch eine groß angelegte Fusion von sieben Sparkassen zu lösen: Caja Madrid, Bancaja, Caja de Canarias, Caixa Laietana, Cajas de Ávila, de La Rioja, de Segovia. Das Ergebnis trug den neuen Namen Bankia. Mit einer eigenen Holding namens BFA wurde die gemeinschaftliche Haftung der Sparkassen untereinander gesichert. Die BFA wurde Hauptaktionärin von Bankia.
Mit dieser Operation wurden weder toxische Papiere vernichtet noch die Sparkassen tatsächlich saniert, sondern nur der Schein aufgebaut, dass ein größeres Institut mit dem Schuldenberg besser zurecht käme, und die Öffentlichkeit von den mageren Erträgen der Spareinlagen abgelenkt. Zunächst versuchte die konservative Regierung Rajoy, mit einer groß angelegten Zentralisierung im Sparkassenbereich die Lasten auf die Angestellten abzuwälzen: 20% der Niederlassungen wurden im Zuge der Fusion geschlossen, 16% des Personals entlassen. Im April 2011 wurden die faulen Kredite in die Holding BFA ausgelagert – also eine «Bad Bank» geschaffen.
Der Schwindel flog Anfang Mai auf, als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte ihren Prüfungsbericht veröffentlichte, er enthielt unmissverständlich, dass Bankia bankrott war. In der Bilanz 2011 der Holding waren die BFA-Anteile an Bankia mit einem Wert von 12 Mrd. Euro ausgewiesen; ihr Marktwert beläuft sich allerdings nur auf 2 Mrd. Euro. Selbst unter der Annahme, dass BFA ihre Anteile an Bankia in Zukunft nicht veräußern werde, wollte Deloitte den Bankia-Aktien der BFA keinen höheren Wert als 8,5 Mrd. Euro zusprechen – damit blieb ein Bilanzloch von 3,5 Mrd. Die Gewinne der BFA beliefen sich im Bilanzzeitraum aber nur auf 41 Millionen Euro. Die spanische Notenbank schätzte, dass Bankia auf 176 Mrd. Euro fauler Kredite sitzt. Am Tag der Veröffentlichung des Wirtschaftsprüfungsberichts, dem 9.Mai, wurde Rato als Vorstandsvorsitzender geschasst und die BFA verstaatlicht.
Zu groß für den Staat
Nach Angaben der Spanischen Zentralbank hat keine der spanischen Großbanken seit dem Ausbruch der Krise 2008 in ihrem Jahresergebnis Verluste ausgewiesen. Die spanische Bankenkrise konnte bis jetzt verschleppt und vertuscht werden. So war es nur naheliegend, dass nicht allein Bankia, sondern der gesamte spanische Bankensektor ins Visier der Anleger geriet: Sie fragten sich, wie der spanische Staat allein in der Lage sein sollte, den Bankensektor zu retten?
Das war das rationale Element bei dem Druck, den vor allem die deutsche Regierung ausübte, damit die spanische Regierung unter den Europäischen Rettungsschirm krieche. Dagegen wehrte sich die Regierung Rajoy bis zuletzt, aus gutem Grund: Auch sie fürchtete die «schwarzen Männer» der Troika, der sie nun die Schlüssel zur Staatskasse aushändigen muss.
Doch das Debakel, das die Banken in Spanien angerichtet haben, übersteigt offenkundig die Finanzkraft des Staates: Analysten der Barclays-Bank schätzten am 9.Mai, Spaniens Banken würden kurzfristig Liquiditätsspritzen in Höhe von 100 Mrd. Euro brauchen (anderen Schätzungen zufolge beläuft sich der Rekapitalisierungsbedarf auf 200 Mrd. Euro) – und sollte es der Staat sein, der die Summe aufbringen muss, würde das Staatsdefizit auf 100% des Bruttoinlandsprodukts steigen. Alle bisherigen Sparbemühungen wären also für die Katz gewesen.
Die Anleger auf den Finanzmärkten haben den Braten schnell gerochen und schon vor dem Offenbarungseid mit Kapitalflucht reagiert; allein im März 2012 wurden 66,6 Mrd. Euro von spanischen Banken abgezogen. Seit Monaten hängt die Refinanzierung der spanischen Banken von der Europäischen Zentralbank ab, da ihnen andere europäische Banken kein Geld mehr leihen. Die spanischen Banken halten aber 70% der spanischen Staatsanleihen, die seit Beginn dieses Jahres keine anderen Käufer mehr gefunden haben.
Wer soll Europa retten?
Der Berliner Druck, Spanien unter den Rettungsschirm zu zwingen, kommt der «irischen Lösung» gleich. Auch in Irland hatten sich die europäischen Banken in einer gigantischen Immobilienblase verzockt. Sie drohten umzufallen. Doch anstatt sie Pleite gehen zu lassen und den einfachen Kreditvergabebetrieb neu (staatlich) zu organisieren, sprang der irische Steuerzahler für extreme Summen ein. Die Staatsschulden explodierten, und Irland musste unter den Rettungsschirm. Irland wurde vom keltischen Tiger zum klammen Schuldenbaron, der unter drückenden Schulden, hohen Zinsen und abseitigen Sparprogrammen kaum noch Luft zum Atmen hat. Genau das haben Merkel und Schäuble nun auch mit Spanien vor.
Einige EU-Regierungschefs hatten gefordert, die spanischen Banken sollten sich direkt beim EFSF refinanzieren, ohne den Umweg über den Staat. Diese Lösung hätte den Vorteil gehabt, dass zusätzlich zur Überschuldung der Banken nicht auch noch eine Überschuldung des Staates hinzukommt. In 2007, als die Finanzkrise in den USA ausbrach und bevor sie Spanien erreicht hatte, betrug die spanischen Staatsverschuldung 36% des Bruttoinlandsprodukts. Damit war Spanien ein Musterschüler in der EU, lag doch die Maastricht-Grenze bei 60%. Die Staatsschulden machten nur 18% der Gesamtschulden aus. Der Haushalt der Regierung wies ein Plus von 1,9% vom BIP auf.
Spanien ist ein Musterbeispiel dafür, dass wir es in Europa nicht mit einer Staatsschuldenkrise, sondern immer noch mit einer Bankenkrise zu tun haben, deren Folgen noch längst nicht ausgestanden sind. Es wackeln auch nicht allein Spaniens Banken: Die größte US-Geschäftsbank JP Morgan musste im Mai Verluste in Höhe von 2 Mrd. Dollar bekannt geben. Die griechischen Banken leiden unter der anhaltenden Kapitalflucht, an der sich auch ihre eigenen Manager und Aktionäre beteiligen; sie überleben nur mit Hilfe von Tagesgeldern der griechischen Notenbank – mit Zustimmung der EZB. Die französisch-belgische Dexia-Bank musste für 2011 Verluste in Höhe von 11 Mrd. Euro einräumen, sie hat die Regierungen um Rekapitalisierung gebeten.
Ende letzten Jahres stattete die EZB die Banken mit 1 Billion Euro aus und meinte, damit nun Ruhe zu haben. 800 europäische Banken machten von dem Angebot Gebrauch. Doch einige von ihnen, darunter auch Großbanken, finden sich schon wieder in Liquiditätsnot und fordern von der EZB eine Wiederholung der Kur. EZB-Chef Mario Draghi sah sich Anfang Juni jedoch zu einem dramatischen Appell veranlasst. Vor Mitgliedern des EU-Parlamentes räumte er ein, die EZB stoße an ihre Grenzen. Es sei nun die Sache der politischen Führer Europas, schnell und entschieden zu handeln, um den Euro zu retten. Wenn sie das nach dem Muster von Frau Merkel tun, dann gute Nacht.
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