von Ingo Schmidt
In zehn Länderstudien stellt dieser Band die Verwandlung der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 in die Eurokrise und deren politische Verarbeitung dar. Mit einem Beitrag zu Ungarn ist Osteuropa deutlich unterrepräsentiert, obwohl der IWF dort bereits Strukturanpassungsprogramme durchsetzte, bevor in Griechenland die Troika auftauchte.
Der westeuropäische Fokus dürfte dem theoretischen Zugriff des Herausgebers und seiner Koautoren geschuldet sein. Mit Ausnahme eines Beitrags zu Möglichkeiten gewerkschaftlicher Revitalisierung in Zeiten der Eurokrise argumentieren alle Autoren im Rahmen der Spielarten des Kapitalismus-Ansatzes, der die länderspezifischen Institutionen Westeuropas als Alternative zur neoliberalen Gleichmacherei ins Feld führt, aber bislang wenig Interesse an anderen Weltregionen gezeigt hat und auf diese vielleicht auch gar nicht anwendbar ist.
Ganz in der Tradition dieses Ansatzes beschreiben die Länderstudien in diesem Band ein Thema mit Variationen. Demnach hat der Neoliberalismus den Weltmarkt gegen den Sozialstaat mobilisiert, wurde durch die Wirtschaftskrise, die diese Politik verursacht hat, vorübergehend aus der Bahn geworfen, hat sich durch die Neuauflage altbekannter Strukturanpassungsprogramme aber wieder stabilisieren können. Obwohl alle Autoren die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der neoliberalen Politik hervorheben und obwohl die meisten ausdrücklich für Alternativen werben, führt ihr theoretischer Ansatz zu der Schlussfolgerung, dass solche Alternativen vielleicht wünschbar sind, sich praktisch aber nicht umsetzen lassen. Entsprechend hilflos wirkt denn auch das Schlusskapitel, das aus der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik der EU die Notwendigkeit der Institutionalisierung von Keynesianismus und Sozialstaat auf EU-Ebene ableitet.
Nach der Rolle der EU in der Weltwirtschaft fragt dieses europäisierte Sozialstaatsmodell ebenso wenig wie die Länderstudien in diesem Band. Ebenso wenig wird die Frage gestellt: Wer macht’s? Die anonymen Marktkräfte der neoklassischen Theorie werden durch das ebenso anonyme Zusammenspiel von Märkten und politischen Institutionen ersetzt. Menschen, die in Produktions-, Geschlechter- und in einer Reihe anderer Verhältnisse zueinander stehen und sich auf dieser Basis als Geschichte machende kollektive Akteure zusammenfinden können, haben weder in neoklassischen noch in institutionalistischen Weltbildern Platz. Zwecks Maximierung des Lesegewinns empfehle ich daher, die in diesem Band zusammengetragenen Informationen in einem undogmatisch marxistischen Denkprozess weiterzuverarbeiten.
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