von Tanja Schultz
Das Babylon in Berlin ist ein bewährter Premierenort für deutsche Erstaufführungen, es war sehr gut besucht und erfüllt von einer besonderen Atmosphäre: Denn es war ein besonderes Publikum anwesend, viele Aktivisten, die in dieser Produktion mitwirkten, sahen sich nach langer Zeit wieder. Man darf nicht vergessen, viele der Aktivisten unterliegen ihrerseits der Residenzpflicht…
Am 10.Mai 2012 wurde der Dokumentarfilm Residenzpflicht von Denise Garcia Bergt das erste Mal gezeigt. Das Babylon in Berlin ist ein bewährter Premierenort für deutsche Erstaufführungen, es war sehr gut besucht und erfüllt von einer besonderen Atmosphäre: Denn es war ein besonderes Publikum anwesend, viele Aktivisten, die in dieser Produktion mitwirkten, sahen sich nach langer Zeit wieder. Die Wiedersehensfreude mischte sich mit der üblichen Vorfreude auf einen noch unbekannten Film. Man darf nicht vergessen, viele der Aktivisten unterliegen ihrerseits der Residenzpflicht, was bedeutet, dass sie das Areal des Übergangsheim, dem sie zufällig zugewiesen wurden, nicht verlassen dürfen – es sei denn, sie haben eine Ausnahmegenehmigung, die kaum zu bekommen ist. Eine Premiere gilt da in der Regel nicht als Ausnahme.
Aber sie waren da, der Vorhang ging auf. Der Film will informieren, das macht er ansprechend und gut. Im Grunde besteht er aus drei Elementen, die abwechslungsreich einander folgen. Er zeigt kommentierte Mitschnitte verschiedener Demonstrationen, welche die Abschaffung der Residenzpflicht erreichen wollen. Zweitens stellt er den historischen Zusammenhang der Herkunft der Rechtspraxis Residenzpflicht aus dem Kolonialrecht Namibias vor. (Die Afrikaner durften ihren Verwaltungsbezirk nicht mehr verlassen.) Der Bogen reicht bis hin zu den Bildern der großen EG-Erweiterungsfeiern von 1986, bei dem Europa sich als Paradies feiert. Die dritte Ebene bilden die Erzählungen Betroffener, die in angenehm zurückgenommenen Bildern präsentiert werden. Die Perspektive, die eingenommen wird, ist die von Aktivisten, sie sollen nicht durch die Erzählung zu Opfern gemacht werden. Diese respektvolle Haltung bewahrt der Film in all seinen Bilder, was ihn so relevant macht für die umfassende Information über das Problem der Residenzpflicht.
Die Residenzpflicht ist eine Rechts- und Verwaltungspraxis, die es auf den rund um die Uhr möglichen Zugriff auf Asylbewerber anlegt. Im Fokus ist dabei nicht die ordentliche Überprüfung der Asylkriterien, sondern eine möglichst kostengünstige und schnelle Organisation der Abschiebung. Das wird einem erschreckend klar, wenn man den Film sieht. Frontex ist eine europäische Initiative ohne öffentliche Kontrolle, die auf europäischer Ebene Abschiebungen organisiert, also die Leute für einen Flug zum Beispiel nach Togo organisiert, damit nicht jedes Land ein eigenes Flugzeug braucht. Mit dieser logistischen Anforderung wird die Residenzpflicht begründet.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Filmsequenzen von Feiern in Brüssel 1986 mit dem Lied «Es ist so schön hier» zynisch und bitter. Auch die Einzelfälle zeigen den ganzen Zynismus dieser Praxis: Die Residenzpflicht bedeutet für die Bewohner von Asylheimen nicht nur ein lokales Disziplinierungsinstrument, sondern auch ein zeitliches, der Tag ist strukturiert durch medizinische Untersuchungen, Ausgabe von Lebensmittelmarken etc., alles Mittel, die Anwesenheit zu überprüfen. Eine Abwesenheit kann juristisch als fehlende Mithilfe ausgelegt werden und gesetzlich verfolgt werden – von hier aus müssen auch unbedingt, das zeigt der Film, die aktuellen Reden von Politikern über eine Lockerung der Residenzpflicht von der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt werden.
In dem Film, in dem sich die Aktivisten tapfer zeigen, wird von den nachhaltigen Wunden gesprochen, welche diese Rechtspraxis bei den Einzelnen schlägt, aber es geht eben nicht um das große Mitleid, das mit schnellen, appellativen Bildern erheischt werden soll, sondern es geht um ruhige Information, durchaus auch Aktivierung der Asylbewerber, aber eben auch um eine stolze Haltung, mit der der Residenzpflicht begegnet wird: Sie zeigt sich zum Beispiel im Lachen der wunderbaren Afrikanerin, die ihre Geschichte erzählt: Sie wurde nach Hennigsdorf verteilt (Brandenburg, 10 km von Berlin entfernt) und wollte in Berlin auf eine Sprachschule gehen, die sie auch aus eigener Tasche bezahlen konnte, das wurde ihr jedoch wegen der Residenzpflicht verwehrt. Sie kämpfte und ging trotzdem – inzwischen lebt sie in den USA, aber ihr Lachen, ihre Haltung, sich durch diese Praxis nicht zum Opfer machen zu lassen, hallt nach und man wünscht dem Film, der jetzt mit einer Karawane durch die Asylantenheime im Land reist, eine breite Öffentlichkeit, damit es zu einem ehrlichen Dialog mit der Politik kommt – auf Augenhöhe.
Termine:
11./12.9., Burg Hohenberg, www.undjetzt-konferenz.de
26.9., Königswusterhausen, 19 Uhr
28.9., Magdeburg, 18 Uhr, Kulturzentrum Moritzhof; Wustrau-Altfriesack, 20 Uhr, Deutsche Richterakademie, Am Schloss 1
3.11., Düsseldorf, 19.30 Uhr
Quelle: http://residenzpflichtdoc.com
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