Für eine humane Gesellschaft
(Hg. H.Platta/R.Bauer), Hamburg: Laika-Verlag, 2012, 253 S., 22,90 Euro
von Karin Gerlich
In der BRD wurde vor allem mit der Agenda 2010 ein gesetzgeberisches Klima geschaffen, in dem Wohlhabende steuerlich – um der Wettbewerbsfähigkeit willen – massiv entlastet und Banken mit Milliardenbürgschaften gestützt, gleichzeitig aber fast 7 Millionen Menschen in Hartz IV abgedrängt werden. Diese Entwicklung wird von der Politik nicht etwa bekämpft, sondern Jahr für Jahr gesetzlich durch materielle Verschlechterungen für die Betroffenen und durch willkürliche Sanktionen untermauert.
Rudolph Bauer und Holdger Platta unterziehen diese Entwicklung im ersten Teil ihres Buches einer gründlichen Analyse, daneben zeigen sie am Beispiel der Stadt Göttingen auch die Arbeitsweise und die Schikanen der JobCenter auf, die die Betroffenen täglich erdulden müssen. Sie stellen Parallelen zur Weimarer Zeit her und machen die damals wie heute der Einschüchterung dienenden Angriffe der Herrschenden gegen die Betroffenen transparent.
Die Artikelsammlung umfasst auch eine Reihe anderer Autoren, darunter den Sozialethiker Friedhelm Hengsbach und den Armutsforscher Christoph Butterwegge, sie beleuchten, welches System von Politik und Wirtschaft dahinter steckt. Mit einem Vergleich der Stigmatisierung Erwerbsloser in den USA und der BRD von Volker Eick wird der erste Teil vervollständigt.
Im zweiten Teil kommen ausschließlich Betroffene zu Wort, sie berichten über ihre persönlichen Erfahrungen und die Entmenschlichung, der sie ausgesetzt sind, und machen sehr plastisch. wie die staatlich organisierte Ausgrenzung von Erwerbslosen per Gesetz im Alltag betrieben wird.
Im dritten Teil stellen verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Blickwinkeln Konzepte für eine Re-Humanisierung vor, sie knüpfen schwerpunktmäßig und an die Arbeitszeitkampagnen der 80er und 90er Jahre an. «Umverteilung von Arbeit» ist der rote Faden und der wichtigste Lösungsvorschlag.
Das ist durchaus der richtige Ansatz, er muss aber Familien-, Sozial- und Einkommenspolitik mit einbeziehen, weil allein 40% aller Alleinerziehenden von Hartz IV betroffen sind – und das sind fast ausschließlich Frauen. Sie sind es, die ungünstige Arbeitszeiten, oder gar Nachtschichten, wegen ihrer familiären Verpflichtungen nicht akzeptieren können. Deshalb muss Familien- und Sozialpolitik eng mit Umverteilung von Arbeit verzahnt und auch die Mindestlohnkampagne eingebunden werden.
Ein wichtiger Aspekt, den der Sozialethiker Hengsbach immer wieder einfordert, darf dabei nicht außer acht gelassen werden: Bezahlte und unbezahlte Arbeit müssen immer als gleichwertig betrachtet werden. Das heißt auch Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die nicht nur mit einem Entgeltpunkt im Rentenrecht honoriert werden kann. Sie ist hoch zu bewerten und angemessen zu bezahlen. Ausreichende Kinderbetreuung, 30-Stunden-Woche, 10 Euro Mindestlohn müssen Eckpfeiler einer solchen Kampagne sein.
Das Buch bietet eine gute Grundlage, um eine solche Kampagne anzugehen, und ist daher sehr zu empfehlen.
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