von Alejandro Martínez Pacheco
«Ich sah, was (politische) Macht ist: ein Tigerblick, der dich einschüchtert und dir Angst und Schamgefühle macht.»
Am 15.Mai 2012 starb der mexikanische Autor Carlos Fuentes im Alter von 83 Jahren in Mexiko-Stadt.
Mexiko hat eine der engagiertesten und kritischsten Stimmen der mexikanischen Kultur in einer für das Land sehr schwierigen Zeit verloren: Ein irrationaler Krieg füttert die Mexikaner andauernd mit Angst und Enttäuschung; Wahlen stehen bevor, bei denen sich die meisten Kandidaten nur mit leeren und sinnlosen Diskursen präsentieren, während das Land intellektuelle Figuren bräuchte, die die hiesigen Lebensumstände und die Geschichte des Landes verstehen und womöglich Lösungen und Erklärungen anbieten.
Carlos Fuentes wurde in der mexikanischen Botschaft in Panama geboren. Der Umstand, dass sein Vater Diplomat war, gab ihm die Möglichkeit, viele internationale Erfahrungen zu sammeln, wobei er jedoch regelmäßig in Mexiko war. Er studierte Jura an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko und war Mitglied des Colegio Nacional de México, eine wichtige Einrichtung, deren Aufgabe es ist, Wissenschaft, Kunst und Humanwissenschaften zu schützen und zu fördern.
Ab 1975 arbeitete er als Botschafter Mexikos in Frankreich. 1997 legte Fuentes dieses Amt aus Protest gegen die Ernennung des Ex-Präsidenten Díaz Ordaz zum Botschafter Mexikos in Spanien nieder. Díaz Ordaz war der Hauptschuldige für die Ermordungen der Studenten während der Protestwelle im Jahr 1968.
Carlos Fuentes wird gemeinhin als einer der wichtigsten Schriftsteller der lateinamerikanischen «Literatur des Boom» angesehen; mit diesem Begriff wird eine Gruppe von Autoren bezeichnet, denen Ende der 50er und vor allem in den 60er Jahren der Durchbruch über Lateinamerika hinaus gelang; zu dieser Gruppe zählen auch Gabriel García Márquez, Julio Cortázar und Mario Vargas Llosa. Fuentes hinterlässt ein großes literarisches Werk. Er reflektiert darin die mexikanische geistige Phänomenologie und gibt einen Ausblick auf die lateinamerikanische, weltliche und universelle Realität, die niemals total und fertig ist, sondern mehrgliedrig, oder wie ein Rhizom, malerisch.
Fuentes sagte einmal, nicht der Roman sei tot, sondern der bürgerliche oder bourgeoise Roman. Er nahm eine ganz eigene literarische Haltung ein: die literarische Erneuerung des Gewissens durch Zuhilfenahme filmischer Stilmerkmale sowie der mexikanischen Version des Spanischen und die teils surreale Integration einzelner Worte oder Sätze in verschiedenen Sprachen (Französisch, Englisch, Deutsch, Latein usw.).
Literatur und Politik
Romane wie "Landschaft in klarem Licht", "Nichts als das Leben: der Tod des Artemio Cruz", "La silla del águila" (Des Adlers Stuhl), "La campaña oder Der alte Gringo" demonstrieren die starke Beziehung zwischen Literatur und Politik in Fuentes Werk.
Fuentes verursachte oft Kontroversen. Seine Kritik zeigte stets auf die Pervertierung der Macht und orientierte sich immer in alle Richtungen. Als ein Vertreter lebhafter und gleichzeitig nüchterner Expressivität, nahm Fuentes oft eine ablehnende Haltung ein. Um sein Argument zu verstärken, dass der Pfad der Gesellschaft nicht absolut und fertig ist, sagte er einmal: «Die Freiheit existiert nicht, es ist die Suche nach Freiheit, welche die echte Freiheit mit sich bringt.»
Fuentes war stets sozial verankert, was er auch in seinen Werken zum Ausdruck brachte. Seine Texte wie auch seine öffentlichen Auftritte waren klare und deutliche Provokationen, um die jeweiligen Umstände zu kritisieren: die Gesellschaft und die Politik. Der Mensch ist für ihn eine Vielfalt an Bedeutungen, die durch die heutzutage verbreitete Angst und Beklommenheit in der Krise stecken.
Als Carlos Fuentes zum letzten Mal Anteil nahm an der mexikanischen Politik, bekräftigte er seine große Sorge um die politische Zukunft des Landes. In verschiedenen Interviews sprach er sich gegen die mögliche Präsidentschaft von Enrique Peña Nieto aus, dem Kandidaten der PRI-Partei (Partido Revolucionario Institucional), die aktuell für seinen Wahlkampf massiv Propaganda in den Medien macht. «Ich möchte mir nicht vorstellen, dass Peña Nieto Präsident sein könnte», sagte Fuentes, weil «Peña Nieto scheint mir wie ein Kandidat, der nicht vorbereitet ist.» «Mexiko hat riesige Herausforderungen zu meistern und diese Figur (Enrique Peña Nieto) scheint mir ganz klein ... [Er] ist ein Mann mit geringen intellektuellen Ansprüchen.»
Fuentes meinte, wir in Mexiko sind «blockiert», stecken «in einem Missverhältnis zwischen den Problemen des Landes und mittelmäßigen Kandidaturen», die einzige Möglichkeit für eine Erneuerung wäre Andrés Manuel López Obrador, obwohl Obrador auch ständig Opfer seiner Kritik war.
Fuentes hatte eine Vision, die sich aus der Hoffnung auf die jungen Leute nährte, die heutzutage in der ganzen Welt neue Bewegungen ins Leben rufen: «Es passiert auf den russischen Straßen, in Nordafrika, in Europa, in den USA, warum soll es nicht auch in Mexiko passieren? Es wird Neues, neue Fragestellungen und neue Probleme geben, die nicht in der Agenda der alten Parteien zu finden sind».
Der Autor ist Student der Literatur und Linguistik an der Universität von Guadalajara in Mexiko, der aktuell mit seiner Familie in Deutschland lebt und als freier Journalist schon für die verschiedensten mexikanischen Zeitungen geschrieben hat sowie als Autor eigene Texte und Kurzgeschichten publiziert.
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