von Karsten Weber
Die Wirtschaft hat ihre Arbeitsweise auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet. Die Autobahn wird zum Lager. Mag dies betriebswirtschaftlich auch als die kostengünstigste Arbeitsweise erscheinen, so birgt es doch ein gewaltiges Risiko. Wenn nämlich Fernfahrer aufhören, in diesem System zu funktionieren, hat das nicht nur Folgen für die Speditionsbranche, sondern für große Teile der Wirtschaft. Das fahrende Personal verfügt über eine unglaublich große Macht, ist jedoch im Moment nicht in der Lage diese zu nutzen.
Die ÖTV spielte unter den Berufskraftfahrern noch eine gewisse Rolle. Doch die Gewerkschaft, die sich für die Mitglieder hinterm Lenkrad wenig interessiert, sich durch fehlendes Engagement einen schlechten Ruf erarbeitet und in Beratungen immer wieder bewiesen hat, dass sie keine Ahnung von der Branche hat, heißt Ver.di. Heute hat Verdi kaum Bedeutung für die Trucker.
Arbeitsbedingungen
Fernfahrer bilden keine zusammenhängenden Belegschaften. Die Treffen auf Autohöfen und Parkplätzen mit anderen Kollegen sind zufällig und ermöglichen kaum das Entstehen fester kollegialer Strukturen. In diesem atomisierten Berufszweig wird die Schraube der Ausbeutung immer weiter angezogen. In den letzten beiden Jahrzehnten gab es kaum Lohnerhöhungen, während die Überwachung mit dem Fortschritt der Kommunikationselektronik perfektioniert und die Arbeit weiter verdichtet wurde. Die Preise für Toilettengänge, Duschen und Mahlzeiten gingen z.T. extrem in die Höhe.
Im Krisenjahr 2008 entflammten unabhängige Kämpfe, die sich an den Dieselpreisen entzündeten. Initiiert von einem selbstfahrenden Unternehmer, schlossen sich den Protestaktionen mit dem Namen «Dieseldemo» auch Landwirte und Taxifahrer an. Bis zu 500 Trucks versammelten sich auf einem Autohof und veranstalteten hupende Protestkonvois. Die Fahrer hatten jedoch keine Erfahrung in der Selbstorganisation und ließen sich die Kontrolle über das Geschehen entreißen. Ein pensionierter Polizeibeamter drängte sich mit seinem rednerischen und organisatorischen Talent an die Spitze des Protests und würgte den Kampf mit dem Versprechen, die Forderungen an einen Europapolitiker weiterzuleiten, ab.
Das Internet spielt bei der Kommunikation der Fahrer untereinander eine zunehmende Rolle. 2010 entstand beim sozialen Netzwerk «meinVZ» unter dem Titel «Lkw-Fahrer Deutschlands, lasst uns streiken» eine rasant wachsende Gruppe. Dem euphorischen Beginn folgten keine ebenso schnellen Aktivitäten, doch entstanden bleibende Kontakte.
Truckerkrieg?
Ein großer Angriff auf die Arbeitsbedingungen im Speditionssektor kommt aus Brüssel. Die Deregulierung des Gewerbes wird vorangetrieben. Die Frachtpreisbindungen sind bereits seit Jahren aufgehoben, und nun geht es um «Sabotage»: Ein Lkw im internationalen Verkehr kann vor der Rückfahrt in sein Heimatland noch ein paar Tage Transporte im jeweiligen Inlandsverkehr tätigen. Die Restriktionen dafür wurden gelockert. Dies hat zu einer massenhaften Ausflaggung westlicher Unternehmen ins osteuropäische Ausland geführt. Die meisten westlichen Niederlassungen in Osteuropa sind reine Briefkastenfirmen, die nicht einmal den Anschein eines realen Bürobetriebs für nötig halten. So kann man Fahrer zu Löhnen zwischen 3 und 5 Euro die Stunde legal beschäftigen.
Ein aggressiver Verdrängungswettbewerb hat begonnen. Die Angst vor der Billigkonkurenz aus dem Osten nimmt gewaltige Ausmaße an. Die Versuche, die eigenen Bedingungen zu verteidigen, sind oftmals chauvinistisch gefärbt. In Skandinavien gelten selbst deutsche Kollegen als Billiglöhner und potenzielle Lohndrücker. In Dänemark werden ausländische Fahrer oftmals an Speditionen nicht abgefertigt, wenn sie kein Dänisch sprechen. Deutsche Fernfahrer haben nun Dänischkurse bei der Volkshochschule belegt. Die Spannungen zwischen Truckern unterschiedlicher Nationalität steigen und werden von rechtspopulistischen Organisationen weiter angeheizt. Die Presse sprach von einem Truckerkrieg, als in den Niederlanden und Skandinavien osteuropäische Lkw in Flammen aufgingen und Fahrer aus diesen Ländern mit Messern attackiert wurden.
Der KCD
In Antwerpen kam es in diesem Jahr erstmals zu einem internationalen Protest westeuropäischer Trucker gegen Ausflaggung und Lohndumping. Die Protestveranstaltung wurde organisiert von einer Koalition aus Verbänden selbstfahrender Unternehmer und kleiner Speditionen, Gewerkschaften und Hafenarbeitern. Während im deutschen Gewerbe das Gros der Lkw von angestellten Fahrern gelenkt wird, sind es in den Benelux- und Mittelmeerländern mehrheitlich selbstfahrende Unternehmer.
Gegen den Konkurrenzdruck der in Osteuropa angemeldeten Speditionen und gegen chauvinistische Tendenzen wurde die Forderung «Gleicher Lohn für gleich Arbeit» aufgestellt. Die Löhne seien auf das jeweils ortsübliche Niveau anzuheben, gleich in welchem Land die Fahrer angestellt sein mögen. Die 2011 gegründeten Kraftfahrerclubs Deutschlands (KCD) traten als Fahrerselbstorganisation und einzige Vertreter aus Deutschland auf.
Der KCD zeigte sich beeindruckt von der kämpferischen Stimmung in Antwerpen. Da dieser internationale Protest nun durch Europa rollen sollte und der nächste Termin in Dänemark schon feststand, wollte der KCD ihn auch nach Deutschland holen. Ursprünglich hat sich der KCD gegründet, um den ramponierten Ruf des Fernfahrers zu verbessern, auf dem politischen Parkett ist er völlig unerfahren. So ließ er sich von den «Profis», die seine Leute in Belgien kennengelernt hatten, unter die Arme greifen. Heraus kam eine Liste von Rednern, die fast ausschließlich aus dem Unternehmerlager stammten, und einem SPD-Politiker.
Dieser Fauxpas fiel den Organisatoren recht spät auf und man versuchte kurzfristig, für etwas Ausgleich zu sorgen. In letzter Minute gelang es, Videobotschaften von Basisgewerkschaften aus Polen und der Slowakei zu erhalten, zwei Vertreter der CNT reisten aus Spanien an.
Das Protestmeeting auf einem Autohof bei Braunschweig wurde allerdings nicht zu dem kämpferischen Treffen, das man erhofft hatte. Trotz eines Busses voller Gewerkschafter aus Dänemark blieb die Zahl der Teilnehmer weit unter hundert, sie verloren sich auf dem Platz vor der Bühne, die auf einem Lkw-Hänger eingerichtet worden war. Auch kämpferische Reden konnten die Enttäuschung nicht überdecken.
Bei einer Diskussion im Anschluss im Restaurant des Autohofs entstand eine gewisse Euphorie, denn Teilnehmer aus anderen Ländern berichteten, sie hätten ebenso klein begonnen und könnten jetzt zahlreiche Fahrer mobilisieren. Die Profis übernahmen die Diskussion und wollten für den nächsten anstehenden Protesttermin in Brüssel einen europaweiten Verband gründen, um schlagkräftiger zu sein. Der KCD ließ sich von den rhetorisch erfahreneren Wirtschaftsvertretern über den Tisch ziehen. Name, Logo und Vorsitz des neuen Verbandes, ein Unternehmer, standen im Vorfeld schon fest.
Der KCD brauchte nur wenige Stunden um zu erkennen, dass er im Eifer des Gefechts nicht richtig entschieden hatte, und zog seine Zusagen wieder zurück. Die Meldung über diese Fehlentscheidung und die Tatsache, dass einfache Fahrer, die keine Vertreter einer Organisation waren, des Raumes verwiesen wurden, machte unlängst die Runde im Internet. Es kam zu Wogen der Empörung und Beschimpfungen. Der KCD reagierte in ähnlichem Ton.
Die ungeschickten politischen Gehversuche dieses Fahrerverbands endeten in einem Debakel. Die ersten Töne danach lauteten, man könne in Deutschland grundsätzlich keine Solidarität erreichen. Andere Fahrer suchen nun an anderer Stelle und setzen ihre Hoffnungen auf Ver.di. Die gereizte Stimmung beginnt sich jedoch zu entspannen. Die Diskussionen über Arbeitsbedingungen und Organisierungsmöglichkeiten gehen weiter.
Der Autor erstellt Videos über die Lage der Fernfahrer, sie sind unter dem Namen «Kilometerfresser.TV» unter http://Labournet.TV zu sehen.
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