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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2012

von Wolfgang Pomrehn

Das Perfide an der Schuldenlösung für Griechenland ist, dass die Gläubiger das Land bei jeder einzelnen Auszahlung einer Tranche erpressen können.

In Griechenland wird seit Mitte September über das dritte Kürzungspaket der sogenannten Troika verhandelt. EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds verlangen von der Regierung Einschnitte in die öffentlichen Haushalte in von Höhe 11,5 Mrd. Euro. Erst dann soll die nächste Tranche ausgezahlt werden.

Effektiv handelt es sich hierbei, anders als in der deutschen Öffentlichkeit meist dargestellt, nicht um Hilfsgelder, sondern um Umschuldungsmaßnahmen. Das neue Geld geht nahezu ausschließlich in den Schuldendienst, das heißt an die Gläubiger und keineswegs an die griechische Bevölkerung. Sofern diese über Pensionsfonds u.ä. im Besitz von griechischen Staatsanleihen war, wurde sie beim Schuldenschnitt im Frühjahr bereits reichlich geschröpft. Die fünf griechischen Pensionsfonds hielten griechische Staatsanleihen im Wert von 27 Mrd. Euro; da auch sie dem Schuldenschnitt von 70% unterzogen wurden, konnten sie danach ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. In der Folge wurden die Renten drastisch gekürzt. Schuldenschnitt bedeutet für die über Pensionsfonds Versicherten Rentenschnitt.

Die EZB hingegen hatte sich geweigert, auf Schuldforderungen zu verzichten, und während sie inzwischen spanische, portugiesische und die Anleihen anderer Euroländer aufkauft, um deren Zinsen niedrig zu halten, kommt Griechenland nicht in den Genuss dieser Maßnahme.

Bei Redaktionsschluss waren die Verhandlungen festgefahren. Während die Regierung versucht, vor allem die geforderten Einschnitte bei der Rente und die Entlassungen im öffentlichen Dienst abzuwehren, bewegen sich die Vertreter der Troika keinen Millimeter. Gegenüber der griechischen Presse lassen sie keinen Zweifel daran, dass es ihnen auch ums Prinzip geht. Zum Beispiel soll das «Tabu» der Arbeitsplatzgarantie im öffentlichen Dienst gebrochen werden, heißt es in einem Bericht der englischsprachigen Wochenzeitung Athens News.

Besonders hart treffen die Sparmaßnahmen die Jugend. Seit letztem Jahr bekommen die Kinder in den Schulen keine Bücher mehr sondern nur noch Kopien. In der Altersgruppe zwischen 18 und 35 sind 48% ohne Einkommen. 75.000 kleine und mittlere Unternehmen haben in den letzten zweieinhalb Jahren geschlossen. Anders als in Deutschland bekommen Arbeitslose nur maximal acht Monate Unterstützung, wobei diese Zeit weit gekürzt werden soll.

Danach sind sie vollkommen sich selbst überlassen, was unter anderem dazu führt, dass sie nicht mehr in die Krankenkassen einzahlen können. Rund ein Drittel der Krankenhäuser soll geschlossen werden.

Zahlreiche Initiativen von Ärzten und anderen sind nun dabei, soziale Gesundheitszentren für kostenlose Versorgung aufzubauen, um das Schlimmste zu verhindern. Derlei Initiativen entstehen im ganzen Land: Ärzte arbeiten in ihrer Freizeit, Arbeitslose helfen bei der Verwaltung, lokale Behörden stellen Räume zur Verfügung. Manchmal werden diese auch besetzt. Andere Initiativen organisieren den Vertrieb von Lebensmitteln direkt von den Bauern, gemeinsame Kinderbetreuung, Tauschbörsen für Kinderkleidung oder auch eine Musikschule. Derzeit laufen im ganzen Land regionale Versammlungen, auf denen die Initiativen koordiniert werden sollen; für Ende Oktober ist ein nationales Treffen geplant.

Auf der anderen Seite spitzt sich die soziale Situation weiter zu. Die Zeitungen berichten von einer Selbstmordwelle bisher ungekannten Ausmaßes, 110.000 Menschen sind in den letzten sieben Monaten ausgewandert (Griechenland hat eine Bevölkerung von rund 9,9 Millionen Menschen). Etwa zwei Drittel der Auswanderer sind Akademiker, 22.000 Ärzte sind bereits nach Deutschland gegangen oder werden es demnächst tun. Das Land erleidet also einen enormen Verlust an Fachkräften.

Mitte September war eine Gruppe von Basisgewerkschaftern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Serbien und Spanien in Griechenland, der auch der Autor dieser Zeilen angehörte, unterwegs um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Auf labournet.de wurde ein Reisetagebuch veröffentlicht. Die Teilnehmer stehen für Veranstaltungen zur Verfügung. Kontakt kann über die Redaktion hergestellt werden.

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