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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2012
Bankenrettung und Sparpolitik in Spanien

von Paul Michel

Während im Bundestag eine ganz große, schwarz-gelb-rot-grüne Koalition das Hilfspaket für die spanischen und vor allem die deutschen, französischen und englischen Banken durchwinkte, protestierten in Spanien am 19.Juli fast 4 Millionen Menschen gegen dieses Paket. Aufgerufen hatten alle großen Gewerkschaftsverbände und unzählige weitere Organisationen. Und das mit gutem Grund.

Die EU-Partner, allen voran die deutsche Bundesregierung, hatten die 100-Mrd.-Euro-Spritze davon abhängig gemacht, dass die spanische Regierung ein weiteres  Sparpaket verabschiedet, das mittlerweile dritte seiner Art seit Beginn der Euro-Turbulenzen im Jahr 2010. Das erste Sparpaket erfolgte noch 2010 unter der sozialdemokratischen Zapatero-Regierung. Es umfasste Lohnkürzungen für den öffentlichen Dienst, die Streichung von Zuschüssen für Kinder, die Einfrierung der Renten, die Anhebung des Rentenalters sowie eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 2% – insgesamt 15 Mrd. Euro. Nach seiner Amtsübernahme im vergangenen Dezember strich Ministerpräsident Rajoy weitere 27 Mrd. Überdies sparen die Regionalregierungen 18 Mrd. an Bildung und Gesundheit.

Die Kleinen werden zur Kasse gebeten…

Wenn auch im Umfeld des neuen Sparpakets für Spanien auf das demonstrativ-provokative Auftreten der Troika-Kommissare verzichtet wurde, entspricht sein Inhalt doch dem gleichen, grauenhaften, bei Troika-Paketen üblichen, neoliberalen Umverteilungsmuster. Es sieht in einer ersten Version vom 10.Juli Kürzungen in Höhe von 65 Mrd. Euro vor und ist damit härter als alles, was den Spaniern bisher zugemutet wurde. Im einzelnen:

Die Mehrwertsteuer soll von 18% auf 21% angehoben werden. Davon sind Produkte wie Kleidung, Autos, Zigaretten oder Telefondienste betroffen. Der verminderte Mehrwertsteuersatz soll von acht auf zehn Prozent steigen.

Außerdem steigt die Energiesteuer, was abermals die Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders hart trifft.

Die ohnehin nicht üppigen Leistungen für Arbeitslose werden nach sechs Monaten beschnitten, und das in einem Land mit offiziell mehr als 20% Arbeitslosen, das sind 5 Millionen Menschen.

Durch eine Verwaltungsreform sollen in der öffentlichen Verwaltung 3,5 Mrd. eingespart werden – vor allem dadurch, dass man die Serviceleistungen der Rathäuser und Behörden einschränkt. Den Staatsbediensteten, deren Gehalt bereits um rund 5% geschrumpft ist, wird für die nächsten drei Jahre auch das Weihnachtsgeld gestrichen. Werden sie krank, erhalten sie in den ersten 20 Tagen eine geringere Lohnfortzahlung.

Ministerpräsident Rajoy hat angekündigt, das Renteneintrittsalter auf 68 Jahre zu erhöhen.

Mit dem Verkauf von Staatsfirmen will er zusätzliche Einnahmen generieren. Er kündigte an, Flughäfen, Eisenbahnen und Häfen zu privatisieren.

...die Großen werden geschont

Die klassische Klientel der konservativen Regierungspartei PP, die kapitalbesitzenden Eliten mit den dicken Bankkonten, bleibt von Sparmaßnahmen unbehelligt. Der Spitzensteuersatz etwa wird nicht angehoben. Überdies hat die Regierung eine Steueramnestie für all jene erlassen, die in den vergangenen Jahren Millionen vorbei am Fiskus erwirtschaftet haben.

Die verordnete Rosskur beschert Spanien dieselben Ergebnisse wie Griechenland: Die bereits bestehende Rezession wird sich verschärfen. Das Land ist dicht davor, in eine ähnliche Abwärtsspirale wie Griechenland zu geraten. Nicht einmal kurzfristig hat das Sparpaket gewirkt: Am Tag nach der Verabschiedung stiegen die Renditen für spanische Staatsanleihen auf Rekordniveau – 7,2% für zehnjährige Anleihen.

Das Sparpaket der Regierung Rajoy ist die von der EU geforderte Vorleistung für jenes 100 Mrd. Euro schwere Bankenhilfsprogramm für Spanien, das die Euro-Finanzminister am 20.Juli verabschiedet haben. Nach offizieller Lesart soll damit die Überwachung des spanischen Finanzsektors gestärkt werden.

Seltsamerweise gibt es keine Informationen, wie die Kontrolle aussehen soll. Vermutlich wird die spanische Regierung die Aufsicht und Entscheidungsgewalt über die 14 bedrohten Bankinstitute des Landes weitgehend an die Fachbeamten der EU-Kommission und deren Berater aus der Europäischen Zentralbank (EZB) abtreten müssen.

Allerdings ist völlig offen, nach welchen Kriterien entschieden wird, welche Bank oder Sparkasse als «überlebensfähig» erklärt und welche abgewickelt werden soll. Klar scheint nur, dass die großen Gläubiger der maroden Banken auch diesmal nicht zur Begleichung der Kosten für die Sanierung herangezogen werden. Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte, es sei «klar, dass die Besitzer von erstrangigen Anleihen nicht in die Lastenteilung einbezogen werden».

Bluten müssen hingegen jene Kleinanleger, die bei Spaniens Großsparkassen Vorzugsaktien gezeichnet haben. Das sind Leute, die sich z.B. von Anlageberatern der Bankia-Vorgängerin Caja de Madrid überreden ließen, ihre Altersversicherung von 30.000 Euro in sog. Preferentes anzulegen. Preferentes sind komplexe, hochriskante Finanzprodukte, welche die Banken einst für institutionelle Anleger schufen, die eine höhere Rendite wollten.

Als 2007 die Luft aus Spaniens Immobilienblase entwich, wollten die Großanleger keine Preferentes mehr haben. Gerade jetzt aber brauchten die Cajas frisches Eigenkapital nötiger denn je. Also guckten sie sich eine neue Zielgruppe aus, um ihre Finanzlöcher zu stopfen. Sie schickten ihre Berater los und versprachen den arglosen Kleinanlegern fette Renditen ohne Risiko. Bis zu 300.000 gingen ihnen auf den Leim. Jetzt sollen die Preferentes-Besitzer rund 40% ihres Einsatzes verlieren.

Dass Großanleger bei Pleiten eine Vorzugsbehandlung erfahren ist nicht neu. Auch bei den Pleiten 2008/09 der Hypo Real Estate oder der Commerzbank war das so. Der Staat spendierte milliardenschwere Übernahmen, die beteiligten institutionellen Großanleger keinen Cent.

Im Fall von Irland setzten die EZB und die anderen Euro-Staaten mit eiserner Hand durch, dass das kleine Land mehr als 100 Milliarden Euro, rund die Hälfte der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres, an die überwiegend ausländischen Gläubiger seiner bankrotten Banken zahlen musste.

Dabei ist die «Nothilfe» für Spanien seitens der deutschen und französischen Regierung keineswegs uneigennützig. Denn es geht auch um viel «deutsches» Geld. Nach Angaben der FAZ sind deutsche Banken in Spanien mit 112 Mrd. Euro engagiert. In ähnlich hohem Ausmaß sind französische Banken mit im Spiel. Es geht also bei dem Bankenrettungspaket nicht zuletzt darum, Banken und Vermögende in Deutschland und Frankreich  vor möglichen Verlusten zu bewahren. Das erklärt vielleicht, warum die Bundesregierung so sehr bemüht war, einen Bankenrettungsschirm aufzuspannen.

Die Wut steigt

Während die Kleinen bluten, ist das durchschnittliche Gehalt eines Vorstandsmitglieds eines spanischen Multis, der auf dem IBEX-35-Index geführt wird, im vergangenen Jahr um 9% gestiegen und erreichte 2,4 Mio. Euro (deklariertes Einkommen).

Dabei hatte die PP vor den Wahlen versprochen, keine Banken mit Steuermitteln zu retten, keine Steuern zu erhöhen und keine Gehälter zu kürzen. In weiten Teilen der spanischen Bevölkerung kommt nun zur Wut über die obszöne Ungerechtigkeit bei der Aufteilung der Kosten die Empörung darüber, wie schamlos sie von der PP-Regierung belogen wurde. Laut Umfragen besitzt Rajoy, der vor neun Monaten mit absoluter Mehrheit ins Amt gewählt wurde, heute gerade noch das Vertrauen von einem Fünftel der Befragten. Es wird auch sichtbar, dass nicht nur sozial Schwache oder die immer gern als Sündenbock benutzten Beamten Ziel der neoliberalen Attacken sind, sondern auch Teile der Mittelschicht.

Nicht von ungefähr hat die Teilnahme an den Protesten gegen das neue Sparpaket alle Erwartungen übertroffen. Sogar Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte nahmen daran teil. Auf der Kundgebung am 19.Juli in Madrid sprach der Chef der Gewerkschaft CCOO, Ignacio Fernando Toxo, von einer «Aggression gegen Arbeitslose, Beamte, Selbstständige und allgemein gegen die Mittelschicht des Landes, die verarmt».

Die Vereinigte Linke (IU) hat die Bevölkerung zu einem «demokratischen Aufstand» und zum Sturz der Regierung aufgerufen, damit die Krise von «ihren Verursachern, den Spekulanten und den von den antidemokratischen Eliten in der EU geförderten Finanzbetrügern» bezahlen werde.

Die Gewerkschaften im Baskenland haben für den 26.September einen Generalstreik angekündigt. Es ist durchaus möglich, dass er auch in anderen Landesteilen stattfindet.

Nachtrag: Am 3.August hat der spanische Ministerpräsident das Sparpaket noch einmal um fast 40 Mrd. Euro aufgestockt.

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