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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2012
Erste Ergebnisse im Arbeitskampf der Gewerkschaft der Flugbegleiter bei der Lufthansa
von Jochen Gester

Der Arbeitskampf des Kabinenbegleitpersonals der Lufthansa erzwingt Respekt und erste Ergebnisse. Seit Ende August befindet sich die Lufthansa mit der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation (UFO) in einem offenen Arbeitskonflikt, der mehr ist als das bekannte «Business as usual». Fast wie selbstverständlich für die gegenwärtige Periode des neoliberalen Kapitalismus sind es die Arbeitgeber, die den Handschuh in den Ring geworfen haben und den Status quo in Frage stellen.

Die Verkehrskonzerne haben selbst die Deregulierung des Anbietermarkts gefordert, um das beklagte «Tarifkorsett» zu sprengen. Ein Ergebnis sind die sog. Billigfluglinien, die den großen Fluglinien auf den Kurzstrecken mittlerweile beachtliches Geld wegnehmen. Die Antworten darauf heißen, wie überall, Restrukturierungsmaßnahmen: Sie zielen darauf ab, die Methoden der Billigkonkurrenz zu kopieren und den Beschäftigten die Lasten aufzubürden.

Vergleichbare Konflikte gab und gibt es bei der British Airways, der Iberia und der Air France. Bei der BA wurde monatelang immer wieder gestreikt. Doch am Schluss stimmten alle betroffenen Berufsgruppen einem Ergebnis zu, das mehr Arbeit fürs gleiche Geld bedeutet. Bei den Flugbegleitern wurde sogar durchgesetzt, dass Neueingestellte niedrigere Entgelte und schlechtere Arbeitsbedingungen bekommen.

Die Lufthansa AG möchte einen Teil ihres momentan Verluste einbringenden Europageschäfts in eine neu zu gründende Tochter einbringen, bei der das Personal in 90 Flugzeugen deutlich schlechter bezahlt wird. Zudem möchte der Vorstand die Leiharbeit ausdehnen. Mit dem Programm Score will die Lufthansa das ehrgeizige Ziel realisieren, bis 2014 den Gewinn um 1,4 Mrd. Euro zu erhöhen. Die Passagiersparte soll davon 900 Mio. abwerfen.

Widerstand

Dagegen hat sich jetzt unerwartet heftiger Widerstand entwickelt. Die UFO-Webseite gibt über die Gründe dafür folgende Auskunft: «Lufthansa verlangt von uns enorm Lohneinbußen und will gleichzeitig unsere Vergütungsstruktur zerschlagen. Diese Vergütungsstrukturen ermöglichen es uns aber erst, den Beruf des Flugbegleiters auch über Jahre ausüben zu können. Das ‹Angebot› der Lufthansa sieht aber das nicht mehr vor. Als Folge des sog. Angebots würde der Beruf des Flugbegleiters zum Billigjob verkommen, da sich niemand von uns mehr ein langjähriges Verbleiben in der Kabine leisten könnte. Szenarien mit Leiharbeitern und das Outsourcen ganzer Bereiche stehen ganz oben auf der Agenda des LH-Topmanagements.»

Die UFO-Mitglieder, die etwa zwei Drittel der etwa 18.000 Flugbegleiter organisieren, halten dagegen. Sie fordern eine Gehaltserhöhung von 5% und den generellen Verzicht auf Leiharbeit sowie auf das Outsourcen von Unternehmensteilen. Über diese Punkte hatte die Gewerkschaft mit der Fluglinie 13 Monate lang ohne Ergebnisse verhandelt. Im August erklärte sie das Scheitern der Gespräche und leitete den Arbeitskampf ein.

In der Absicht, diesen Arbeitskampf nicht zu einem unwirksamen Ritual zu machen, wurde der Streik erst sechs Stunden vor Beginn bekannt gegeben. Die Lufthansa hatte so wenig Möglichkeiten, der Wucht der Arbeitsverweigerung zu entgehen.

Bereits am ersten achtstündigen Streiktag fiel der Großteil der 360 in Frankfurt geplanten Flüge aus, darunter auch einige der besonders lukrativen Langstreckenflüge. 26.000 Passagiere saßen fest und sorgten für einen heftigen Imageschaden. Vorübergehend durfte aus ganz Europa kein Flug nach Frankfurt starten.

Der Streik wurde in der Folge auf München, Berlin und Stuttgart ausgeweitet. Auch hier gab es beträchtliche Flugausfälle. Nur in der Hauptstadt hob knapp die Hälfte der vorgesehenen 80 Maschinen ab, da hier Leiharbeiter zum Einsatz kamen. Insgesamt waren 100.000 Passagiere von der Absage der Flüge betroffen – für die Lufthansa ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe.

Etwas Neues entsteht

Trotz dieser für die Gewerkschaft beeindruckenden Streikbilanz versuchte der Lufthansa-Vorstand, an seiner Linie «nur Verhandlungen über Löhne, kein Angebot zu den anderen Forderungen» festzuhalten.

Als die UFO daraufhin einen bundesweiten Ausstand von 24 Stunden für das darauffolgende Wochenende ankündigte, gab die Lufthansa ihren Blockadekurs auf. Ein neues Angebot kam auf den Tisch, es kann bereits als Erfolg der Flugbegleiter gesehen werden. Der Vorstand stimmte auch einer Schlichtungsinitiative der Gewerkschaft zu. Die UFO beurteilt die jetzige Lage wie folgt:
«Noch vor der Unterzeichnung des Abkommens zur Einleitung eines Schlichtungsverfahrens hat die Lufthansa dann öffentlichkeitswirksam auf Leiharbeit verzichtet. Naja… – nicht wirklich, da vorerst nur in Berlin, nur in der Kabine und nur auf ‹absehbare› Zeit. Allerdings ist hier erst einmal das Symbol das richtige. Die Lufthansa hat damit der Öffentlichkeit signalisiert, dass sie die Einwände der UFO gegen die bisherigen Planungen nicht mehr ignorieren kann. Nun ist es an uns, auch an diesem Thema weiter zu arbeiten, damit die Leiharbeit dauerhaft ausgeschlossen wird und auch die Kollegen, die bisher bei Aviation-Power für LH geflogen sind, einen sicheren und attraktiven Arbeitsplatz in der Kabine bekommen. Einen Arbeitsplatz, wie wir ihn auch für uns alle erhalten und für künftige Lufthanseaten schaffen müssen.»

Für die Flugbegleiter ist dies der erste wirkliche Arbeitskampf, und er bringt zum Ausdruck, dass hier etwas Neues entsteht, das Anlass zur bescheidenen Hoffnung gibt, dass gewerkschaftliche Tarifkämpfe mit angezogener Handbremse unter Beschuss kommen.

Berufsgewerkschaften beginnen in den Kategorien von «Siegern» und «Besiegten» zu denken, resümierte Detlef Esslinger, Wirtschaftskommentator der Süddeutschen Zeitung. Dies würde die großen Gewerkschaften unter Druck setzen. Finden sie keine Antwort, werden sich die kleinen vermehren und das Land verändern.

Die UFO hat nicht vor, die sozialpartnerschaftliche Orientierung völlig in Frage zu stellen. Doch ist diese nicht mehr bedingungslos. Und der Charme der UFO zeigt sich darin – dies wurde bereits beim Arbeitskampf der Flugsicherer deutlich –, dass sie ihren Mitgliedern wieder eine größere Rolle geben will.

Ein Ergebnis: Für die endgültige Entscheidung über die Annahme eines möglichen Verhandlungsergebnisses aus der Schlichtung soll das für die Annahme erforderliche Quorum auf 50% erhöht werden. Mit dieser Hürde lässt sich dann wirklich nicht mehr jedes Linsengericht durchwinken.

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