Das Jahr 2013 rückt näher, vor allem die beiden «Volksparteien» müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie an Stimmen der «kleinen Leute» kommen, damit die Mandate im nächsten Bundestag sich richtig verteilen. Soviel «Besserverdienende» gibt es ja nicht, dass Christ- und Sozialdemokraten nur diese als Wähler ins Auge fassen könnten.
Drohende Armut im Alter – das ist ein Thema, erkannte die intelligente CDU-Politikerin und Bundesministerin Ursula von der Leyen, mit dem sich soziales Profil entwickeln lässt, also nahm sie Ärger in der eigenen Partei in Kauf und brachte den Plan einer «Zuschussrente» für Geringverdiener in die Öffentlichkeit.
Im Politmarkt kommt es darauf an, auf Angebote der Konkurrenz rasch mit einem eigenen Produkt zu reagieren, und so präsentierte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel rasch ein eigenes Rentenkonzept, mit der «Zusatzrente» als Kern. Sie soll Bedürftige (wenn sie 30 Jahre lang Beiträge gezahlt haben) vor Altersarmut schützen und vor allem Lohnabhängige dazu bringen, zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversichung (GRV) eine private Altersversichung abzuschließen, auf «kapitalgedecktem» Wege, vorwiegend in der Form einer Betriebsrente, in die per Abzug eines Lohnanteils eingezahlt wird.
Neben einigen diskutablen Vorschlägen zu speziellen Regelungen im Rentensystem sind im Plan von Gabriel die folgenden Grundelemente zu finden:
Erstens soll es bei der Entscheidung bleiben, dass das Rentenniveau in der Gesetzlichen Rentenversicherung in ihrem Niveau weiter abgesenkt wird. Bekräftigt wird damit die Devise: «Die öffentliche (umlagefinanzierte) Rente reicht in Zukunft nicht mehr hin.»
Zweitens soll eben dadurch bei der Masse der abhängig Beschäftigten Druck aufgebaut werden, private (kapitalgedeckte) Altersvorsorge zu betreiben, also materielle Absicherung für das Alter im Finanzmarkt zu suchen. Diese Hinwendung zur privaten Versicherungswirtschaft soll steuerlich begünstigt werden. Schon die «Riester-Rente» fügte sich in dieses Grundmuster ein, Gabriels Empfehlung der Betriebsrente tut dies ebenso.
Es lag nahe, dass der «Rentenpapst» Rürup, selbst SPD-Mitglied, den Gabriel-Rentenplan guthieß. Schon der Bundesregierung unter Gerhard Schröder stand dieser Experte beratend bei, als prominenter Wirtschaftswissenschaftler und «Botschafter» der kommerziellen Versichungsunternehmen, für die er dann auch direkt tätig wurde.
Kritik an Gabriels Entwürfen kam in der SPD u.a. bei Jungsozialisten und in der Arbeitnehmer-Arbeitsgemeinschaft (AfA) auf. Als Zugeständnis schob Gabriel den Vorschlag nach, den Einstieg in die volle gesetzliche Rente schon mit 65 Jahren zuzulassen, falls 45 Versicherungsjahre absolviert seien. Der SPD-Parteivorstand hat auf seiner jüngsten Sitzung das Konzept des Parteivorsitzenden im Grundsatz abgesegnet.
Bedenkenträger, die immer noch Einwände gegen die Absenkung des Niveaus der GRV-Rente haben, wurden vertröstet: Der «kleine Parteitag» Ende November werde sich noch einmal mit diesem Thema befassen. Dass die Mehrheit der Delegierten dort wahlprogrammatischen Wünschen ihrer «Troika» nicht folgt, wird niemand erwarten, die Aufmerksamkeit wird auch mehr der «K-Frage» gelten, dem Kalkulieren also, welcher der beiden Stones die meisten Stimmen bei der Bundestagswahl holen könne. Kosmetische «Nachbesserungen» am Konzept Gabriels sind denkbar, auch um gewerkschaftliche Kritiker ruhigzustellen, aber ein Aufstand in der SPD der Rente wegen? Das wäre ein Politwunder.
Selbstverständlich stellt das Management der SPD Überlegungen an, wie vor der Bundestagswahl (und auch schon vor der Landtagswahl in Niedersachsen) der Partei mehr soziale Reputation verschafft werden, ein Bild von ihr als Anwalt der Armutsbedrohten ausgemalt werden kann.
Da kommt das Thema «Rente im Alter» gerade zum richtigen Zeitpunkt, und es wäre nicht erstaunlich, wenn sogar Steinbrück sich demnächst der armen Alten annimmt. Aber Kümmerer-Image ist eine, kapitalkompatible Politik eine andere Sache, und nach der Wahl ist nicht vor der Wahl, jedenfalls nicht für eine Partei, die sich im Wartestand fürs Regieren oder eher Mitregieren befindet.
Die rentenpolitischen Angebote der SPD haben trügerischen Charakter. Sie verschleiern, dass die SPD selbst es war, die in ihren Regierungszeiten die Bedingungen herstellte, unter denen die Gesetzliche Rentenversicherung eine auskömmliche Existenz im Alter für breite Schichten der Bevölkerung nicht mehr sichern kann. Es waren sozialdemokratische Politiker, die den gesetzlichen Rentenanspruch gesenkt und das Eintrittsalter in die Rente angehoben haben. Es war die Agenda-Politik Schröders, die den prekären Sektor in der Arbeitsgesellschaft ausdehnte und damit die umlagefinanzierte Rentenversicherung zerstörte. Ganz systematisch förderte die SPD-Politik eine Expansion der profitorientierten privaten Versicherungswirtschaft.
Die «kapitalgedeckte» Rente jedoch kann nicht halten, was sie verspricht. «Sicher» ist an ihr gar nichts, sie ist dem Wertverlust durch Inflation und den Pleiterisiken des Finanzmarkts ausgesetzt. Nennenswerte Einkünfte im Alter kann sie Geringverdienern ohnehin nicht bringen, wie sollen Niedriglöhner, Teilzeitarbeiterinnen und befristet Beschäftigte Beiträge in einer Höhe bezahlen, die für ein anständiges Altersgeld notwendig wäre? Und Gabriels «Betriebsrente» setzt ein «Normalarbeitsverhältnis» voraus, in dessen Genuss immer mehr arbeitende Menschen gar nicht kommen.
«Geringverdiener sind meist Vorsorgemuffel», war neulich in der Springer-Zeitung Die Welt zu lesen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. In dem Rentenkonzept der SPD steckt, wenn auch verborgen, Hohn auf eben jene «kleinen Leute», deren Wahlstimmen die Partei einsammeln möchte.
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