Im Januar 1962 sind die Beatles in London für Probeaufnahmen bei der Decca. John Lennon erfährt aus dem Radio, dass die «Deutsche Sinfonie» eines gewissen Hanns Eisler, «Komponist der Arbeiterklasse», in den Studios der BBC einstudiert und übertragen wird. Hätte es da nicht sein können, dass sich die zwei getroffen haben und miteinander ins Gespräch gekommen sind? THOMAS FREITAG versucht – täuschend echt –, ein solches Gespräch in zwei Teilen zu konstruieren.*
L.: Die musikalische Teamarbeit ist der Motor bei den Beatles. Paul und ich, wir ergänzen uns auf ganz hervorragende Weise. Das betrifft auch das Gitarrenspiel, ich bringe eher die rhythmische Kraft ein, Paul spielt Bass, aber auch Klavier und andere Instrumente. […]
E.: Was Sie da machen, hat mit ungeheuer viel Spontaneität zu tun, Sie finden sich in die Sachen der Unterhaltungsmusik hinein und produzieren etwas Eigenständiges. Es ist also ein sehr elementares, ungestümes Musizieren, und heute haben Sie ja Gitarren, die elektrisch enorm verstärkt sind, so dass Sie in den größten Sälen wahrgenommen werden. Das ist durchaus erstaunlich und eröffnet ganz neue Formen der Musikdarbietung. Ich habe dennoch gewisse Zweifel an der gesamten…
L.: …warum nur? Wir arbeiten ernsthaft an unseren Liedern. Paul hat da in seinen Ideen immer eine schöne Leichtigkeit, er erzählt in seinen Songs, zieht schnell etwas aus der Tasche, klingt heiter.
Mir liegt auch, muss ich sagen, die Blues-Stimmung ganz gut, eine etwas schwere Trauer oder wenigstens Nachdenklichkeit oder das Philosophische. Das Philosophische ist doch hochinteressant. Aber mir liegt auch, zu provozieren und mich im blühenden Nonsense zu baden.
E.: Da sind Sie mir aber ganz sympathisch.
L.: Was ich sagen will: Wir machen unsere Sachen alle ernsthaft, wirklich ernsthaft. Immer.
E.: Also, Ihre Ernsthaftigkeit bestreite ich keineswegs. Ich meine schon, dass Sie das richtig verkörpern, was Sie da machen. Zweifel habe ich – ich muss sogar sagen, dass ich enorme Zweifel und Bedenken habe – in dem, wie alles in Ihrer Gesellschaft, Ihrer Öffentlichkeit ankommen kann. Es ist die Monopolgesellschaft, die vor nichts haltmacht.
Seltsamerweise bin ich bei Ihrer Musik zugleich daran erinnert, welche Funktion die Musik einst innerhalb der revolutionären Arbeiterschaft hatte. Hochinteressante Entwicklungen, ganz ohne Zweifel.
Es ist ein Doppeltes, was ich sehe, eine gewaltige Verführungskunst, eine Rauschhaftigkeit der Musik, die da erzeugt wird, und ebenso die gleichberechtigte Partizipation breitester Kräfte des Volkes am Musikbetrieb. Vielleicht müsste man noch genauer darüber nachdenken, vielleicht deutet alles auf eine neuerliche Umfunktionierung der Musik in der Gesellschaft hin. Also, theoretisch geht alles auch nur bis zu einem bestimmten Punkt festzumachen, hier aber sind Bewegungen anzutreffen, unglaubliche Veränderungen. Da, wo dieses Neue so seltsam riecht und ganz andersartig aussieht, da bin ich als Komponist ganz angetan. Den verklärten Blick des Künstlers müssen wir uns abgewöhnen.
L.: Wenn wir spielen, denken wir gar nicht an Rauschhaftigkeit.
E.: Es ist aber doch so: Die Musik erzeugt eine unglaubliche Sentimentalität und Reizflut, und ich habe mich stets darum bemüht, dass etwas mehr Vernunft in die Musik hineinkommt. Das ist doch notwendig.
L.: Die Leute, alle, für die wir spielen, verstehen unsere Musik. Sie werden erreicht mit unsren Songs. Wir sind nicht anders als diese Leute. Wer hat da mehr Spaß? Musiker auf der Bühne oder Leute, die uns hören? Wir sind ungefähr im selben Alter wie unser Publikum.
E.: Das ist ein großartiger Gedanke, den Sie da äußern! Musiker, Interpreten und Hörer begegnen einander auf Augenhöhe. Nur ist es eben so, dass Sie in der Direktheit Ihrer Musik eine Kraft, eine Macht darstellen. Sozusagen tanzt alles nach Ihrer Pfeife. Und dort – das ist doch sehr vielfältig erwiesen – setzt die allein unterhaltende, vergnügende, rauschbesessene Funktion der Musik an. Die Macht der amerikanischen Unterhaltungsindustrie ist doch enorm, es findet eine Verdummung größten Ausmaßes statt. Und die jungen Leute schalten ihre Gehirne völlig ab. […]
E.: Immerzu fragen sie mich zu Hause, wie ich den Jazz beurteile und was gut daran ist. Ich mag es nicht mehr hören. Es gibt so unglaublich gute Jazzmusiker, und nicht wenige von ihnen habe ich in Amerika kennengelernt. Vor allen sind die schwarzen Bluesmusiker sehr beachtenswert, sie haben die Wurzeln ihrer Herkunft und ihrer Musik nie vergessen. Und dann gibt es Heerscharen von Musikern, die nur billig in der Lage sind, ihre Publikum an der Nase herumzuführen. Dagegen müssen wir uns wehren. Gar nicht akzeptieren kann ich, was mir als Rock ’n’ Roll und Elvis Presley und den Leuten um ihn zu Ohren kommt. […]
L.: Elvis Presley – ich habe ihn bewundert, und wir haben ihn als starkes Vorbild, als großartige Anregung, als einen, der ein völlig neuartiges Lebensgefühl verkörpert, verstanden. Seit meinem 15.Lebensjahr, seit ich Musik mache, eine Band habe, habe ich Elvis Presley im Ohr und begriffen, dass er unglaublich viel erreicht hat, unglaublich gut und authentisch unsere Generation anspricht.
E.: Das meiste ist vollkommen überzogen, geradezu hysterisch.
L.: Es ist so, dass ich mich wiedergefunden habe in einer Musik, die vom Establishment abgelehnt wurde, von deren Vitalität ich mich aber angesprochen fühlte. Und ich habe zugleich auch den entscheidenden Ansporn bekommen, mich selbst musikalisch auszudrücken. Also, es gibt da so etwas wie eine Vorbildwirkung, eine ungebremste Motivation. […]
E.: Einverstanden, einverstanden. Ich wende mich nur dagegen, dass die meisten jungen Hörer gar keine andere Musik zum Vergleich haben, dass sie zu der Auffassung kommen können, Musikdarbietung hat ausschließlich etwas mit sentimentalen Gefühlen, mit Rausch, Betäubung und Ekstase zu tun. Dagegen wehre ich mich mit aller Macht. In der Musik walten immer noch andere Kräfte, und das erzieherische Moment dürfen wir ihr nicht absprechen. Sonst sind wir schnell da angelangt, wo die Dummheit der Musik sich breit macht. Das darf nicht sein. Gerade wenn es um die Jugend geht.
L.: Na ja… Musik eben, Musik hat so viel Macht. Immer.
E.: Freilich hätte ich mir vor Jahren, als ich die «Neuen deutschen Volkslieder» schrieb, etwas mehr Akzeptanz gewünscht. Gedacht war das für die jungen Leute in unserer jungen DDR. Es sollte dem arg strapazierten und leiderprobten Volkslied aus der alten Zeit neue Impulse verleihen. Und ich weiß nicht, ob vielleicht doch der eine oder andere frische Text dabei war, ich dachte dies zumindest, aber, na ja, es sind dann doch irgendwie nette, kleine Lieder, eher so «Kunstlieder» geworden, mir war klar, dass ich das nicht weiter fortsetzen wollte. Es kann ja auch sein, dass heute in aller Welt Englisch gesprochen und gesungen werden muss. Ich kann mich aber darauf nicht einlassen. […]
E.: […] Wenn ich Radio höre und dort in Ost und West nur diese Banalitäten mitbekomme, dann habe ich ernsthafte Bedenken. Entweder werden die Leute unterhalten, indem ihnen so eine plumpe, hemdsärmelige Lebensfreude vorgemacht wird, das kommt meistens im Walzertakt. Oder es gibt dieses militärisch anmutende Gehabe, diesen Marschrhythmus. Fürchterlich, ganz fürchterlich. Oder wir neigen – in Deutschland ist das etwas mehr ausgeprägt – zu einer Art tiefsinnigem Schwulst. […] Da sind Sie, Herr Lennon, in einer ganz anderen, doch auch beneidenswerten Position.
Nur, da müssen wir aufpassen, wir müssen auf die Leute, für die wir Musik machen, an die die Musik gerichtet ist, aufpassen. Immer gibt es eine Art Verantwortung, eine Redlichkeit gegenüber dem Hörer, bei Ihnen sind das sehr junge Leute. Aber das war nicht anders zu meiner Zeit, lieber Freund.
L.: In diesen Fragen bin ich sehr hin und her gerissen. Es ist ja ein ganz exklusives Gefühl, vom Publikum verstanden zu werden.
E.: Sehe Sie, mit meiner «Deutschen Sinfonie» erreiche ich erst nach Jahrzehnten Aufmerksamkeit…
L.: Also, das Publikum trägt uns, sonst würde gar nichts gehen. Die sehen uns, die Beatles, als stärkste Kraft rund um den Mersey River, und das ist schon eine enorme Anerkennung. Aber eben auch in den Clubs in Hamburg waren wir erfolgreich, hatten viel Spaß. Das kann man sagen, und ich wünschte mir, Sie hätten das sehen können.
E.: Ich weiß, ich weiß, ich habe mich unterrichten lassen.
L.: Dann kommt bei mir aber auch die vorsichtige Ahnung auf, dass dieses Publikum immer nur bedient werden will und wir uns auf der Bühne wie selbstlaufende Aufziehfiguren abarbeiten. Dieses Gefühl muss verdrängt werden, und trotzdem ist es da. Es kann auch bedeuten, dass wir vollkommene Idioten sind, ein vollkommener Widersinn, denn wer will schon immer wieder dieselben Muster und Erwartungen und Vorgaben erfüllen! Es sind bestimmte Leute, die das Getriebe, den Rummel am Laufen halten, Presseleute, Techniker, Nachrichtenjäger, die saufen und vögeln umsonst, und die wollen nicht, dass das aufhört. […] Es stimmt, manchmal will man auch etwas mehr zurückbekommen, als das im Normalfall möglich ist. Und da braucht man inspirierende Echos und nicht nur den verschwindenden Hall im Wald. Manchmal ist man nicht gut zu sprechen auf das Publikum, wünscht alle zum Teufel.
E.: […] Wir haben uns in aller Freiheit der Kunst redlich und anständig zu verhalten, das ist gar kein Oberlehrerstandpunkt, das gehört einfach dazu. Es herrscht eine bestimmte Strenge in der Musik, sonst ist sie nur beliebig. Schönberg war nicht einfach nur streng, er war sehr streng, er sagte uns: «Freiheit kann ich nicht unterrichten!» Es war gut, dass er uns das gesagt hat.
L.: Muss ein toller Kerl gewesen sein, Ihr Schönberg.
E.: Da pflichte ich Ihnen sofort bei!
E.: Aber was so eine direkte Wirkung Ihrer Musik beim Publikum auszumachen scheint, ist der Einsatz Ihrer Gitarren.
L.: Die Gitarre war schon in meiner Schulzeit meine große Sehnsucht. Meine Mutter kaufte mir die erste Gitarre, eine Gallotone Champion. Was für eine große Anschaffung! Ich war überglücklich. Die Gitarre hatte beim Instrumentenhändler eher in der Ecke gestanden. Kein Mensch spielte Gitarre. […] Die frühere Hausmusik hatte immer mit dem Klavier zu tun, vielleicht konnte gerade noch jemand singen, oder es wurde Violine oder Flöte gespielt. Weit und breit keine Gitarren… und mit einem Mal stehen ganz tolle Jungs – wir sind alle sehr tolle Jungs – auf der Bühne, sie singen und haben ihr Instrument dazu. Es ist sexy, es ist auch aggressiv, direkt, wenn man die Gitarre zum Einsatz bringt. Dazu ist alles elektrisch verstärkt. Noch vor den amerikanischen Rock ’n’ Rollern waren die englischen Bluesgitarristen ganz ausgezeichnete Spieler. Mit der Gitarre habe ich einfach alles in der Hand. Ich kann singen und gleichzeitig spielen und mich auch noch gut vor den Leuten zeigen.
*Thomas Freitag: «Das Neue, so merkwürdig…» Hanns Eisler, John Lennon. Die Gespräche. Berlin: Neues Leben 2010. 112 S., 15,40 Euro.
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