Sanierungs-Tod für die Kommunen
von Werner Rügemer
Die fast parteiübergreifende Mehrheit des Bundestags – ausgenommen die Partei Die Linke – hat eine «Schuldenbremse» für alle öffentlichen Haushalte ins Grundgesetz aufgenommen. Es dürfen demnach ab 2019 keine neuen Schulden gemacht werden. Für den Bund gelten allerdings Ausnahmen bei «Sonder- und Katastrophenfällen», z.B. wenn sich Banken in den Bankrott manövrieren. Der Bankrott von Städten und Gemeinden ist offensichtlich kein solcher Fall.
Schuldenbremse und Fiskalpakt
Es kommen noch andere Instrumente dieser Art dazu: Der Europäische Fiskalpakt soll den Zwangsmechanismus der nationalen Schuldenbremsen und Kürzungsprogramme verschärfen. Die Pflicht, die gesamtstaatliche Neuverschuldung auf 0,5% des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken, würde laut Fiskalpakt bereits ab 2014 gelten. (1) Die Europäische Zentralbank fordert in ihrem 2.Quartalbericht 2012 ebenfalls, dass Staaten, Kommunen, Lohn- und Rentenempfänger «sparen».
Aber unabhängig davon, ob es eine gesetzliche Schuldenbremse und den Fiskalpakt gibt oder nicht und ab wann sie greifen, setzen die deutsche Bundesregierung und die Landesregierungen bereits seit Jahren die Kommunen solchen Zwangs- und Kürzungsmechanismen aus. Sie bestehen aus geringeren Steuerzuweisungen, aufoktroyierten Zusatzaufgaben und Kürzungsauflagen.
Wer hat im Staat die größten Schulden?
Die Landesregierungen exekutieren dies im Auftrag des Zentralstaats. Mehrere haben Rettungsprogramme für die Kommunen aufgelegt. «Stärkungspakt Stadtfinanzen» heißt bspw. das Programm in Nordrhein-Westfalen (Gemeindefinanzierungsgesetz 2011). Im Jahrzehnt bis 2021 sollen knapp 6 Mrd. Euro bereitstehen, um allen NRW-Kommunen einen «konsolidierten» Haushalt zu ermöglichen. Ob dem Bundesland diese Gelder bis 2021 überhaupt zur Verfügung stehen – die Bundesländer müssen ja ebenfalls «sparen» –, ist zweifelhaft. Und die Landesregierung zahlt die Stärkungsgelder nur, wenn die Kommunen gleichzeitig weitere Kürzungen durchziehen. Die behauptete «Stärkung» bedeutet also in Wirklichkeit das Gegenteil: Schwächung.
Um die Verschuldung der Kommunen inszenieren Bundesregierung und öffentliche Meinungsmacher das größte Geschrei. Doch bei genauer Betrachtung der Zahlen zeigt sich ein ganz anderes Bild:
Die Schulden der Bundesrepublik Deutschland betragen gegenwärtig etwa 2200 Milliarden Euro; davon hält der Bund 61%, die Bundesländer halten 30% und die Kommunen mit 124 Milliarden lediglich 6% (der Rest liegt bei Sozialversicherungsträgern u.ä.). Selbst wenn sich die Kommunen zu Tode «sparen», ändert das an der Staatsverschuldung praktisch nichts.
Die sich an und in den Kommunen austobende Kürzungsorgie muss folglich einen anderen Grund haben als die «Konsolidierung des Staatshaushalts», wie immer behauptet wird. Es geht in Wirklichkeit um den Ausbau des Zentralstaats: Auf der einen Seite soll er die Arbeits-, Umwelt-, Sicherheits- und Ressourcenkosten der marktbestimmenden Konzerne garantieren und die Finanzindustrie aus jedem Bankrott retten. Auf der anderen Seite soll die Bevölkerung – Beschäftigte ebenso wie Transferempfänger, Rentner ebenso wie Kinder und Jugendliche – mit dem Überlebenskampf beschäftigt und politisch ruhig gestellt werden.
Die Stunde der Unternehmensberater
Die Landesregierungen empfehlen den Städten, für die notwendigen Kürzungen und Privatisierungen private Berater zu beauftragen. Ein Beispiel aus Hessen kann die Einzelheiten illustrieren:
Die Düsseldorfer Unternehmensberatung Kienbaum Management Consultants verfasste für die hessische Stadt Dreieich das Gutachten «Projekt Schuldenbremse in der Stadt Dreieich» (2). Für das Gutachten zahlte die 40.000-Einwohner-Stadt 250.000 Euro, zunächst.
Kienbaum schlägt einen auf zehn Jahre angelegten «Umstrukturierungsprozess» vor – so werden die jährlichen Kürzungen von mindestens 5 Millionen Euro umschrieben. Kienbaum soll diesen Prozess weiter begleiten. Dafür sollen die Berater aus dem von ihnen gezielt geschrumpften Haushalt ein Jahrzehnt lang auch weiter honoriert werden. «Dabei kommt Kienbaum eine Motor- und Begleitfunktion zu», merken die Berater selbstbewusst an. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit zu erwartenden «Widerständen» aus der Bevölkerung.
Die Politik auch auf der kommunalen Ebene gibt sich somit nicht nur ökonomisch geschlagen. Die Berater sollen auch die Bevölkerung durch den «Umstrukturierungsprozess» führen. Bisher gibt es in Stadtverwaltung und Stadtrat von Dreieich keinen grundsätzlichen Widerstand gegen das Konzept.
Die Honorare für Kienbaum sind sicher, alle anderen Ausgaben unterliegen der «tabulosen» Prüfung. Die Berater haben also die starke Stellung eines Insolvenzverwalters.
Privatisieren bis es quietscht
Bei den Einsparungen, sprich Kürzungen, steht der Abbau von Arbeitsplätzen im Vordergrund. So soll der öffentliche Nahverkehr an private Dienstleister ausgelagert werden, die sich nicht an öffentliche Tarifverträge halten müssen. Übrig bleiben soll lediglich ein Geschäftsführer der Stadtwerke. Insgesamt sollen von den bisher 355 Stellen der Stadtverwaltung 58 wegfallen.
Damit das möglichst problemlos läuft, sollen die verbleibenden Beschäftigten die Stadt Dreieich als «Konzern» verstehen, Führungskräfte sollen besser geschult werden.
Zu den 99 «Konsolidierungsmaßnahmen» gehören wesentliche Verschlechterungen der Infrastruktur. Dabei werden offensichtlich auch Gefährdungen für die Bevölkerung in Kauf genommen: Verzicht auf Brückensanierung, Schließung der drei Bäder, Schließung und Verkleinerung der Spiel- und Bolzplätze, Einschränkung der Straßenbeleuchtungszeiten, Prüfung der 24-Stunden-Einsatzbereitschaft der Feuerwehr, Stilllegung städtischer Brunnen, Reduzierung des Standards bei der Straßenreinigung, Verzicht auf öffentliche Toiletten und Minigolfanlagen, Reduzierung bei Unterhalt und Pflege der Sportanlagen.
Kürzen bei der Demokratie
Auch die Demokratie ist irgendwie zu groß geraten für die heutigen Verhältnisse. Das meinen die Berater nicht nur auftragsgemäß, sondern gewiss auch aus eigener Überzeugung. Die Demokratie muss deshalb ebenfalls angepasst, gekürzt werden.
Weil die gewählten Vertreter im Stadtrat bei diesem «objektiven», rein finanziellen Kürzungs- und Prüfungsprozess, geleitet von Kienbaum, weniger zu tun haben werden, schlagen die Berater folgendes vor: Reduzierung der Zahl der gewählten Volksvertreter, Verzicht auf den Botendienst für Sitzungsunterlagen, Reduzierung des Aufwands für den Sitzungsdienst. Auch die Bürger brauchen nicht mehr so viel Kontakt zur Verwaltung, meinen die Berater, deshalb: Reduzierung der Öffnungszeiten im Rathaus, im Bürgerbüro und an der Infotheke.
Selbstverständlich ist die Stadt im Auge der Berater trotz aller schon bisher durchgezogenen Kürzungen immer noch zu sozial.
Zum klischeehaften Berater-Muster, aufrufbar aus den Laptop-Speichern auch anderer Beraterfirmen, gehören weitere Ausgabenkürzungen. Dabei hat es sich in der Beratersprache eingebürgert, lieber von «prüfen» als von «kürzen» zu sprechen: Kinder- und Jugendförderung prüfen, Wirtschaftlichkeit der Bibliothek prüfen.
Vielfach wird aber auch ohne eine solche «Prüfung» sozialer Kahlschlag vorgeschlagen: Reduzierung der Vereinsförderung um 50%; Reduzierung der rechtlichen Betreuung; Budgetdeckelung bei Seniorenberatung, Behindertenbetreuung und Integrationsmaßnahmen; Einstellung der Rentenberatung; Reduzierung der Zuschüsse für Hilfen in persönlichen Notlagen; keine kostenlosen Fahrpläne beim Nahverkehr.
Im «Sanierungs»-Musterkoffer von Kienbaum sind auch Vorschläge enthalten, wie die kommunalen Einnahmen erhöht werden können: durch Erhöhung der Hundesteuer, Anhebung der Gebühren für Sondernutzungen städtischer Gebäude und Grundstücke (bspw. bei Schulfesten), «Anpassung» der Kita-Gebühren, Verkauf des Stadtforsts, Verkauf des Bürgertreffs Götzenhain.
Am Ende des Kürzungs-Jahrzehnts soll «die kommunale Handlungsfähigkeit auf Dauer» gesichert sein. Das behaupten die Berater. Das heißt also: Es würden jährlich 5 Millionen Euro gekürzt und die Bürger durch zusätzliche Abgaben belastet. Der Haushalt wäre dann «saniert», die Infrastruktur weiter verschlechtert, das kommunale Leben verarmt, die Bürger geschröpft, die Demokratie noch weiter ausgehöhlt.
Beratung, Sanierung, Tod
Dieses «Sanierungs»-Ziel, so gestehen die Berater im Nebensatz ein, kann wahrscheinlich sowieso nicht erreicht werden. Es könnte nämlich noch schlimmer kommen. Denn während des Sanierungsprozesses müsse weiter mit «rückläufigen Mitteln» gerechnet werden. Das ist, wenn man die neueren Instrumente wie den europäischen Fiskalpakt dazu nimmt, sehr realistisch. Aber dann könne, so ist zwischen den Zeilen zu lesen, die Stadt mit ihrem letzten Geld oder mithilfe eines Kredits oder eines großzügigen Sponsors nochmal einen Beratervertrag an Kienbaum Consultants vergeben.
Diese Art «Sanierung» ist in Wirklichkeit ein zeitlich unbegrenzter, sozial einseitiger Verarmungsprozess. Die Berater sind honoriert, der Haushalt saniert – die Kommune tot. Eine andere Perspektive haben die Banken- und Euro-«Rettungs»-Parteien und -Regierungen nicht zu bieten.
Kommunen können sich selbst zu Tode sparen, aber sie können sich nicht selbst retten. Ihre Finanzierung muss zur Sache nationaler Entscheidung gemacht werden: Neue Steuern dort, wo sie ohne Schädigung der Bevölkerungsmehrheit geholt werden können.
Aber eins kann und muss in den Kommunen gemacht werden: politische Arbeit. Denn die Oberbürgermeister und Mehrheitsfraktionen, die in den Kommunen die Politik der Bundesregierungen beklagen, sind Mitglieder derselben Parteien, die die Kürzungen in Berlin beschließen. Die Kommunal-«Verantwortlichen» reden mit gespaltener Zunge.
Der Mythos, die Kommune sei eine große Familie, muss aufgebrochen werden. «Die Kommune» gibt es heute weniger denn je, sie ist durchzogen von Gegensätzen und Parallelwelten wie die Bundesrepublik auch. Das bedeutet auch: Grundsätzliche Konflikte mit Stadtoberen, Beratern und Investoren sind notwendig. Dabei können sich die Kräfte herausbilden, die es besser machen können.
1. DGB: Fiskalpakt trifft auch Städte und Gemeinden, klartext 20/1012, 31.5.2012.
2. Kienbaum Management Consultants GmbH: Bericht Projekt Schuldenbremse in der Stadt Dreieich, Düsseldorf 2.8.2011, veröffentlicht auf der Webseite der Stadt Dreieich, gelesen 21.5.2012.
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