UN-Gipfel gibt grünes Licht für großflächige Ressourcenplünderung
von Daniel Tanuro
Mit der Abschlusserklärung «Die Zukunft, die wir wollen» hätten die Staats- und Regierungschefs einen bahnbrechenden Leitfaden für eine umwelt- und ressourcenschonende Entwicklung geschaffen, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach dem UN-Klimagipfel in Rio de Janeiro am 22.Juni. Die Erklärung illustriert jedoch genau die Zukunft, die wir nicht wollen.
Ein gutes Mittel, die Bilanz einer Politik zu verschleiern, besteht darin, positive und negative Aspekte nebeneinander aufzuzählen, ohne sie zu wägen. Auf diesen alten Kniff griff auch der Resolutionsentwurf für den Gipfel Rio+20 zurück: Er bekräftigt, dass «die seit dem Earth Summit 1992 vergangenen zwanzig Jahre Fortschritte und Veränderungen gebracht haben», um dann hinzuzufügen, dass «die nicht nachhaltige Entwicklung die Belastung der begrenzten natürlichen Ressourcen der Erde verstärkt hat». In der Schlussversion wurde dieser Mischmasch durch eine kohärentere Formel ersetzt, die ebenso hohl ist: «Wir erkennen, dass der in diesen zwanzig Jahren erreichte Fortschritt ungleich gewesen ist.»
Der Klimagipfel 1992 hatte insbesondere die Klimarahmenkonvention (FCCC) verabschiedet, daraus ging mühsam das Kyoto-Protokoll hervor. Zwei Jahre zuvor war der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) gebildet worden. Der vierte Bericht dieses Gremiums bestätigte 2007 die vorhergegangenen: Damit die Oberflächentemperatur der Erde gegenüber dem Stand von 1780 um nicht mehr als 2 °C steigt, müssen die Treibhausgasemissionen spätestens 2015 anfangen zu sinken, damit sie in vierzig Jahren im Weltmaßstab um 50–85% und in den entwickelten Ländern um 80–95% niedriger liegen als 1990.
Reduzierung der Emissionen kein reales Ziel mehr
Global gesehen und alle Treibhausgase zusammengenommen, haben die Emissionen in den letzten zwanzig Jahren um mindestens 25% zugenommen. Außerdem hat sich der Rhythmus der jährlichen Zunahme verdreifacht.
Um die Erwärmung einzudämmen, ist ein verbindliches neues internationales Abkommen dringend erforderlich, das das (im Klimarahmenabkommen festgelegte) Prinzip der gemeinsamen Verantwortlichkeit berücksichtigt, jedoch differenziert nach verschiedenen Ländern und Ländergruppen. Doch die seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 verstärkt grassierende kapitalistische Konkurrenz rückt es in weite Ferne.
Der Gipfel von Kopenhagen 2009 war ein durchschlagendes Fiasko. Die Gipfel von Cancun und Durban 2010 bzw. 2011 haben nur gute Absichten bekundet und mit dem Emissionshandel liberale Scheinlösungen angeboten. Das Ergebnis: Es ist schon jetzt nicht mehr möglich, unter der 2-°C-Grenze zu bleiben. Auf der Basis der Versprechen (!) der Staaten orientiert man sich nun real auf eine Erwärmung von 3,5–4 °C ab heute bis zum Ende des Jahrhunderts oder gar auf noch höhere Werte.
Das Kippen des Klimas wird schwere und irreversible Auswirkungen auf den Meeresspiegel, die Produktivität der Landwirtschaft, die Wasserversorgung, die Biodiversität, die Gesundheit usw. haben. Hunderte Millionen Menschen werden die Folgen tragen müssen, in erster Linie die Armen in den armen Ländern.
Der Abschnitt 70 des Resolutionsentwurfs war der einzige, der Ziele in präzisen Zahlen und Fristen vorschlug: «Wir schlagen vor, die Energieffizienz auf allen Ebenen zu verbessern, mit der Perspektive, ihren jährlichen Zuwachs von heute an bis 2030 zu verdoppeln und den Anteil der erneuerbaren Energien im Energiemix von heute bis 2030 zu verdoppeln.» Diese relativen Verbesserungen hätten noch nicht garantiert, dass die globalen Emissionen tatsächlich um (50–)80% sinken – alles hängt von der Entwicklung der Energienachfrage ab.
Aber selbst das war zuviel: Die Endfassung begnügt sich damit, «dass es darauf ankommt, einen vernünftigeren Energieverbrauch zu haben und den Anteil an erneuerbaren Energien, weniger schädlichen Technologien und mehr Energie liefernden Techniken zu steigern». Man beachte: Die beiden letzten Ausdrücke beziehen sich auf die Atomenergie und die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).
«Grüne» Ökonomie statt Nachhaltigkeit
Die Resolution «stellt mit lebhafter Sorge die bedeutende Kluft zwischen den von den Beteiligten übernommenen Verpflichtungen und den Tendenzen der Emissionen fest», aber sie zieht keine Schlussfolgerung daraus. Warum? Weil ihre Sorge gar nicht ist, «die Armut im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung» zu beseitigen, wie die UNO-Propaganda behauptet, sondern für die enorme Masse an überschüssigem Kapital, das wie Geier auf der Suche nach Profit kreist, Absatzmärkte zu schaffen.
Die Spekulation mit Währungen, Schulden und Rohstoffen reicht nicht mehr, um den Appetit zu stillen, die großen Konzerngruppen setzen immer mehr auf die grüne Industrie und auf die Verwandlung natürlicher Ressourcen in Waren. Die Güter und Dienstleistungen verkaufen, die uns die Natur zur Verfügung stellt, diese Gebrauchswerte in Tauschwerte verwandeln – das ist ihr Ziel.
In diesem Rahmen ist ein neuer Modebegriff aufgetaucht: die «grüne Ökonomie». Deren Definition ist derart nebulös, dass manche darin nur ein neues Etikett auf der alten Flasche «nachhaltige Entwicklung» sehen. Das ist ein Irrtum. Wie der Bericht des Umweltprogramms der UNO (im folgenden UNEP-Bericht) für Rio+20 sagt, «ersetzt dieses Konzept nicht die nachhaltige Entwicklung, doch es wird immer mehr anerkannt, dass die Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung fast vollständig von einem guten ökonomischen Ansatz abhängt».
Wo die «nachhaltige Entwicklung» noch Kompromisse zwischen dem Sozialen, der Umwelt und der Ökonomie nahelegte, schreibt der UNEP-Bericht ohne Umschweife: «Die Unvermeidlichkeit eines Kompromisses zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischem Fortschritt ist die am weitesten verbreitete falsche Idee», denn «es gibt in zahlreichen grünen Bereichen vielfältige Möglichkeiten für Investitionen und daher auch für die Zunahme von Reichtum und Beschäftigung.»
Vor vierzig Jahren plädierte der Club of Rome für ein «Nullwachstum». Sein Bericht stieß vielfach auf Kritik – oft zu Recht, denn die Autoren flirteten mit Malthus –, aber für den Bericht spricht, dass er die offenkundige Unmöglichkeit eines schrankenlosen materiellen Wachstums in einer endlichen Welt beim Namen nannte. Fünfzehn Jahre später versuchte der Brundlandt-Bericht den Konflikt zu lösen, indem er den Begriff der nachhaltigen Entwicklung aufwarf. Die Antwort war nicht stichhaltig, sie berücksichtigte weder den dem Kapital innewohnenden Produktivismus noch den bürokratischen Produktivismus der UdSSR, aber sie zeigte Grenzen auf, weil sie Nachdruck auf einen umsichtigen Gebrauch der Ressourcen legte. In Rio 1992 wurde die nachhaltige Entwicklung als der «unvermeidliche Kompromiss» zwischen den «drei Pfeilern» Soziales, Umwelt und Ökonomie umschrieben.
Die «grüne Ökonomie» bedeutet demgegenüber eine Verschiebung. Da das Kapital sich weigert, sich den Schranken der Ressourcen zu fügen, sind es die Ressourcen, die sich den grenzenlosen Bedürfnissen des Kapitals fügen müssen.
Sieg der neoliberalen Ideologen
Der Durchbruch für das Konzept der «grünen Ökonomie» stellt somit einen Sieg für die neoliberalen Ideologen dar. Seit über zwanzig Jahren kämpfen sie gegen die Notwendigkeit eines «Kompromisses» zwischen der Ökonomie und den anderen «Pfeilern». Zu ihren Argumenten gehört, dass die kapitalistische Aneignung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in einem klaren vorgeschriebenen Rahmen ihre ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich nützliche Verwendung garantiert. Die Weltbank setzt diese Idee mit zahlreichen «grünen» Fonds und Projekten eifrig in die Praxis um. Das UN-Umweltprogramm hat sich der neuen Doktrin vollständig verschrieben.
Doch Plan und Durchführung sind zweierlei. Erstens ist ein bedeutender Teil der grünen Industrie nur potenziell rentabel. Die meisten Quellen für erneuerbare Energie sind gegenüber den fossilen Energiequellen nicht konkurrenzfähig und werden es auch kurzfristig nicht werden.
Zweitens sind gewaltige Kapitalmassen in langfristigen Investitionen im aktuellen Energiesystem gebunden. Die globalen Kosten für die Ersetzung fossiler und nuklearer Kraftwerke werden auf 15–20 Billionen Dollar geschätzt (ein Viertel bis ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts), und die nachgewiesenen Reserven an fossilen Brennstoffen – die einen Teil der Vermögenswerte der Kohle-, Gas- und Erdöllobbies ausmachen – sind im Kohlenstoffbudget fünfmal höher, als die Menschheit zu verbrennen sich noch erlauben kann (das ist die «Kohlenstoffblase»).
Drittens ist ein großer Teil der natürlichen Ressourcen öffentliches Eigentum oder gehört niemandem und ist in Geld nicht messbar.
Eine Zukunft, die wir nicht wollen
Das Kapital kann also sein grünes El Dorado nur erobern, wenn die Staaten ihm den Weg dazu öffnen. Der UNEP-Bericht sagt dies freiheraus: «Die Finanz- und Investitionssektoren kontrollieren Milliarden von Dollars und sind in der Lage, den wesentlichen Teil der Finanzierung zu leisten.» Aber die Profitraten sind unzureichend, sodass «öffentliche Finanzierung wesentlich ist, um die Transformation der Ökonomie in Gang zu bringen». Also besteht der «gute ökonomische Ansatz» darin, die «notwendigen Reformen durchzuführen, um die Möglichkeiten einer grünen Ökonomie für Produktion und Beschäftigung freizusetzen». Diese Ökonomie wird «ein neuer Motor und nicht Bremse des Wachstums» sein.
Die Privatisierung der Ressourcen steht an der Spitze dieses Programms. Für das UN-Umweltprogramm sind nämlich «Unterbewertung, schlechte Verwaltung und schließlich der Verlust von Umweltdienstleistungen» die Folge ihrer «ökonomischen Unsichtbarkeit», die aus der Tatsache rührt, dass es sich «im wesentlichen um öffentliche Güter und Dienstleistungen» handelt. Wenn die Wälder, das Wasser, die Atmosphäre, die Böden, die Sonnenstrahlung, die Fischbestände, die Lebewesen im allgemeinen und die Abfallbeseitigung vollständig privatisiert wären, würden ihre Eigentümer die ökologische Nachhaltigkeit sichern – denn davon hinge die Nachhaltigkeit ihrer Profite ab; die reale Kostenrechnung würde Überkonsumtion verhindern.
Der UNEP-Bericht führt auf, welche Politik durchzuführen ist, damit die natürlichen Ressourcen in Waren verwandelt werden können. Zum Bereich Wasser stellt er fest, dass «der große und nicht nachhaltige Abstand zwischen Versorgung und Entnahmen nur durch Investitionen in Infrastruktur und durch eine Reform der Wasserpolitik, d.h. eine Vergrünung des Wassersektors, geschlossen werden kann». «Vergrünung» bedeutet «Verbesserung der Systeme der Verfügung und Zuteilung; Verallgemeinerung der Zahlungspflicht für Umweltdienstleistungen; Senkung der Subventionen für Betriebsmittel und Verbesserung der Wasserabrechnung und der finanziellen Regelungen».
Aber es geht nicht nur um Privatisierung. Der Übergang zur grünen Ökonomie bedeutet, dass die Regierungen «günstigere Spielregeln für ökologische Produkte aufstellen müssen, d.h. zunehmend frühere Subventionen abschaffen … die öffentlichen Investitionen neu orientieren und die öffentlichen Märkte grün machen müssen». Das ganze Arsenal neoliberaler Reformen wird abgerufen, vom Handel mit Emissionsrechten über die Liberalisierung des Welthandels bis hin zur Bezahlung für Umweltdienstleistungen.
Da die grüne Ökonomie konkurrenzfähig und «kosteneffektiv» sein muss, umfasst das Programm auch Flexibilisierung, prekäre Arbeitsverhältnisse und die Senkung der «sozialen Lasten» – was eventuell durch eine Ökosteuer auszugleichen wäre, wie in Deutschland. Alles im Namen der Beschäftigung natürlich.
Rio+20 ist ziemlich genau «die Zukunft, die wir nicht wollen», wohin uns die soziale und ökologische Zerstörung durch den Kapitalismus führt. Das Interesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten ist es, der Logik des Wachstums und des Profits die alternative Logik der Befriedigung realer menschlicher Bedürfnisse entgegenzusetzen – Bedürfnisse, die auf demokratische Weise und unter Berücksichtigung der Belastbarkeit der Ökosysteme zu bestimmen sind.
Daniel Tanuro ist Agraringenieur und schreibt über Klimafragen. Zuletzt erschien von ihm in SoZ 6/2012 «Wachstumspakt ist Mist». Der UNEP-Bericht findet sich unter www.unep.org/greeneconomy.
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