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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2012

Europäisches Manifest gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens
19 Organisationen aus dem Gesundheitsbereich verschiedener europäischer Länder sind Anfang Oktober mit einer gemeinsamen Erklärung gegen die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesen an die Öffentlichkeit getreten.
Die Organisation des Gesundheitswesens ist eine öffentliche Aufgabe. Als Gesundheitsprofessionelle sind wir damit betraut, die Krankheiten unserer Patienten zu diagnostizieren, zu behandeln und nach Möglichkeit zu verhüten. Wir sollten diese Aufgabe ohne Ansehen der Person wahrnehmen. Eine Unterordnung unter vorwiegend ökonomischen Kriterien hindert uns diese Aufgaben zu erfüllen: Weder wollen wir Patienten medizinisch notwendige Leistungen vorenthalten, noch wollen wir Leistungen erbringen, die medizinisch überflüssig, aber für den Leistungserbringer lukrativ sind.

Diese Bedingungen für eine gute Medizin herzustellen, ist in allen europäischen Ländern möglich. Ist doch die EU eine der reichsten Regionen der Erde. Aktuell erleben wir europaweit eine Entwicklung, die diesem Anliegen entgegenläuft. […]

Krankheit ist keine Ware
Wir sehen überall eine zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens bzw. der Medizin… Ein wichtiges Moment dabei ist die Privatisierung. […]
Der Druck von Gesundheitskonzernen, Profite machen zu müssen, ordnet medizinische Prioritäten zwangsläufig ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen unter und untergräbt das Arzt-Patient-Verhältnis… Private Anbieter konkurrieren mit öffentlichen und gemeinnützigen. Krankenhäuser konkurrieren untereinander um Patienten. Nicht das medizinisch beste Krankenhaus ist der «Sieger» in diesem Wettbewerb, sondern das betriebswirtschaftlich am erfolgreichsten arbeitende. Auch bei gesetzlichen, sozialen Krankenversicherungen ist das Konkurrenzprinzip eingeführt…
Je mehr privatisiert wird, umso teurer wird ein Gesundheitswesen – ohne dass die Lebenserwartung und der Gesundheitszustand der Bevölkerung besser ist als anderswo (siehe USA). […]

Krankenhäuser sind keine Patientenfabriken
Die Kommerzialisierung hat unakzeptable Konsequenzen für Patienten und Beschäftigte im Gesundheitswesen. Sie führt zu Über-, Unter- und Fehlversorgung und damit zu vermeidbarem Leiden. In Ländern, in denen die Ökonomisierung schon weit fortgeschritten ist, führt sie dazu, dass häufig nicht medizinisch indizierte Leistungen erbracht werden, da aus betriebswirtschaftlichen Gründen neue «Geschäftsfelder» erschlossen werden müssen. Das geht so weit, dass Krankheiten für diesen Zweck regelrecht erfunden werden. Gleichzeitig wird zur Realisierung von Profiten immer mehr Personal abgebaut. Dies führt bei einer extremen Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten zu einer schlechteren Versorgung für die Patienten. Die Ökonomisierung selektiert Patienten in lukrative und weniger lukrative Patienten, die unterschiedlich behandelt werden. Dies widerspricht den Grundsätzen der Humanität und unserem Berufsethos…

Wir fordern:
– einen gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung für alle
– qualitativ hochwertige Versorgung für alle – ohne Ansehen der Person
– eine solidarische und gerechte Finanzierung des Gesundheitswesens
– ausreichendes, gut ausgebildetes und ordentlich bezahltes Personal im Gesundheitswesen (mit gesetzlicher Regelung eines verbindlichen Personalschlüssels)

Wir fordern die Bevölkerung, Patientinnen und Patienten auf, sich mit uns für diese Ziele einzusetzen…
8.Oktober 2012

Unterzeichnete (Stand: 1.10.2012)
Aktion Gsundi Gesundheitspolitik (CH); Asociación española de neuropsiquiatría/Profesionales de salud mental (E); Basisgruppe Medizin Göttingen (D); Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e.V. (D); Federación de Asociaciones para la defensa de la sanidad pública (E); International Association of Health Policy in Europe; Medical Practitioners Union – Unite (GB); MEZIS (Mein Essen zahl ich selbst) – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte (D); National Health Service Consultants Association (GB); Notruf113 Marburg (D); Ogólnopolski Zwizek Zawodowy Pielgniarek i Poloznych – OZZ PiP (Pl); Socialist Health Association (GB); Socialistiska Läkare (S); Solidarisch G’sund. Initiative für ein öffentliches Gesundheitswesen (A); Sozialmedizinisches Zentrum Graz (A); Thure-von-Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin, Stuttgart (D); Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (D); Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (D); Vereinigung unabhängiger Ärztinnen und Ärzte (CH).

Kontakt: Nadja Rakowitz, Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Kantstr.10, 63477 Maintal, info@vdaeae.de, www.vdaeae.de.

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