Angestoßen durch die rentenpolitischen Vorschläge von Ursula von der Leyen diskutiert die Republik – viele Akteure in CDU und SPD wider Willen – über die kommende Altersarmut. Das ist ein Fortschritt, fand die Debatte bisher doch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dafür gebührt der CDU-Ministerin ein großes Lob. Ihre Rechenbeispiele zeigen, wie gering die Rentenansprüche der Geringverdiener sein werden: Wer brutto 2100 Euro verdient, keine Zusatzversorgung abschließt und nur auf 35 Beitragsjahre kommt, erhält später mit 686 Euro eine Rente, die unter dem Grundsicherungsniveau liegt.
Die Linkspartei propagiert im wesentlichen zwei Maßnahmen gegen Altersarmut. Erstens die Rücknahme der – von der Regierung Schröder durchgesetzten – Absenkung des Rentenniveaus von 51 auf 43% und zweitens die Einführung eines Mindestlohns von mindestens 10 Euro.
Gut gemeint ist aber nicht gut gemacht. Nehmen wir einen Beschäftigten, der 10,60 Euro verdient und auf immerhin 40 Beitragsjahre kommt. Selbst bei Anhebung des Rentenniveaus auf 51% erwartet ihn mit 709 Euro eine Rente auf Armutsniveau. Kurzum: Der Mindestlohn und die Anhebung des Rentenniveaus schützen nicht vor Altersarmut. Das hat auch die Linkspartei erkannt und auf dem Göttinger Parteitag flugs die Einführung einer «Mindestrente von 1050 Euro netto» gefordert. Das hört sich sozial und gerecht an. Denn wer will bestreiten, dass man 1000 Euro im Monat braucht, um anständig zu leben?
Die Tücke liegt nur im Detail. Zwei Fragen werden nicht beantwortet. Erstens: Wird die Mindestrente aus Steuer- oder Beitragsmitteln finanziert? Zweitens: Ist es gerecht, dass ein Beschäftigter, der 40 Jahre einzahlt, genauso viel Rente erhält, wie jemand der kaum oder nie einzahlt? Das betrifft nicht wenige. Wer bei einem Rentenniveau von 51% brutto 2700 Euro verdient und 40 Jahre einzahlt, würde 7 Euro mehr erhalten als die Mindestrente der Linkspartei.
Die Linksfraktion im Bundestag geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie fordert zwar nur eine Mindestrente von 900 Euro, dafür soll aber eine selbstgenutzte Immobilie mit bis zu 130 qm nicht angerechnet werden. In Großstädten kann eine solche Eigentumswohnung mal locker 500.000 Euro kosten. Wer sein Leben lang arbeitet und in die Rentenkasse einzahlt, würde durch die Linksfraktion sogar deutlich schlechter gestellt als ein Erbe, der nie einen Cent einzahlte, aber im Alter seine Luxuswohnung nutzt. An dieser Beschlusslage zeigt sich, wie stark die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens bereits in der Offensive sind.
Erfolgreicher könnte die neoliberale Strategie der Delegitimierung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht betrieben werden! Wer kann, der wird aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen fliehen. In den Großstädten ist dieser Trend weit vorangeschritten. Honorar- und Werkverträge der Freelancer verdrängen zunehmend reguläre Beschäftigungsverhältnisse: Das Kapital spart die Arbeitgeberanteile und der Freelancer hat mehr netto vom brutto. Kein Wunder, dass in diesem Milieu das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens in allen seinen Varianten ausgesprochen populär ist.
Wie auf diese Weise das vielfach propagierte «solidarische Mitte-Unten-Bündnis» gelingen soll, bleibt das Geheimnis der Linkspartei. Vielmehr entpuppt sich diese Rentenpolitik als trojanisches Pferd zur Durchsetzung der Partikularinteressen der urbanen Erben- und Shareholder-Generation. Ein Mitte-Unten-Bündnis kann aber nur gelingen, wenn sowohl die prekär Beschäftigten als auch die «arbeitnehmerische Mitte» (Michael Vester) am gleichen Strang ziehen. Stattdessen basteln Teile der Linkspartei offenkundig an einem Bündnis zwischen dem Hartz-IV-Milieu und urbanen Freelancer-Mittelschichten. Hegemoniefähig ist das nicht!
Richtig ist: Wir brauchen die Rücknahme aller Rentenkürzungen, insbesondere der Absenkung des Rentenniveaus auf 43%. Ebenso notwendig sind die Abwicklung der Riester-Rente, die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung.
All das wird aber in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar sein. Genauso wenig wie ein Mindestlohn von 15 Euro, der für eine Existenzsichernde Rente selbst bei Rücknahme der Rentenkürzungen nötig ist. Machbar und durchsetzbar ist aber eine steuerfinanzierte Anhebung der Rentenansprüche für Geringverdiener.
Steuerfinanziert deshalb, weil eine auskömmliche Rente eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Eine Querfinanzierung durch alle Beitragszahler würde die Legitimität des Systems untergraben. In diesem Sinne, aber auch nur in diesem, hat Ursula von der Leyen recht! Wer 35 Jahre für den Mindestlohn gearbeitet hat, muss im Sinne des Lohnabstandsgebots eine deutlich höhere Rente erhalten als die jeweilige Grundsicherung, egal wie hoch diese ausfällt.
Zu einer ehrlichen Debatte gehört auch offen einzugestehen, dass eine Anhebung des Rentenniveaus zu deutlich steigenden Beiträgen führen wird. Da die Beiträge aber hälftig vom Kapital getragen werden, blieben die Effekte für die arbeitende Generation verkraftbar. Zudem wäre der positive Nebeneffekt, dass die Lohnkosten in Deutschland endlich steigen und die Ungleichgewichte in Europa verringert werden.
Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass die Programmatik der Linkspartei das solidarische Rentensystem weiter unterminiert. Die Rentendebatte wird im Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Es darf bezweifelt werden, dass DIE LINKE in dieser Debatte wird punkten können.
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