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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2012
von Martin Keßler

Der Regisseur der Dokumentation Countdown am Xingu II (siehe Filmbesprechung) informiert über die langjährige Geschichte des Staudammprojekts und den anhaltenden Widerstand dagegen.

Für die Indigenen des brasilianischen Amazonasgebiets ist der Xingu ein heiliger Fluss. Doch dieser Tage wird ihr Fluss geschändet. Der bislang völlig unberührte Riesenstrom wird umgeleitet und zum drittgrößten Wasserkraftwerk der Welt aufgestaut: «Belo Monte». Der Grund: die Versorgung des aufstrebenden Schwellenlands Brasilien sowie internationaler Aluminiumkonzerne (u.a. des norwegischen Alu-Multis Norsk Hydro) mit «billigem» Strom aus Wasserkraft. Dafür werden rund 600 Quadratkilometer Urwald geflutet und über 30.000 Indigene, Flussbauern und Bewohner der Stadt Altamira zwangsweise umgesiedelt.

Die Bauarbeiten haben im Herbst 2011 begonnen: Stihl-Motorsägen bohren sich in jahrhundertealte Urwaldriesen, Volvo-Bagger und Caterpillar-Raupen graben breite Transportpisten in den fruchtbaren Urwaldboden und verladen die Fracht in gewaltige Mercedes-Lkw, die die rotbraune Erde in den Xingu kippen, um den Fluss aufzustauen.

Seit Jahrzehnten laufen Indigenenstämme, Bischof Dom Erwin Kräutler (er erhielt 2011 den alternativen Nobelpreis) und das regionale Protestbündnis Xingu vivo para sempre (Xingu soll ewig leben) Sturm gegen das größte von siebzig weiteren geplanten Wasserkraftwerken im Amazonasgebiet. Im Jahr 1989 konnte eine internationale Protestwelle Belo Monte noch stoppen – weil die Weltbank ihre Kreditzusage zurückzog. Heute finanziert Brasilien das umstrittene Projekt mit Hilfe seiner eigenen Entwicklungsbank BNDES, mit Geldern aus brasilianischen Pensionsfonds und dem internationalen Kapitalmarkt.

Der Protest geht trotz der begonnenen Bauarbeiten weiter. Dabei wird das regionale Protestbündnis Xingu vivo para sempre unterstützt von Rockstar Sting und Hollywoodgrößen wie James Cameron und Sigourney Weaver. Neuerdings erfahren sie auch Unterstützung von brasilianischen TV-Stars, deren Youtube-Spot gegen Belo Monte 1,5 Millionen Brasilianer dazu anregte, den Protest per Unterschrift zu unterstützen. Doch all dies ist bislang vergeblich. Obwohl über ein Dutzend Prozesse gegen Belo Monte vor der brasilianischen Justiz anhängig und umweltrechtliche Genehmigungsverfahren nicht abgeschlossen sind, hat die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff  bereits Tausende Bauarbeiter an den Xingu entsandt.

Nicht nur große brasilianische Baukonzerne wie Odebrecht verdienen kräftig am Umwelt- und Menschenrechtsdesaster Belo Monte, auch europäische Firmen profitieren davon: Daimler Benz liefert für 86 Millionen Euro über 500 schwere LKWs für die Erdarbeiten, die umfangreicher sind als beim Bau des Panamakanals. Ein europäisches Konsortium liefert die Turbinen: Allein die deutsche Voith Hydro (Joint Venture Voith/Siemens) kassiert dafür 443 Millionen Euro, die französische Firma Alstom gar 500 Millionen, die österreichische Andritz 330 Millionen. Die Münchener Rückversicherung erhält für die Absicherung eines Teils des Bauprojekts 16 Millionen Euro Prämien über einen Zeitraum von vier Jahren.

Dagegen regt sich inzwischen nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland Widerstand. Mit Mahnwachen vor der brasilianischen Botschaft in Berlin und am 20.Juni – während des Nachhaltigkeitsgipfels in Rio – protestierte ein Bündnis aus NGOs in Berlin vor der brasilianischen Botschaft und vor dem Firmensitz von Voith Hydro in Heidenheim (u.a. nahmen daran Gegenströmung, Rettet der Regenwald und die Gesellschaft für bedrohte Völker teil).

Ihr Protestbrief, gerichtet an die Geschäftsführungen der am Staudamm beteiligten Firmen Voith Hydro, Alstom, Andritz, Daimler und Münchener Rück zeigt deutlich die vielen Probleme, die der Staudamm mit sich bringt. Hier einige Auszüge daraus:

«Die verheerenden Auswirkungen des Belo Monte-Staudamms» sind beunruhigend. «Durch Ihre Beteiligung an dem Projekt sind Sie dafür mit verantwortlich ... Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat im März 2012 festgestellt, dass bei dem Projekt die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt werden. Das Staudammprojekt Belo Monte entzieht den Einwohnern der Region um Altamira und an der großen Flussschlinge des Xingu ihre Lebensgrundlage. Des Weiteren kann der Bau von Belo Monte nicht als Beitrag zu sauberer Energie gewertet werden. Im Gegenteil: Die Zerstörung von Regenwald, die mit diesem Projekt einhergeht (durch den Bau selbst, aber auch durch illegale Rodungen durch Zuwanderer), wirkt beschleunigend auf die globale Erwärmung.

Das Amazonasgebiet ist eines der sensibelsten Ökosysteme der Erde und wirkt stabilisierend auf das globale Klima. Eine Zerstörung ist nicht umkehrbar und missachtet die Rechte künftiger Generationen. Bei der Entscheidung für Belo Monte wurden energiepolitische Alternativen mit geringeren Auswirkungen nicht ausreichend geprüft. Gerade im Rahmen der aktuellen Debatte um grüne Wirtschaft und Bekämpfung des Klimawandels müssen auch Unternehmen als wichtige gesellschaftliche Akteure ihrer Verantwortung gerecht werden und in ihren Aktivitäten Menschenrechte wahren und umweltgerecht handeln. Daher fordern wir Sie eindringlich auf, sich aus dem Belo-Monte-Projekt zurückzuziehen.»

Weitere Infos zu Belo Monte und den Protesten in Deutschland unter: www.gegenstroemung.org.

Die DVD Countdown am Xingu II kann unter www.neuewut.de bestellt werden; hier ist auch die Vereinbarung von Diskussionsveranstaltungen mit dem Autor möglich.

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