von Werner Abel
Der in SoZ 6/2012 abgedruckte, höchst notwendige und informative Artikel von Kamil Majchrzak, den die junge Welt als Leserbrief nicht veröffentlichen konnte oder wollte, ist mit zwei Bildern illustriert, die eine der abstoßendsten Facetten des Stalinismus zeigen, nämlich sein zeitweiliges Zusammenspiel mit dem Nationalsozialismus, das nicht nur eine verheerende Auswirkung auf die internationale kommunistische Bewegung hatte, sondern auch zur Liquidierung des polnischen Staates führte.
Die Bilder zeigen Szenen der am 22.9.1939 auf dem Brest-Litowsker Prospekt durchgeführten gemeinsamen Siegesparade der Naziwehrmacht und der Roten Armee. Das eine Bild, auf dem auf einem Podest die die Parade abnehmenden Generäle Heinz Guderian und Semjon Kriwoschein zu sehen sind, bedarf einer ergänzenden Erklärung, denn kaum etwas ist gegensätzlicher als die beiden Militärs, die hier den Sieg über einen schwachen Gegner feierten, dem noch dazu von der eigenen Führung untersagt wurde, gegen die Rote Armee zu kämpfen.
Heinz Guderian (1888–1954), Berufsoffizier, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg an der Westfront, kämpfte nach Kriegsende im Stab der Eisernen Division, einem Freikorps im Baltikum, gemeinsam mit Resten der zaristischen Armee gegen die Bolschewiki. Diese Division war berüchtigt für ihre Brutalität. Beim Überfall auf Polen am 1.September 1939 kommandierte er das XIX.Armeekorps der Heeresgruppe Nord. Mit diesem Kampfverband, dessen rasche Siege über die sich verzweifelt wehrende polnische Armee den nazistischen Mythos vom «Blitzkrieg» mit nährten, stieß er am 20.September bei Brest-Litowsk auf sowjetische Streitkräfte, die ohne Kriegserklärung unter fadenscheinigen Vorwänden die polnische Grenze überschritten hatten.
Ganz anders Semjon Moissejewitsch Kriwoschein (1899–1978), der sich als Sohn einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie nach der Absolvierung des Gymnasiums der «Roten-Reiter-Armee» des legendären Semjon Budjonny anschloss, den der jüdische Schriftsteller Isaak Babel durch seine Erzählungen weltberühmt machte. Während Babel, der auch über den Antisemitismus in den Reihen der Roten Armee schrieb, den Zorn Budjonnys auf sich zog und als spätes Opfer der stalinistischen Schauprozesse 1940 ermordet wurde, scheint die Zugehörigkeit Kriwoscheins zu den Budjonny-Verbänden diesen während der großen Säuberungen geschützt zu haben. Nach dem Bürgerkrieg hatte Kriwoschein die berühmte Militärakademie «M.W.Frunse» absolviert und danach ein Bataillon der sog. «Mechanisierten Verbände» übernommen.
Von Spanien bis Berlin
Am 17.Juli 1936 begann mit dem Putsch rechtsgerichteter Offiziere um General Francisco Franco gegen die 2.Spanische Republik, die von einem Volksfront-Kabinett regiert wurde, der Spanische Krieg. Dieser Krieg war, was viele nicht sehen wollten, das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg. Sofort hatte sich ein Nichteinmischungskomitee gebildet, dem auch die UdSSR angehörte, und das jede Unterstützung der sich bekämpfenden Parteien, also auch der bedrängten Republik, ablehnte. Nachdem aber das faschistische Italien und Nazideutschland massiv, vor allem militärisch, die Putschisten unterstützten, sah sich auch die Sowjetunion gezwungen, ihre neutrale Haltung aufzugeben und Waffen an das republikanische Spanien zu liefern. Das aber verlangte auch die Entsendung von Militärs (insgesamt etwas über 2000 Personen), die spezielle Waffensysteme bedienen konnten..
Auch Kriwoschein wurde nach Spanien abkommandiert, für einen sowjetischen Militär war es fast ausgeschlossen, dass er diesen Schritt freiwillig vollzog, zumal es auch keine sowjetischen Freiwilligen im eigentlichen Sinne in Spanien gab. Am 12.Oktober 1936 erreichte der sowjetische Frachter «Komsomol» den Hafen von Cartagena, an Bord waren 50 Panzer vom Typ T-26B und 40 gepanzerte Fahrzeuge, der erste Teil einer Lieferung von insgesamt 281 Panzern (bis zur Einstellung der Waffenhilfe durch Stalin; die Deutschen lieferten 121 und die Italiener 155 Panzer an die Putschisten).
Da die republikanische Armee kaum über Panzer und noch weniger über qualifizierte Panzerfahrer verfügte, schickte die Sowjetunion auf dem genannten Schiff 50 Tankisten mit, deren Kommandeur Oberst Kriwoschein war. Nach der Landung baute er als erstes die Operationsbasis und das Schulungszentrum in Murcia auf.
Die ersten 15 sowjetischen Panzer und ihre Tankisten erhielten schon am 29. Oktober während der Schlacht um Madrid im etwa 48 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Seseña ihre Feuertaufe. Die moralische Wirkung der sowjetischen Waffen war enorm, schon am 28.10. jubelte Ministerpräsident Largo Caballero: «Jetzt haben wir Panzer und Flugzeuge … Der Sieg ist unser!»
Als erfahrenem Militär blieben Kriwoschein die Differenzen im republikanischen Lager nicht verborgen. In einer vertraulichen Information an den Volkskommissar für Verteidigung, Kliment Woroschilow, die dieser an Stalin weiterleitete, schlug er vor, dass «die Kommunistische Partei notfalls auch gewaltsam die Macht ergreifen sollte». Im Februar kehrte Kriwoschein in die Sowjetunion zurück, kämpfte 1938 im Fernen Osten gegen die Japaner, nahm am Krieg gegen Finnland teil und errang nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion höchste Auszeichnungen in der größten Panzerschlacht der Geschichte, in der Schlacht am Kursker Bogen 1943. Sein Weg führte ihn kämpfend bis vors Reichstagsgebäude in Berlin.
Kriwoschein blieb das Schicksal vieler seiner Waffengefährten erspart, die nach ihrer Rückkehr aus Spanien in die Sowjetunion Repressalien ausgesetzt wurden. Als Anfang der 50er Jahre der stalinistische Antisemitismus auch vor der Armee nicht Halt machte, blieb Kriwoschein verschont. Seine Entlassung aus der Armee nach Stalins Tod 1953, er war inzwischen Generalleutnant, hing mit der Reorganisation der Sowjetarmee zusammen.
Kriwoschein steht für jene Generation von Kommunisten, in deren Köpfen der Stalinismus die größten ideologischen Verwüstungen anrichtete. Er, der jüdische Bolschewik, Sowjetpatriot und Internationalist zugleich, freute sich, gemeinsam mit einem Nazigeneral über die Zerstörung eines Staates, über den «Leichnam jener Missgeburt des Versailler Vertrages», wie Molotow und Dimitrov den polnischen Staat nannten, ja er lud Guderian sogar zu den Feierlichkeiten nach Moskau ein, die anlässlich des deutschen Sieges über England stattfinden würden. War sich Kriwoschein nicht bewusst, mit wem er da auf einer Tribüne steht, er, der Jude, mit einem Nazi-Offizier? Vielleicht aber war es auch einer der perfiden Späße Stalins, denn anders als Kriwoschein wollte dieser seinen jüdischen Volkskommissar des Äußeren, Maxim M. Litwinow, den Deutschen nicht zumuten.
Litwinow, der eher auf ein Bündnis mit England und Frankreich orientierte als auf die Freundschaft mit Hitlerdeutschland und der von der Nazipropaganda nur «Litwinow-Finkelstein» genannt wurde, wurde am 3.5.1939 entlassen und durch Molotow ersetzt. Was aber mit Siegesparade der neuen Freunde begann, wurde sechs Tagen darauf folgerichtig mit dem auf die Neuordnung Osteuropas zielenden Grenz- und Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR am 28.10.1939 gekrönt.
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