Es wäre ja schön, wenn das Bundesverfassungsgericht (BVG) am 12.September feststellen würde, dass der Fiskalpakt verfassungswidrig ist. Das ist er, weil die Parlamente ihr Haushaltsrecht aus der Hand geben und sich damit selbst entmachten, während es auf europäischer Ebene keine demokratischen Verfahren der Entscheidung über öffentliche Einnahmen und Ausgaben gibt.
Doch das BVG hat auch das Asylbewerberleistungsgesetz nicht als grundgesetzwidrig erkannt, nicht die zahlreichen Verstöße gegen die Richtlinien zum Waffenexport und auch nicht die Hartz-Gesetze. Ein Hüter des Grundgesetzes ist das BVG schon lange nicht mehr, dafür entwickelt es erstaunliche Fähigkeiten darin, das GG den «politischen Gegebenheiten» anzupassen. Es ist zu einem der wichtigsten Sachwalter deutscher Großmachtinteressen geworden – und die führen über Paris und Brüssel, und nicht über ein wie auch immer gedachtes «Großdeutschland» (etwa Deutschland + Österreich + Benelux + Finnland).
Man höre nur, was die hohen Herrn selber sagen: «Wir bei Daimler sind Anhänger des Euro, ganz klar» (Daimler-Finanzchef Bodo Uebber). «Zum einheitlichen Währungsraum in Europa gibt es keine Alternative» (Norbert Reithoffer, BMW-Chef). «Ein nachhaltiger Euro braucht eine dauerhafte Stabilisierung – bis dahin können wir Griechenland noch durchfüttern» (Roland Berger, Unternehmensberater). «Ich fordere Bundestag, Koalition und Opposition ausdrücklich auf, geschlossen am 23.September dem Gesetz zur Erweiterung des europäischen Rettungsschirms zuzustimmen» (Dieter Hundt, Präsident des Arbeitgeberverbands). (Zitate aus der SZ bzw. der FAZ im Sommer 2012.)
Die Finanzinstitute treiben eh die Politik vor sich her, seit sie die Staatsschulden als Achillesferse des Euro entdeckt haben, und drängen auf «glaubwürdigere Interventionen» der Regierungen, und das heißt: auf die Bereitstellung immer größerer Summen zur Sanierung der Banken – so große, dass sie von einem Land allein nicht gestemmt werden können.
Die Logik der Bankenrettung bewirkt nämlich, dass die Schuldenberge, statt abgetragen zu werden, weiter wachsen – die der Staaten ebenso wie die der Banken und der privaten Haushalte. Der öffentliche Schuldenstand ist im ersten Quartal 2012 sowohl in der Eurozone als auch in der EU-27 gegenüber dem Gesamtjahr 2011 weiter angestiegen. In der Eurozone erhöhte er sich nach Angaben von Eurostat (Juli 2012) von 87,2% des Bruttoinlandsprodukts 2011 auf 88,2% im ersten Quartal 2012. In der EU-27 gab es einen Zuwachs der Staatsschulden von durchschnittlich 82,5% auf 83,4%. In Deutschland sind trotz deutlicher Steuereinnahmen und extrem niedriger Zinsen die Staatsschulden im vergangenen Jahr auf Rekordhöhe gestiegen: auf 2042 Milliarden Euro, das sind 42,3 Mrd. Euro oder 2,1% mehr als ein Jahr zuvor.
In der Wirtschaftswoche, die für ihre Nähe zu den Positionen Hans Werner Sinns bekannt ist, kommen jetzt Leute zu Wort, die locker, flockig so reden: «Die EZB bzw. der europäische Rettungsfonds [wird] irgendwann gezwungen sein, nicht für 400, sondern für mindestens 1000 Mrd. Euro europäische Staatsanleihen zu kaufen.» Die schiere Größe der zur Stabilisierung des Finanzsystems erforderlichen Summen wird so zum entscheidenden Motor für «mehr europäische Integration» und für die «politische Union», die die EU-Regierungen aus eigener Kraft zu stemmen nicht in der Lage waren.
Die Krise gebärt den Balg von einem Bundesstaat. Die Ähnlichkeit mit der Entstehung des Deutschen Reiches ist frappierend: Auch dort wurde erst 1843 die Zollunion errichtet (ein Binnenmarkt), sie bestand die Wirtschaftskrise von 1857, danach kam der Deutsch-Französische Krieg und mit ihm die Durchsetzung der politischen Institutionen des Reichs unter Preußens Führung. Sollte ein Krieg gegen den Iran Wirklichkeit werden, ist nicht ausgeschlossen, dass dann auch das Militär eine Rolle als Geburtshelfer einer Großmacht Europa unter deutscher Führung spielt.
Was sich hinter den verharmlosenden Bezeichnungen «Teil-Übertragung von Souveränität an Brüssel», «europäischer Bundesstaat» oder «Vertiefung der europäischen Integration» verbirgt, ist nichts anderes als die Aushebelung der Verfassungen von 25 EU-Staaten. Vor unseren Augen spielt sich ein Staatsstreich ab, den die Klarsichtigsten unter den Politikern und Wirtschaftsführern nicht einmal leugnen: Barroso sprach schon 2010 davon, dass «die Demokratie in Griechenland, Spanien und Portugal zusammenbrechen könnte»; Mario Monti will, dass die Regierungen sich von den nationalen Parlamenten unabhängig machen; und Dieter Hundt schreibt in seinem Beitrag für die FAZ: «Die Einführung nationaler Schuldenbremsen mit Verfassungsrang ist ebenso notwendig wie eine Verschärfung des Stabilitätspakts.»
Ein solches Europa legt die 25 Unterzeichnerstaaten des Fiskalpakts ein für allemal auf die Diktatur des Finanzkapitals und ein ultraliberales Wirtschaftsprogramm fest, das noch mehr Privatisierungen, noch mehr Deregulierung und noch mehr Lohn- und Sozialabbau fordert.
Die SPD unter Führung Sigmar Gabriels bricht gerade eine Lanze für dieses Europa. Gehüllt in den Umhang des Wachstumspakts spielt sie auf infame Weise mit der Angst der Bürger vor dem wirtschaftlichen Chaos, das ein Auseinanderbrechen der Eurozone bewirken würde. Im Sommer hat sich Gabriel von Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin eine treu-doofes Plädoyer für «die Vergemeinschaftung der Schulden und die Errichtung einer supranationalen Demokratie» geholt. Ein Volksentscheid soll dies absegnen. Gabriel hofft offenbar, das BVG werde einen solchen zur Auflage machen.
Nun sind wir wahrlich nicht gegen einen Volksentscheid und argumentieren schon seit Jahren für eine Neugründung Europas auf der Basis einer Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben, mehr demokratischer Teilhabe und Abschaffung der Rüstung. Doch was sich hier vorbereitet, sind Taschenspielertricks, um mit schönen Worten die Bevölkerung für eine faule Sache rumzukriegen.
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