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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2012

Zuschussrente – fürs Kapital
von Daniel Kreutz

Die Leyen-Rente ist ein weiterer Trick, die private Altersvorsorge zulasten der gesetzlichen Rentenversicherung auszubauen.

Geringverdiener, die bei Renteneintritt ab 2023 45 Versicherungsjahre (bis 2022: 40 Jahre) nachweisen, davon mindestens 35 Jahre (bis 2022: 30 Jahre) mit Pflichtbeitrags- und Kinderberücksichtigungszeiten – wobei Zeiten der Erwerbslosigkeit nicht mitgezählt werden –, sollen nach dem Willen von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen eine beitragsfinanzierte Zuschussrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erhalten. Ihre Armutsrente würde dadurch auf maximal 850 Euro brutto aufgestockt, soweit kein anderweitiges ausreichendes Haushaltseinkommen vorliegt.

Öffentlich weniger bekannt ist bislang eine weitere Voraussetzung des Vorschlags:

Ab dem Rentenzugangsjahr 2019 müssen nämlich auch fünf Jahre Privatvorsorge («Riester», «Rürup» oder Betriebsrente/Entgeltumwandlung) nachgewiesen werden. Danach steigt die Zahl der erforderlichen Privatvorsorgejahre alljährlich um ein weiteres Jahr, bis ab 2049 35 Privatvorsorgejahre nötig sind – ebenso viele, wie Beitragsjahre zur gesetzlichen Pflichtversicherung.

Würde dies Gesetz beschlossen, hätten alle, die voraussichtlich von Altersarmut bedroht sind und meist noch keinen Privatvorsorgevertrag haben, höchstens bis Ende 2014 Zeit, einen solchen abzuschließen. Die Verabschiedung des Gesetzes wäre der Startschuss für eine Werbeoffensive der privaten Versicherungswirtschaft: «Jetzt Anspruch auf Zuschussrente sichern!»

Zwar würden viele der Angesprochenen mit erhöhtem Altersarmutsrisiko beim Blick ins Portemonnaie nur erneut feststellen, dass dort trotz aller Werbeheftchen nichts ist, wovon sie die Prämien bezahlen könnten. Doch andere, die es sich (noch) leisten können, würden wohl zugreifen: sicher ist sicher. So gäbe es einen neuen Schub beim Abschluss von Privatvorsorgeverträgen, der dem Kapitalmarkt frische Milliarden aus den Taschen der Versicherten und aus staatlicher Förderung zufließen ließe. Das ist der Effekt, zu dem von der Leyens Zuschussrente tatsächlich taugen könnte.

Nebenbei würde die gesetzliche Rentenversicherung noch mit einer Bedürftigkeitsprüfung, einer Anrechnung von Partnereinkommen und einer (eingeschränkten) «Bedarfsgemeinschaft» verhartzt. Solche Elemente des Fürsorgerechts sind im Versicherungssystem systemfremd und haben dort nichts verloren. Indem bei der Zuschussrente Pflichtbeitragszeiten durch Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten um 150% höher bewertet würden, ohne solche Zeiten dagegen nur um 50% höher, würde die gesetzliche Rentenversicherung mit neuen Gerechtigkeits- und Legitimationsproblemen belastet.

Man mag es Frau von der Leyen als Verdienst anrechnen, dass sie die früheren Bemühungen der Mainstreampolitik, die heraufziehende massenhafte Altersarmut wenn nicht weg-, so doch zumindest kleinzureden, endgültig erledigt hat – mit der «Schock-Tabelle» (Bild am Sonntag) ihres Ministeriums über die Rente ab 2030 auf Basis «normaler» Stundenlöhne von 10,80 Euro aufwärts. Zur Abwehr der großen Gefahr ist ihre Zuschussrente indes gänzlich untauglich. Zum einen, weil die allermeisten von Altersarmut Gefährdeten durch die hohen Zugangsvoraussetzungen außen vor blieben.

Zum anderen, weil die Absenkung des Rentenniveaus auf 43% im Jahre 2030 von der Nettozuschussrente von derzeit 762 Euro am Ende nur 643 Euro – weniger als den durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf – übrig ließe. Nicht Gering-, sondern Durchschnittsverdiener benötigen dann voraussichtlich rund 37 Beitragsjahre für eine Nettorente auf Grundsicherungsniveau.

Und schließlich beginnt Einkommensarmut (weniger als 60% des mittleren bedarfsgewichteten Einkommens) nicht erst dort, wo der Grundsicherungsbedarf unterschritten wird. Wo die Mieten sehr hoch sind, können Alleinlebende schon heute einen Grundsicherungsbedarf von 850 Euro haben.

Von der Leyens Versprechen, dass sich dauerhafte Privatvorsorge für Geringverdiener «in jedem Fall auszahlt», bleibt uneingelöst. Das Risiko, am Ende «für den Staat» geriestert zu haben, weil die Riesterrente auf die Grundsicherung angerechnet wird, bestünde fort. Für die Anbieter von Produkten privater Vorsorge ist dies ein ärgerliches Marketinghandicap. Sie hätten durchaus Interesse an einer «Mindestrente» der gesetzlichen Rentenversicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus. Denn erst wenn die Privatvorsorge garantiert anrechnungsfrei bleibt, können sie glaubhaft machen, dass Riestern sich für alle Geringverdiener «lohnt».

Allerdings steht die geneigte Politik, Frau von der Leyen eingeschlossen, dabei vor dem Problem, dass die Legitimität der gesetzlichen Rentenversicherung als Pflichtversicherung futsch ist, wenn bereits mit relativ geringen eigenen Beitragsleistungen ein Mindestrentenanspruch erreicht wird, für den man auf normalem Weg ansonsten mehrere Jahrzehnte Pflichtbeiträge bezahlen muss.

Die kommende Altersarmut trägt vor allem die Namen Riester und Hartz. Zwecks Privatisierung der Alterssicherung zugunsten der Arbeitgeber und der Finanzmärkte wurde mit Riester die Senkung des Rentenniveaus eingeleitet. Die «neue Zumutbarkeit» und die Verpflichtung zur Senkung des Hartz-IV-Bedarfs durch Annahme von Billigjobs entfesselte den Niedrig- und Armutslohnsektor, in dem auch mit Vollzeitarbeit kein Rentenanspruch oberhalb des Fürsorgeniveaus mehr zu erwerben ist. Wer die mit Riester und Hartz geöffneten Schleusen nicht schließen will, soll von der Bekämpfung der Altersarmut schweigen.

Gabriels «Alternativkonzept»

Das betrifft ebenso das «Alternativkonzept» von SPD-Chef Sigmar Gabriel: Er will denen, die 40 Versicherungs- und 30 Beitragsjahre nachweisen können, eine steuerfinanzierte «Solidar-Rente» von ebenfalls 850 Euro garantieren. Tatsächlich ist die nicht als «Rente», sondern– insoweit systemgerechter – als «zweite Stufe» der Altersgrundsicherung gedacht.

Wie von der Leyen (und die grünen Riester-Mittäter) bekräftigt Gabriel die Unumkehrbarkeit der Senkung des Rentenniveaus. Zwar sucht er die Debatte zu nutzen, um die SPD beim «Thema» Mindestlohn zu profilieren. Doch auf einen Mindestlohn, mit dem zumindest eine «grundsicherungsfeste» Rente erreichbar wäre, zielt er nicht. Denn der müsste heute bei 9,30 Euro liegen und bis 2025 auf über 15 Euro steigen, um die Niveausenkung kompensieren zu können. Stattdessen will Gabriel weitere 2% des steuerpflichtigen Bruttolohns in eine obligatorische kapitalmarktbasierte Betriebsrente einspeisen. Dies sei eine «Nachjustierung» der «grundsätzlich richtigen» Kombination von umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Alterssicherung. Die Gewerkschaften sollen «tarifliche Regelungen zur Förderung der Entgeltumwandlung» durchsetzen – und damit dem Kapitalmarkt die Kohle besorgen.

Am Rande auch bemerkenswert: Der von der SPD zwischenzeitlich geltend gemachte Vorbehalt gegen die Rente ab 67, wonach zunächst eine Beschäftigungsquote der Älteren von 50% erreicht werden müsste, taucht in Gabriels Rentenkonzept nicht mehr auf.

Mit Zuschussrente und Solidarrente zeichnet sich ein neuer großkoalitionärer Richtungskonsens in der Alterssicherungspolitik ab. Unter dem Vorwand, die Altersarmut bekämpfen zu wollen, zielt er auf die vorrangige Stärkung der Kapitalmärkte bei fortgesetztem Niedergang und Legitimationsverlust der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Grünen, die am Konzept einer «Garantierente» von «mindestens» 850 Euro basteln, haben sich – durchaus traditionsgemäß – erstmal zwischen Gabriel und von der Leyen positioniert und wären im Ernstfall fraglos mit von der Partie.

Nochmals: Ohne Überwindung von Riester und Hartz, also ohne Rückkehr zu einem den Lebensstandard sichernden, lohnbezogenen Rentenniveau und ohne Überwindung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung, ist gegen die künftig wachsende Altersarmut und Fürsorgeabhängigkeit kein Kraut gewachsen.

Alle rentenrechtlichen Instrumente zur Anhebung der Rentenansprüche von Geringverdienern, insbesondere durch Höherbewertung von Beitragszeiten (z.B. «Rente nach Mindestentgeltpunkten»), laufen im Zuge der Niveausenkung ins Leere. Sie können die erhofften Wirkungen auf Dauer nur entfalten, wenn wieder ein anständiges Sicherungsniveau gewährleistet ist. Doch auch dann – und nach Einführung eines armutsfesten Mindestlohns und angemessener Rentenbeiträge für Erwerbslose – braucht es solche Instrumente, um insbesondere die Folgen von zurückliegenden Zeiten des Niedriglohns und der Erwerbslosigkeit zu bewältigen.

Da im Bundestag allein die Linksfraktion für den Wiederaufbau der gesetzlichen Rentenversicherung und des Sozialstaats eintritt, können Wahlen auf absehbare Zeit keinen sozialen Richtungswechsel herbeiführen. Damit bleibt uns nur die Option, mittels Entwicklung starker sozialer Bewegung die neoliberale Kapitalmacht zu brechen, um uns – der Jugend zumal – Lebensperspektiven in sozialer Sicherheit neu zu erstreiten.

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