von Jochen Gester
Voraussichtlich im August dieses Jahres werden der ehemalige Vorsitzende der koreanischen Metallgewerkschaft KMWU bei der Ssangyong Motor Company und der Vizepräsident der KMWU, Kwon Sun-man, aus dem Gefängnis entlassen. Aus diesem Anlass sei hier noch einmal an den 2009 erbittert geführten Arbeitskampf erinnert.
Ssangyong Motors ist der kleinste Autohersteller in Südkorea. Die Firma wurde 2009 von der Absatzkrise in der Autoindustrie existenziell getroffen und meldete Insolvenz an. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass der seit 2006 neue chinesische Haupteigentümer, die Automotive Industry Corporation (SAIC), es vor allem auf den Technologietransfer abgesehen hatte und nicht mehr in die koreanischen Standorte investierte.
Im Rahmen des aufgelegten Restrukturierungsplans wollte der Konzern 2646 Beschäftigte, 36% der Belegschaft, loswerden. 250 Leiharbeiter verschwanden sofort von der Lohnliste. Die anderen sollten mit einer Vorruhestandsregelung abgefunden werden. Ein Teil der Belegschaft des Werks Pyeongtaek, 65 Kilometer entfernt von Seoul, unterschrieb. Ein anderer Teil, etwa 1000 Beschäftigte, lehnten das Angebot jedoch ab und traten am 27.Mai in den Streik. Wenig später besetzten sie auch die Fabrik. Kein Auto ging mehr vom Band. Die Streikenden forderten den Verzicht auf Entlassungen und weitere Auslagerungen und verbarrikadierten sich auf dem Werksgelände. Unterstützt wurden sie von einigen Hundert Familienmitgliedern, die ein Camp errichteten.
Ziemlich rasch wurde deutlich, dass die SAIC über die Streikforderungen nicht verhandeln wollte, sondern auf eine gewaltsame Beendigung des Arbeitskampfes setzte. Am 4. und 5.August versuchte eine Armada aus zuletzt 4000 Polizisten und Hunderten von privaten Sicherheitsleuten und Streikbrechern, das Werk zu stürmen. Vorher waren alle Zugangsstraßen abgeriegelt worden, um den Zugang von Sympathisanten und Unterstützer/innen zu verhindern.
Mehrere Übernahmeversuche wurden abgewehrt. Doch dann gelang es den Angreifern einen Teil des Geländes unter ihre Kontrolle zu bringen. Am 6.August war klar: Der erfolgreiche Sturm auf die Lackiererei, in der sich die Streikenden verschanzt hatten, war nur noch eine Frage von Stunden. Deshalb entschied sich die Mehrheit nach Beratung mit der KMWU zur Aufgabe. Denn die Opfer der Schlacht waren hoch. Nicht nur der Strom war gekappt, Wasser- und Lebensmittelversorgung unterbrochen. Zum Schluss fingen die Eingeschlossenen Regenwasser auf, um nicht zu verdursten. Der großen Zahl von Verletzten wurde der Zugang zu medizinischer Versorgung verwehrt.
Die Polizeimacht hatte mit großer Härte zugeschlagen. Tränengas wurde aus Helikoptern gesprüht und neu entwickelte Elektroschockwaffen eingesetzt. Streikvideos zeigen, wie die vom Unternehmen beauftragten Schlägertrupps zu dritt mit langen Stangen auf bereits am Boden liegende Arbeiter einschlagen. Diese hatten sich bis zuletzt mit allen verfügbaren Mitteln – Molotowcocktails, Zwillen und selbst gebauten Katapulten – zur Wehr gesetzt.
Die bittere Bilanz nach Ende des Streiks: 9 Tote und 12 Suizidopfer, viele Verletzte und Traumatisierte. Auch wenn die Kämpfenden ungebrochen waren, mussten sie die Erfahrung einer gespaltenen Belegschaft machen, die zu keinem gemeinsamen Handeln fand und auch außerhalb, z.B. in den koreanischen Belegschaften der Automobilindustrie, nicht die notwendige Unterstützung fand. Auch das materielle Ergebnis des opferreichen Kampfes war wenig ermutigend. Der Konzern erklärte sich am Ende bereit, 48% der am Streik Beteiligten, insgesamt 640 Beschäftigte, von der Entlassungsliste zu nehmen. Sie sollten in unbezahlten Urlaub geschickt und nach einem Jahr, wenn es die wirtschaftliche Situation erlaubte, wieder eingestellt werden.
Zu dem kam die strafrechtliche Verfolgung der am Schluss verbliebenen 458 Automobilarbeiter. 64 von ihnen wurden 2010 wegen «Gewaltanwendung» und «Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebs» angeklagt und inhaftiert. Zu ihnen gehörten neben Vertretern der KMWU auch externe Unterstützer, die ebenfalls mit einer Schadensersatzklage konfrontiert wurden. Den Löwenanteil der verlangten Schadensumme von über 300.000 Euro soll die Gewerkschaft aufbringen, die bis zum Schluss diesen für illegal erklärten Arbeitskampf unterstützte. Die Klage selbst wurde von der Polizeibehörde eines Staatsapparats eingereicht, dem jetzt ein ehemaliger Hyundai-Manager als Staatspräsident vorsteht. SAIC selbst hatte auf eine Schadensersatzklage verzichtet.
Inzwischen ist der chinesische Investor aus dem Unternehmen ausgestiegen und hat es an die indische Mahindra-Group veräußert, die Ausrüstungen für die Landwirtschaft, SUVs und Lastwagen herstellt, aber auch eine IT-Sparte hat und Geschäfte mit Immobilien macht. Der Konzern hat bisher jede Verantwortung für die Gewaltexzesse seiner Vorgänger abgelehnt. Doch das lässt sich offensichtlich nicht weiter so aussitzen. Bedeutende institutionelle Anleger der Mahinda-Gruppe haben sich zu Wort gemeldet und die Befürchtung geäußert, das könne auf Dauer geschäftsschädigend sein.
Dies ist unsere Sorge nicht. Doch besorgt sollten wir sein, wenn die toten und die überlebenden Akteure dieses Arbeitskampfs von der internationalen Gewerkschaftsbewegung vergessen werden.
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