Verbote, Schulden, Zerwürfnisse
von Florian Osuch
Seit dem Auffliegen des NSU scheint die braune Bewegung in der Bundesrepublik angeschlagen. Der Staat verbietet Nazigruppierungen, die NPD ist finanziell in Schwierigkeiten und Teile der Szene gruppieren sich neu. Der Skandal um V-Leute im Zuge der NSU-Enthüllungen führt zur Frage: Wo sitzt eigentlich kein Spitzel?
Es ist außergewöhnlich ruhig geworden im brauen Sumpf. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, beschrieb die Szene kürzlich so: «Razzien und die Auflösung von Neonazigruppen, die Debatte um ein neues NPD-Verbotsverfahren, der Rückgang der Teilnehmerzahlen bei rechten Aufmärschen und Zerwürfnisse in den eigenen Reihen kennzeichnen das Bild des organisierten Neofaschismus im Jahr 2012.»
Am 1.September 2012 zogen anlässlich des Weltfriedenstags rund tausend Menschen durch Dortmund. Sie protestierten gegen Neonazis und Krieg. Es war das erste Mal seit mehreren Jahren, dass an diesem Tag keine Neonaziversammlung in der Ruhrmetropole stattgefunden hatte. Der geplante Aufmarsch, zu dem in den vergangenen Jahren bis zu eintausend Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet gekommen waren, war verboten. Der Innenminister von NRW, Ralf Jäger, hatte kurz zuvor drei Nazikameradschaften in Dortmund, Unna und Aachen aufgelöst und ließ Vereinseigentum beschlagnahmen.
Sebastian Förster vom Bündnis «Dortmund stellt sich quer» erklärte: «Es hat uns schon etwas überrascht, dass die Nazis in Dortmund so kampflos ihren so wichtigen Aufmarsch aufgegeben haben. Immerhin ist die Stadt eine Hochburg der Neonazis hier in NRW und hat auch bundesweit Ausstrahlung ins rechte Lager.»
Dies darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin eine große Gefahr von Neonazis ausgeht.
Ein Haufen Probleme
Die neofaschistische Bewegung steht im Zuge der Enthüllungen der NSU-Gruppe und deren Unterstützerumfeld stark unter Druck. Polizei, Justiz und Politik gehen teilweise ungewöhnlich hart gegen die Szene vor. Dabei verfolgen die Behörden sicherlich auch das Ziel, vom absoluten Desaster staatlicher Stellen, insbesondere des Verfassungsschutzes, im Zuge des NSU-Skandals abzulenken. Das staatliche Vorgehen verunsichert die ohnehin derzeit desillusionierte rechte Szene. Denn trotz Wirtschaftskrise, wachsender Armut und zunehmender Enttäuschung ganzer Bevölkerungsschichten von der etablierten Politik, ist keine Fraktion der stark zersplitterten Rechten auch nur ansatzweise in der Lage, daraus Profit zu schlagen. Bei der NRW-Wahl im Mai ging die Stimmenzahl für die Rechtsparteien insgesamt um 15% – knapp 30.000 Stimmen – zurück.
Die «Pro-Bewegung» kommt über regionale Erfolge wie in Köln nicht hinaus und hat mit der Kleinstpartei «Die Freiheit» sogar noch Konkurrenz bekommen. Die einst starken «Republikaner» versinken inzwischen in der Bedeutungslosigkeit.
Die NPD konnte von der Fusion mit der «Deutschen Volksunion» kaum profitieren. Ursula Birsl vom Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg spricht von einem starken Mitgliederschwund und einem allgemeinen Bedeutungsverlust der NPD. Darüber hinaus ist die Partei offenbar in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten, obwohl sie über zwei Landtagsfraktionen und damit über erhebliche staatliche Zuwendungen der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen verfügt. Das Antinaziportal «Endstation-Rechts» berichtet, die Partei stehe «am Rande des Ruins» und habe insgesamt rund 415.000 Euro Schulden angehäuft. Auch der parteieigene Verlag «Deutsche Stimme», der die gleichnamige Monatszeitschrift herausgibt, gilt als finanziell angeschlagen.
Darüber hinaus dürfte die Rolle von V-Leuten weiter für Verunsicherung sorgen. Im Zuge der NSU-Enthüllungen wurden weitere Spitzel innerhalb der Szene enttarnt und es gerieten längst vergessene Fälle wieder ins Bewusstsein. Nicht nur Antifaschisten, auch kritische Stimmen aus dem bürgerlichen Lager und sicherlich auch so mancher Neonazi stellt sich inzwischen die Frage: Wer ist eigentlich kein V-Mann?
Antifaschisten sorgten in den vergangenen Jahren dafür, dass zentrale Aufmärsche der Neonaziszene be- oder verhindert wurden. Vor allem der jährliche Marsch in Dresden, aber auch regionale Aufzüge in Dortmund, Stolberg oder Bad Nenndorf, sind wichtige Veranstaltungen zur Propaganda nach außen und zur Stärkung der Bewegung nach innen. Der Aufmarsch in Dresden galt sogar als der größte Europas. Auch am 1.Mai blieb die Beteiligung an Aufmärschen bundesweit hinter den Erwartungen zurück. Es scheint, als könnten die Neonazis nicht mal mehr ihre eigene Anhängerschaft zu den Terminen mobilisieren.
Es hagelt Verbote – im Westen
Seit der Enttarnung des NSU sind fast zehn Nazigruppierungen verboten worden, ein Schwerpunkt lag in NRW. Aufgelöst wurden das «Aktionsbüro Mittelrhein» (Koblenz), die als äußerst brutal geltende «Kameradschaft Aachener Land», der bundesweit bedeutende «Nationale Widerstand Dortmund», die «Kameradschaft Unna», der «Freundeskreis Rade» (Bergisches Land), ein Zusammenschluss um den Nazifunktionär Axel Reitz (Köln), die Gruppierung «Besseres Hannover» sowie die «Widerstandsbewegung in Südbrandenburg», um nur einige zu nennen. Die Anzahl der Razzien hat die Hundert längst überschritten. Ende August durchsuchte die Polizei bspw. 120 Objekte in NRW und beschlagnahmte 69 Handys, 52 PC, Waffen, Propagandamaterial, Transparente und sogar einen als Lautsprecherwagen genutzten Bus.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass fast ausnahmslos Nazigruppierungen in Westdeutschland verboten wurden, galt doch bisher der Neonazismus in der Bundesrepublik hauptsächlich als ostdeutsches Phänomen. Vor allem von Konservativen, aber immer wieder auch von Linken, wird für starke rechte Szenen in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg die Politik der ehemaligen DDR angeführt. Es ist offenbar bequemer, für rechten Straßenterror einen untergegangenen Staat, obendrein noch einen sozialistischen, als die eigene bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft verantwortlich zu machen.
Schwierige Neuorientierung
In Dortmund organisieren sich Neonazis derweil neu. Dennis Giemsch, Führer des verbotenen «Nationalen Widerstand Dortmund», ist nun Landesvorsitzender der neuen Partei «Die Rechte». Diese Gruppe wurde erst im Mai dieses Jahres vom Hamburger Neonazi Christian Worch gegründet – die Ähnlichkeit mit dem Namen der Partei Die LINKE ist Absicht.
Politisch verortet sich die Worch-Partei «weniger radikal als die NPD (und) radikaler als die REPs und Pro-Bewegung». Das Parteiprogramm sei «von der alten DVU übernommen, in etlichen Punkten inhaltlich modernisiert». Der Autor und Kenner der Szene Markus Bernhardt bezeichnete die Parteigründung jüngst als «durchsichtige Neuverpackung».
Es bleibt abzuwarten, ob Naziführer Giemsch andere Gefährten zum Eintritt in «Die Rechte» überzeugen kann. Bislang galten die Kameraden in Dortmund als parteikritisch und gaben sich stets militant kämpferisch. Noch vor wenigen Monaten posierten sie dazu bewaffnet und maskiert vor einem Naziladen in Dortmund-Dorstfeld. Daher dürfte es insbesondere das rechte Umfeld irritieren, wenn jetzt – zumindest zum Schein – ein ganz staatstreuer Kurs eingeschlagen wird. Mehrere Neonazis aus Dortmund haben zudem Klage gegen das Verbot ihrer Kameradschaft eingereicht. Sie wollen feststellen lassen, dass ihre Aktivitäten gar nicht in «aggressiv-kämpferischer Form» gegen die «freiheitlich-demokratische Grundordnung» gerichtet gewesen seien.
Der Kurswechsel der Dortmunder Neonazis dürfte auch bundesweit für Verstimmung gesorgt haben. Es gibt Zwist um den Kurs der NPD – einigen ist Parteichef Holger Apfel zu weich –, und da hätte der offen neonazistische Flügel die Kameraden aus dem Westen sicher gerne als Unterstützer begrüßt.
Trotz der hier skizzierten Lage bleibt die Gefahr durch Neonazis hoch. Sie attackierten in Berlin Anfang Oktober in einer koordinierten Aktion fast ein halbes Dutzend Einrichtungen, darunter einen Anitfa-Laden, einen Jugendclub der Falken und Parteibüros. Bundesweit sind von derlei Angriffen vor allem Einrichtungen der Partei Die LINKE betroffen. Azad Tarhan, stellvertretender Landessprecher der NRW-Linken, äußert dazu im Gespräch mit der SoZ: «Unsere Büros werden regelmäßig von Nazis attackiert. Neben Angriffen mit ätzender Buttersäure werden auch Fensterscheiben eingeschmissen, und es ist sogar schon mit Stahlkugeln geschossen worden. Nazis wollen mit den Angriffen Angst schüren, wir lassen uns jedoch nicht vertreiben.»
Es ist durchaus auch möglich, dass Neonazis oder andere Rechtskräfte im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise doch noch einen Aufschwung verzeichnen können.
Florian Osuch ist aktiv im Netzwerk Interventionistische Linke (IL).
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