Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2012

Neville Alexander, der südafrikanische Revolutionär, Erzieher und Linguist, starb am 27.August nach langem Kampf gegen den Krebs in Kapstadt.Alexander wurde am 22.Oktober 1936 in Cradock in der östlichen Kap-Provinz geboren. Seine Großmutter mütterlicherseits war eine befreite Sklavin aus Äthiopien, die nach Südafrika geschickt worden war. Sein Vater war Zimmermann, die Mutter Lehrerin. Nachdem er in seiner Geburtsstadt eine Klosterschule besucht hatte, wo er von deutschen Nonnen unterrichtet wurde, ging er 1953 nach Kapstadt. Dort studierte er Germanistik und Geschichte und schrieb seine Magisterarbeit über das Barockdrama von Andreas Gryphius und Daniel Caspar von Lohenstein.

Sein Kontakt zur Lehrergewerkschaft TLSA, die dem Unity Movement of South Africa (UMSA) angeschlossen war (die «Einheitsbewegung Südafrikas» war eine 1943 von Trotzkisten gegründete Organisation gegen die Apartheid in Südafrika), übte einen starken Einfluss auf Alexander aus. Er trat einer Studentenorganisation des UMSA bei und machte nicht nur Bekanntschaft mit der Ideologie des nationalen Befreiungskampfs, sondern auch mit den Ideen von Karl Marx und Leo Trotzki.

Nach dem Studium in Kapstadt erhielt Alexander ein Alexander-von-Humboldt-Stipendium und studierte an der Universität Tübingen. Dort promovierte er mit einer Arbeit über den «Stilwandel im dramatischen Werk Gerhart Hauptmanns». Er trat dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei und knüpfte Kontakte zu Studenten aus Algerien und Kuba. In Paris traf er mit Trotzkis Witwe Natalja Sedowa zusammen, eine Begegnung, die seine kritische Haltung gegenüber der South African Communist Party (SACP) und stalinistischen Ideen im allgemeinen stärkte. Die Kontakte, die er in diesen Jahren knüpfte, führten ihn bis an sein Lebensende immer wieder nach Deutschland, u.a. auf Einladung der Krupp-Stiftung.

Nach seiner Rückkehr nach Südafrika 1961 kam er in Konflikt mit seinen Genossen des UMSA, da sich Alexander, beeinflusst durch die Erfahrungen der algerischen und der kubanischen Revolution, für den bewaffneten Widerstand in Südafrika aussprach. Er wurde aus der Organisation ausgeschlossen und gründete zusammen mit Aktivisten der namibischen SWAPO die National Liberation Front (NLF). Ende 1963 war diese Organisation von Spitzeln durchsetzt, zahlreiche Mitglieder wurden verhaftet und wegen geplanter Sabotage angeklagt. Alexander wurde zu zehn Jahren Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island verurteilt.

Die Haft auf Robben Island brachte Alexander in Kontakt zu Anführern und Mitgliedern anderer Organisationen der Befreiungsbewegung, darunter auch Nelson Mandela. Auf Robben Island schulten die Gefangenen sich selbst und Alexander äußerte später dazu: «Wir brachten uns gegenseitig bei, was wir wussten, und entdeckten dabei unsere Talente. Wir lernten auch, wie Menschen mit nur geringer oder gar keiner formalen Ausbildung nicht nur selber an Schulungsprogrammen teilnehmen, sondern auch tatsächlich anderen eine Reihe verschiedener Fähigkeiten und Einsichten beibringen konnten. Die ‹Universität von Robben Island› war eine der besten Universitäten des Landes. Sie zeigte mir auch, dass man keine Professoren benötigt.»

Alexander wurde 1974 aus dem Gefängnis entlassen und lebte fünf Jahre lang unter Hausarrest. Seine Erfahrungen im Gefängnis hatten einen prägenden Einfluss auf sein Leben und seine politischen Ideen. Er war nun stärker im Kampf für den Sozialismus engagiert und zusammen mit seinen Genossen auf der Suche nach einer neuen «politischen Heimat», die er eine kurze Zeit lang im Black Consciousness Movement zu finden suchte.

Mit dem Ende seines Hausarrests 1979 setzte Alexander seine Lehrtätigkeit an der Universität Kapstadt fort. Von 1979 bis 1986 war er im South African Committee on Higher Education engagiert, einem bedeutenden Zentrum für alternative Erziehung. Die zentrale Idee hinter dieser Gruppe lautete: «Erziehung zur Befreiung». 1990 verfasste Alexander sein Buch Education and the Struggle for National Liberation in South Africa, worin er darlegte, dass Anstrengungen für die Bildung zur Befreiung Südafrikas führen würden. An der Sprachenfront war er 1989 Mitverfasser einer vieldiskutierten Studie, die zu dem Schluss kam, dass Südafrika in einer Post-Apartheid-Gesellschaft eine mehrsprachige Gesellschaft bleiben würde, trotz der Entwicklung des Englischen zu einem nationalen Mittel der Kommunikation.

Im April 1990 gehörte Alexander zu den Mitbegründern der Workers Organisation for Socialist Action (WOSA). Die Organisation trat für die führende Rolle der schwarzen Arbeiterklasse und für Antiimperialismus ein. Sie war die bedeutendste der Organisationen in Südafrika, die sich mit Trotzkis Theorie der permanenten Revolution identifizierte; 1994 beteiligte sie sich an den ersten demokratischen Wahlen, aus denen der ANC siegreich hervorging.

In den letzten Jahren konzentrierte sich Neville Alexanders Tätigkeit auf die Spannungen zwischen der Vielsprachigkeit in Südafrika und der Hegemonie des Englischen im öffentlichen Raum. Bis zu seinem Tod war er Direktor des Project for the Study of Alternative Education in South Africa (PRAESA) an der Universität Kapstadt. 2008 erhielt er den Linguapax-Preis für seine Verdienste um die Linguistik und die multilinguale Erziehung.

Neville Alexander war Mitglied im Vorstand der Jakob-Moneta-Stiftung und persönlich mit dem in diesem Jahr verstorbenen Jakob Moneta befreundet.

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