Die soziale Basis der bewaffneten Oppositionsgruppen speist sich aus denselben Milieus wie die revolutionäre Bewegung: marginalisierte Arbeiter, Mitglieder subalterner Klassen und die Mittelschicht, die unter der beschleunigten neoliberalen Politik seit dem Amtsantritt Basher al-Assads zu leiden hatte. Diese Gruppen haben eine Verankerung unter den Aufständischen, sind jedoch zu heterogen, als dass sie eine geschlossene Kraft im Dienst einer ausländischen Macht bilden könnten.
Im Juni 2011 bildete sich ein erster Kern eines bewaffneten Widerstands: die Bewegung der freien Offiziere unter der Führung von Oberst Husayn Hamoush, der gefangen genommen und hingerichtet wurde. Im Juli 2011 setzte sich der frühere Oberst der Luftwaffe, Riad Assad, ab und bildete die Freie Syrische Armee (FSA).
Mehrere Faktoren begünstigten das Auftauchen bewaffneter Gruppen:
– Das gewaltsame Vorgehen des Regimes gegen friedliche Demonstranten, die getötet, verhaftet oder ins Exil getrieben wurden. Bürger griffen daraufhin zu den Waffen, um ihre Demonstrationen und ihre Häuser gegen regimetreue Milizen zu schützen.
– Die Zahl der Deserteure aus der Armee nahm zu, Soldaten und Offiziere weigerten sich, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Einige hochrangige Militärs setzten sich ins Ausland ab.
– Schließlich sind bestimmte Strömungen und Staaten daran interessiert, bewaffnete Gruppen zu finanzieren, um sich in Syrien eine Basis zu schaffen, die ihnen bislang fehlte.
Einzelne bewaffnete Gruppen fühlen sich auch einer bestimmten Community zugehörig. So haben sich Anfang 2012 alawitische Brigaden gebildet, vor allem in der Region Idlib. Muteeh Ilyas Ilyas war der erste christliche Offizier, der desertierte.
Die syrische Armee
Die syrische Armee wurde in der Amtszeit des Vaters von Basher, Hafez el-Assad, gebildet. Sie zählt 295.000 aktive Mitglieder, davon 175.000 Wehrpflichtige, deren Ausbildung und Engagement stark variiert. Darüber hinaus verfügt die Armee über eine Reihe sehr gut trainierter Spezialeinheiten mit insgesamt 25.000–35.000 Mann, sowie 100.000 Mann in paramilitärischen Einheiten, die direkt der Baathpartei unterstehen. Die Struktur des Oberkommandos der Armee basiert auf Klientelismus und Konfessionszugehörigkeit. Die Mehrzahl der loyal zu Assad stehenden Einheiten wird von alawitischen Offizieren befehligt, in ihren Reihen gibt es aber auch Sunniten, wie der Bataillonschef des furchtbaren Angriffs auf Baba Amr in Homs im Februar 2012. Soldaten oder Offiziere, die sich absetzen wollen, können dies meist nur einzeln oder in kleinen Gruppen tun.
Trotzdem ist die Zahl der Deserteure gestiegen. Tausende von Soldaten und Offizieren sind ins Gefängnis gewandert, weil sie verdächtigt werden, mit der Revolution zu sympathisieren. Und mindestens die Hälfte der Verluste der syrischen Armee soll auf Mordtaten durch regimetreue Militärs zurückgehen. Das Regime ist gezwungen, die militärischen Einheiten durch Mitglieder aus dem Sicherheitsapparat aufzufüllen.
Die Waffen
Viele Gruppen der bewaffneten Opposition bestreiten, im Gegensatz zu Behauptungen in der westlichen Presse, Waffen aus Saudi-Arabien oder Qatar zu bekommen. Die große Mehrheit von ihnen kämpft mit einfachen Waffen, die entweder gestohlen oder von der sehr korrupten syrischen Armee gekauft wurden. Die hochwertigsten Waffen wurden bei Kämpfen mit der regulären Armee erbeutet oder von korrupten Offizieren ergattert. Das heißt nicht, dass keine Waffen vom Ausland geliefert worden seien, aber das ist weder systematisch noch in großem Umfang geschehen.
Nach Angaben mehrerer oppositioneller Quellen haben Saudi-Arabien und Qatar eine kleine Anzahl von Waffen geschickt, während die Türkei jegliche Verwicklung in die Bewaffnung der Rebellen dementiert. Zahlreiche Gruppen des bewaffneten Widerstands lehnen jede Form der Zusammenarbeit mit den Golfstaaten und Geschäftsleuten von dort ab – was für letztere eine Bedingung für Waffenlieferungen ist.
Behauptungen, Saudi-Arabien würde Teile der FSA finanzieren, sind bis heute nicht bewiesen, während die Präsenz der CIA im Süden der Türkei eher das Ziel verfolgt, sich einen Überblick über die bewaffnete Opposition zu verschaffen, als ihr zu helfen. Ein bedeutender Vertreter der höchsten religiösen Autorität in Saudi-Arabien verfügte im Juni eine Fatwa, die es Saudis verbietet, den Jihad in Syrien zu führen, also das syrische Regime zu bekämpfen.
Einige Gruppen des bewaffneten Widerstands haben sich Waffen aus dem Irak, dem Libanon und der Türkei erschmuggelt, aber die Quelle ist nun versiegt, nachdem diese Staaten Verhaftungen vorgenommen und jede Waffenlieferung über ihre Grenzen unterbunden haben.
So sind die Gruppen der bewaffneten Opposition auf die Unterstützung der syrischen Bevölkerung angewiesen, die ihnen Geld, Waffen, Nahrung, Medikamente und sonstige Hilfe gibt.
Die Strategien
Bislang stellt die FSA keine geschlossene Einheit dar. Die Koordination ihrer Kräfte reicht oft nicht über die Stadt oder das Dorf hinaus, viele Rebellen wissen nicht, wer die Kommandanten der nächstgelegenen Einheiten sind. Es gibt aber Bestrebungen, die Kräfte zusammenzuführen. So hat sich ein Netzwerk von Akteuren für die zivil-militärische Zusammenarbeit gebildet, das Komitee für die gemeinsame Aktion. Es koordiniert auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene Demonstrationen, militärische Operationen, humanitäre Hilfe sowie die Beziehungen zu den Medien. Dem Komitee gehören zivile wie bewaffnete Oppositionsgruppen an.
Bewaffnete Oppositionsgruppen haben zugleich einen Gemeinsamen Militärrat gebildet, um ihre Aktivitäten zu koordinieren und ein gemeinsames Oberkommando und Kontrollstrukturen zu schaffen. Dennoch ist die FSA bis dato, trotz bedeutender Fortschritte in der Koordination, vor allem ein Label, hinter dem sich viele unabhängige bewaffnete Akteure versammeln.
Die lokalen Koordinationskomitees sowie verschiedene Strömungen (unter ihnen die revolutionäre Linke) wollen, dass die bewaffneten Gruppen sich einer zivilen Leitung unterwerfen, damit vor allem zivile Widerstandsmethoden wie der zivile Ungehorsam weiter entwickelt werden. Die lokalen Gruppen und die Koordinationskomitees sind der konkrete Rahmen der syrischen Revolution. Die Rolle des bewaffneten Widerstands darin sollte rein defensiv sein.
Der Artikel wurde im Juni 2012 geschrieben. Stark gekürzt aus: Tout est à nous, Nr.35, September 2012
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