Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2012
Ist eine Partei wirklich das Beste?
von Daniel Kreutz
Gute Ratschläge für Aktive der Linkspartei stehen mir als parteilosem Schreibtischtäter kaum zu. Nach einem Debattenbeitrag über Lehren aus dem Wahldebakel der LINKEN.NRW gefragt, stieß ich jedoch auf manch recht grundsätzliche Fragen, die ich indes selbst nicht zureichend beantworten kann.
Vorweg: Die Performance der Landtagsfraktion war im großen Ganzen O.K., sie hat die Niederlage nicht verschuldet. Hätte sie sich, wie manche meinen, weniger für ihre parlamentarische Arbeit engagieren sollen, um ihre Ressourcen stärker in den Dienst der Partei oder von Bewegungskeimen zu stellen? Die parlamentarisch-reformistische Wählerschaft, die sie heute braucht, um die 5%-Hürde zu nehmen, hätte dafür kaum Verständnis. Sie erwartet, dass die Fraktion das tut, wofür sie gewählt wurde: parlamentarische Interessenvertretung zu sein, für bessere und gegen schlechtere Gesetze (auch: Haushaltsgesetze) zu streiten, Missstände aufzudecken, realitätstaugliche Alternativen zu entwickeln und in die Öffentlichkeit zu bringen. Auch von guten Betriebsräten wird vorrangig erwartet, dass sie das Instrumentarium der Betriebsverfassung aktiv nutzen, und sei es, um neue Klobrillen durchzusetzen. Dem Risiko, dabei zum Sozialpartner zu mutieren, entkommt man nicht, indem man der Betriebsratsarbeit «Selbstbeschränkungen» auferlegt.
Manche fragen, wie man die SPD besser unter Druck setzen und an den eigenen Ansprüchen messen kann. Gegenfrage: Warum sollte die heutige Postsozialdemokratie noch privilegierter Bezugspunkt einer besonderen, vom Umgang der Sozialistinnen und Sozialisten mit «normalen» bürgerlichen Parteien grundsätzlich zu unterscheidenden Taktik sein, die auf dem Gedanken der klassenpolitischen Einheitsfront gründet? Zeigt sich im Kreuz von Arbeitnehmern bei der SPD heute noch ein «elementares politisches Klassenbewusstsein», mit dem anders umzugehen wäre als mit Kollegen, die CDU ankreuzen? Steht die Steinbrück-SPD nicht in Kontinuität zur Agenda 2010, mit der sie sich erstmalig unmittelbar gegen alles richtete, was elementarstes, alltägliches Klasseninteresse (und oft: sozialdemokratische Errungenschaft) war? Die taktische Nutzung von Widersprüchen im politischen Lager der Klassengegner, auch zwischen CDA und CDU, bliebe gleichwohl in jedem Fall bedeutsam.
Manche fragen, ob man mit Wahlkämpfen eine linke Partei aufbauen kann. «Parteiaufbau» ist eine der ältesten Konstanten sozialistischer Bewegung. Wurzelnd im Kampf um Demokratie, nutzte sie deren Errungenschaften in der Jugendzeit der bürgerlichen Demokratie für ihre antikapitalistischen (reformistischen oder revolutionären) Politiken. Ob der Aufbau einer «Partei» – einer politischen Formation, die ihren (Miss-)Erfolg maßgeblich in Wahlergebnissen misst – auch heute, im sklerotischen Greisenalter kapitalistischer «Demokratie», ein geeignetes Instrument ist, um die desaströse Herrschaft des Neoliberalismus zu brechen, scheint mir diskussionswürdig. In Rechnung zu stellen wäre etwa der Wandel des Parteiensystems von politischen Vertretungen zivilgesellschaftlicher (Klassen-)Interessen zu weitgehend verselbständigten Quasi-Unternehmen auf einem von Medienkonzernen beherrschten «Wählermarkt», aber auch die offenkundige Dominanz «der Politik» durch «die Wirtschaft», die tiefe Entfremdung der aus Parteien sich rekrutierenden «politischen Klasse» von der Zivilgesellschaft – mit einem Wort: die Legitimationskrise der bürgerlichen «Demokratie».
Drücken Wahlergebnisse unter solchen Umständen noch reale zivilgesellschaftliche Kräfteverhältnisse aus? Wurden die Parlamente mit dem Einzug von Linksfraktionen wieder «Tribünen des Klassenkampfs» – auch nur annähernd vergleichbar mit früheren Zeiten, als dieser Begriff geprägt wurde? Oder hat nicht eher der Düsseldorfer Parlamentsaphorismus recht: «Der Platz der höchsten Geheimhaltung ist das Redepult des Landtags (ab 14 Uhr)»? Wären heute nicht weit eher die TV-Polit-Talkshows «Tribünen des Klassenkampfs» – wenn sie nicht Doku-Soaps über die Befindlichkeiten jener der Zivilgesellschaft fremden «politischen Klasse» wären?
Die vornehmste Aufgabe von Sozialistinnen und Sozialisten sehe ich vorerst darin, systematisch an der Ermutigung und Entwicklung starker sozialer Bewegungen zu arbeiten, die für soziale und ökologische Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus streiten – Bewegungen nicht zuletzt der demokratischen Selbstorganisation und Selbstermächtigung der proletarischen Zivilgesellschaft. Ich sehe nicht, dass etwas anderes als eben dies eine Chance hätte, den Ausschlag des berühmten «Pendels der Geschichte» in Richtung Barbarei zu stoppen und ihm eine neue Richtung zu geben. Ob es dabei um «reformistische» oder «revolutionäre» Forderungen geht, wäre weit weniger bedeutsam als der Wille, sie gegen die Herrschenden in Politik und Wirtschaft auch kämpfend durchzusetzen. «Nebenbei» könnten solche Bewegungen nicht nur die SPD, sondern das Parteiensystem insgesamt «nach links drücken» – allerdings wohl verbunden mit repressiven Reaktionen des bürgerlichen Staates gegen ihre entschiedensten Protagonisten.
Eine «Bewegungspartei» also, wie sie Peter Grottian vorschwebt (vgl. SoZ 9/2012)? Das dürfte die Fähigkeit der Linkspartei zur Selbstveränderung deutlich überfordern. Mehr noch: Stünde deren Bewegungsengagement wegen des ebenso breiten wie tiefen Misstrauens gegenüber Parteien nicht im Verdacht, die Bewegung nur fürs eigene Fortkommen bei Wahlen, hin zu den Fleischtöpfen, instrumentalisieren, ausbeuten zu wollen? Sind Parteifahnen hilfreich beim Bemühen, Menschen über Parteigrenzen hinweg (auch: parteiferne) zusammen und in Bewegung zu bringen?
Zweifellos: Bewegung braucht Organisation – organisierende Kräfte, die in ihr, mit ihr, an ihr arbeiten und Orientierungsvorschläge zur Diskussion stellen. Ob dazu eine «Partei» am besten wäre, erscheint mir zumindest bis auf weiteres zweifelhaft.

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