von Paul Michel
Grün-Rot stellt sich in Baden-Württemberg unter das Diktat der Haushaltskonsolidierung und der Schuldenbremse. Die grün-rote Landesregierung tut alles, damit Baden-Württemberg auch weiterhin das Musterländle für Renditeritter in der Industrie- und Finanzwelt bleibt. Dafür greift sie Gemeinden und Landesbediensteten in die Tasche und bricht ihre Wahlversprechen in Sachen Schulpolitik.
Finanzminister Nils Schmid (SPD) ist stolz darauf, dass die SPD maßgeblich an der Einführung der Schuldenbremse beteiligt war. Er ist sich da ganz mit seinem Ministerpräsidenten Wilfried Kretschmann von den Grünen einig: Der erklärte im Juli, die Schuldenbremse solle so rasch wie möglich in der Landesverfassung verankert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll jetzt auf Teufel komm raus gespart werden.
Auf 2,5 Mrd. Euro hat Grün-Rot die dauerhafte Deckungslücke zwischen Einnahmen und Ausgaben beziffert. Die Schuldenbremse gebietet aber bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt. Nach den Vorstellungen der Regierung müssen die Ausgaben bis 2020 strukturell um diese 2,5 Mrd. heruntergefahren werden. Der Doppelhaushalt 2013/2014 versteht sich als Schritt hin zu diesem Ziel und sieht ein Sparpaket von insgesamt 800 Mio. Euro vor. Im kommenden Jahr will die Regierung 550 Mio. Euro kürzen, 2014 weitere 250 Millionen.
Die Opfer
Vier Adressaten kennt die Sparpolitik bislang.
Die Kommunen: Hauptadressat des Sparpakets sind die Städte und Gemeinden. Bei ihnen hatte Finanzminister Schmid über den kommunalen Finanzausgleich mehr als 400 Millionen Euro rausschlagen wollen. Nach Abschluss der Verhandlungen muss er sich jetzt mit etwas weniger bescheiden. Die Kommunen speisen den Landeshaushalt in den Jahren 2013 und 2014 mit jeweils 340 Millionen Euro. In den zwei darauffolgenden Jahren sinkt der Betrag dann auf jeweils 315 Millionen Euro (Stuttgarter Zeitung vom 11.9.2012).
Die Beamten: Die zweite Gruppe im Visier sind die Landesbeamten. Das Sparpaket, das der Finanzminister ihnen schnüren will, umfasst für das kommende Jahr 20 Millionen Euro, 2014 sollen es 40 Millionen sein, bis 2020 könnten es einige hundert Millionen Euro werden. Die Eingangsbesoldung der Landesbeamten des gehobenen und höheren Dienstes soll zu diesem Zweck drei Jahre lang um jeweils 4% werden. Zudem ist in den Etatplanungen für die Landesbeamten lediglich eine Erhöhung um 1,5% vorgesehen. Sollte Ver.di bei den Tarifkräften höhere Lohnerhöhungen durchsetzen, so will das die Landesregierung nicht an die Beamten weitergeben. So die Botschaft. Hinzu kommen ein höherer Selbstbehalt bei der Beihilfe sowie geringere staatliche Leistungen bei technischem Zahnersatz und für mitversicherte Lebenspartner (Südwestpresse vom 11.9.2012).
Der DGB Baden-Württemberg in Person seines Landesvorsitzenden Nikolaus Landgraf erklärte dazu: «Wir akzeptieren weder die Absenkung der Eingangsbesoldung noch eine Verschiebung künftiger Tariferhöhungen.» Der Chef des Beamtenbunds, Stich, ließ erkennen, dass er für eine Verschiebung künftiger Tariferhöhungen zu haben wäre.
Die Lehrer: Schlussendlich soll bei den Lehrerstellen gekürzt werden, von einem Abbau von 11.600 Lehrerstellen bis 2020 ist die Rede. 2013 will Grün-Rot in einem ersten Schritt 1000 Lehrerstellen nicht wieder besetzen, 2014 sollen weitere 1200 Stellen wegfallen. Das Einsparpotenzial beziffert sie auf insgesamt 23 Mio. Euro.
Auch für die aktiven Lehrerinnen und Lehrer plant Kultusministerin Gabriele Warminski-Leithäuser Verschlechterungen: zunächst bei den Anrechnungsstunden – das sind Stundenreduzierungen, die Kollegen gewährt werden, wenn sie in der Schule bestimmte Organisationsaufgaben wie Verwaltung der Schulbücherei oder Betreuung der Computer übernehmen. Sodann will die Kultusministerin ihnen die Altersermäßigung wieder wegnehmen – ab 58 Jahren eine, ab 60 Jahre zwei Unterrichtsstunden weniger. Was das für die Kollegen bedeutet, interessiert sie wenig.
Im Unterschied zu den Einsparungen bei den Gemeinden und Landesbeamten sind die geplanten Einsparungen an den Schulen unpopulär. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen fordern 78% der Bürger in Baden-Württemberg Zusatzausgaben für den Bildungsbereich, Sparpotenziale sehen da nur 2%. Die Sparpläne im Schulbereich sind für die Landesregierung zudem pikant, weil sie in ihrem Wahlkampf «Bessere Bildung für alle» versprochen hatte.
Die Lehrergewerkschaft GEW äußerte sich empört über die Rückwärtsrolle der Landesregierung, ihre Vorsitzende Doro Moritz spricht von einem Wortbruch der Landesregierung: «Die Landesregierung hatte bessere Bildung für alle versprochen und wird es mit der geplanten Streichung nicht einmal schaffen, den Status quo der schlechten Bildungspolitik von CDU und FDP zu halten. Es gibt in der ganzen Legislaturperiode bis 2016 keine Gründe, auch nur eine einzige Lehrerstelle zu streichen. Wenn wir weiterhin wohnortnahe Grundschulen und kleinere Klassen, echte Ganztagsschulen und bessere Unterrichtsversorgung, den Lehrermangel verhindern und Inklusion realisieren wollen, brauchen wir alle frei-werdenden Lehrerstellen in den Schulen.»
Die Kinder: Bei den Verhandlungen am 18.September «entdeckte» die Landesregierung noch einen weiteren Streichungsposten: das Landeserziehungsgeld. Im Koalitionsvertrag hat es noch geheißen: «Mit einem reformierten Landeserziehungsgeld wollen wir ärmere Familien mit Kindern bis zu einem Alter von 13 Monaten besonders unterstützen.» Von der Kürzung verspricht man sich eine Einsparung von 2 Mio. Euro für 2013 und 28,5 Mio. für 2014.
Schwacher Protest
Angesichts der Unverfrorenheit der Sparmaßnahmen ist es bisher erschreckend ruhig im Ländle. Das liegt nicht zuletzt an den Vertretern der «Opfer» der Sparmaßnahmen. Bei den Gemeinden sitzen dem Finanzminister überwiegend konservative Bürgermeister gegenüber, deren Amtsverständnis in den von ihnen geleiteten Kommunen zumeist mindestens so neoliberal ist wie das des Finanzministers und denen die Verteidigung sozialer Standards eher lästig denn Herzensangelegenheit ist. Sie kamen schnell zu einer Einigung. Und von einem Beamtenbund, der kreuzbrav akzeptiert, dass ihm die Obrigkeit das Streikrecht verwehrt, und deshalb seine Aktivitäten auf das Ausspielen von Beziehungen und Hinterzimmergekungel mit dem Dienstherrn beschränkt, hat eine von neoliberaler Skrupellosigkeit getriebene Landesregierung nicht viel zu befürchten. Leider ist es so, dass sich die gewerkschaftliche Vertretung der Landesbeamten im Fachbereich 6 von Ver.di vom Beamtenbund bisher nur geringfügig unterscheidet und in Tarifrunden des öffentlichen Dienstes durch Passivität hervortut.
Bliebe da noch die GEW. Sie prangert die skandalöse Rückwärtsrolle der grün-roten Regierung in der Schulpolitik an. Bei allen von der Regierung anberaumten Sparrunden zeigt die GEW mediale Präsenz und macht immer wieder auf den Wortbruch der Regierung aufmerksam. In einer Presseerklärung schreibt Doro Moritz: «Mit zahlreichen Veranstaltungen und Abgeordnetengesprächen wird die GEW gegen die Sparmaßnahmen protestieren.»
Ob und mit welchen sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten Doro Moritz Gespräche führt, ist nicht bekannt. Vielleicht sollte sie sich einmal mit ihren Gewerkschaftskollegen vom Ver.di-Fachbereich 9 (Telekommunikation und IT) unterhalten. Sie mussten schon häufig die Erfahrung machen, dass Vieraugengespräche mit Abgeordneten ein völlig untaugliches Mittel sind, um Sparmaßnahmen und Personalabbau zu verhindern. Leider sind auch zwei Monate nach dem Bekanntwerden der Sparpläne immer noch keine Bemühungen der Lehrergewerkschaft erkennbar, Lehrer, Schüler und Eltern zu mobilisieren.
UmFAIRteilen!
Auf ihrer Webseite weist die GEW auf die Aktionen «UmFAIRteilen» am 29.September hin. Vergeblich sucht man bei der GEW oder dem DGB nach Publikationen, in denen der von der Kampagne UmFAIRteilen richtig hergestellte Zusammenhang zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut auf die konkrete Situation in Baden-Württemberg heruntergebrochen wird. Dabei liegt das auf der Hand.
Schon 2009 legte Verdi dar, dass die Wiedereinführung der Vermögensteuer mit einem Steuersatz von 1% und einem Freibetrag von 500000 Euro für eine vierköpfige Familie dem Land Baden-Württemberg Steuermehreinnahmen in Höhe von 2,7 Mrd Euro jährlich einbringen würde. Das allein wäre schon mehr als jenes «strukturelle Defizit» in Höhe von 2,5 Mrd Euro, mit dem Kretschmann und Schmid ihre Sparmaßnahmen begründen…
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