von Dieter Braeg
Die Maschinenmenschen sind mir im Buch von Gunnar Hinck (Jahrgang 1973) nicht begegnet, dafür begegneten mir vor allem Peter Bernd, Rudi Dutschke, Joschka Fischer, Thomas Schmid, Hans Gerhard Schmierer und einige andere. Manchmal seitenweise wird aus dem reichhaltigen Textfundus der hier Aufgezählten zitiert, um damit die Meinung des Autors besser zu verkaufen, die in den Kapitelüberschriften zu Ausdruck kommt: «Macht und Machtmissbrauch», «Gewalt – Spiel mit dem Feuer», dazu «Verbrüderung mit Diktaturen» oder «Der Terror der Worte» und als Nachschlag dann noch «30 Jahre danach – Untergetaucht, gescheitert, angepasst».
Rudi Dutschke kommt noch einigermaßen gut weg, ansonsten geht’s zur Sache, vor allem die K-Gruppen kriegen gewaltig eins auf die Mütze. Dass dabei über ein Drittel der Texte nicht von Hinck stammt, sondern aus der Feder oder aus mündlichen Äußerungen der von ihm Kritisierten, meist kunterbunt und zeitlich ungeordnet verwendet, macht die Sache, um die es eigentlich gehen sollte, nicht besser.
Ich habe mich schon vor der letzten Seite (464) gefragt, wieso ich – es geht ja um die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre – kein Wort des Lobes oder der Kritik zum Sozialistischen Büro lesen konnte. Wieso eine radikale linke Gewerkschaftsbewegung, die Arbeitskämpfe, Betriebsbesetzungen (etwa Erwitte), Kampf um Arbeitsplätze (Kalldorf), Abschaffung einer diskriminierenden «Leichtlohngruppe» (Pierburg) oft ohne gewerkschaftliche Zustimmung organisierte, in diesem Buch keinen Platz findet – oder gab bei Opel, Ford oder Volvo in Dietzenbach keine Kämpfe von abhängig Beschäftigten?
Gab es beim KB (Hamburg), und nicht nur dort, nicht eine Vielzahl sehr gut gemachter Betriebszeitungen? Keine Zeile zur Sprache, mit der da in den Betrieben der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit den Belegschaften, oft sehr erfolgreich, näher gebracht wurde? Gab es in dieser Zeit kein Russell-Tribunal, dass sich gegen Berufsverbote und die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaften richtete? Der Pfingstkongress in Frankfurt im Jahre 1978 – mit keinem Wort erwähnt! Der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, ein besonders erfolgreiches linkes Projekt (beim Fischer Taschenbuch Verlag erzielten die Bände eine Auflage von über einer Million!) – keine Zeile wert! Die Wirkung und Nachhaltigkeit allein dieser Bewegung bedürfte einiger Kapitel, würde man sich wirklich ernsthaft mit der Geschichte der bundesdeutschen Linken der 70er Jahre beschäftigen.
Hinck verengt die 70er Jahre stark auf jene, die den langen Marsch irgendwann dafür nutzten, um die eigene Karriere voranzutreiben, während er für die, die gehofft hatten, im wahrsten Sinne des Wortes für’n Arsch war. Das hat zwar nicht wirklich etwas mit der Geschichte der Linken in den 70er Jahren zu tun, aber es macht sich gut, wenn Hinck mit seiner oft hintergründigen Vorwurfssprache etwa feststellt:
«Es fällt auf, dass eine Regierung, die die Grundlagen der Sozial- und Wirtschaftspolitik am stärksten in Richtung des Marktprinzips verschoben hat, diejenige in der Geschichte der Bundesrepublik ist, in der der Anteil ehemaliger dogmatischer Marxisten am höchsten war. Weder vorher noch nachher waren ehemalige Marxisten, Marxisten-Leninisten, Maoisten und linksradikale Straßenschläger auf höchster Ebene nennenswert an einer Bundesregierung oder an der sie stützenden Parlamentsmehrheit beteiligt. Zu nennen wären [es folgen zahlreiche Namen späterer Minister].»
Was all diese «Personalien» und die daraus resultierenden Schlüsse, die Hincks in seinem Buch beschreibt, mit der Geschichte der Linken von 1970 bis 1980 zu tun haben, bleibt ein Geheimnis. Die oft eingestreuten Personenbeschreibungen sind mehr als übelwollend. Einer der Höhepunkte ist die Anpatzerei mit der er der Mutter von Andreas Baader, Anneliese Baader, vorhält, als Alleinerziehende habe sie ihren Sohn geliebt und ihn «schranken- und bedingungslos» aufwachsen lassen.
Dass der Rotbuch-Verlag in den 70er Jahren die kritischen Gewerkschaftsbücher veröffentlichte oder einen vorbildlichen Band zur Arbeit der Plakat-Gruppe bei Daimler Benz herausgab, hat keinen Einfluss auf die Betrachtungen des Autors. Berni Kelbs Betriebsfiebel, die auch meine politische Arbeit im Betrieb beeinflusste, kennt der Autor nicht und zur Geschichte der Uhrenfabrik LIP, die viele linke Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit der Frage «Produktion ohne Chefs und Kapital» beschäftigte, findet sich kein Wort, kein Satz.
Thema verfehlt, schlechtes Buch, sehr schlechtes Buch!
Gunnar Hinck: Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre. Berlin: Rotbuch 2012. 464 S., 19,95 Euro
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