Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2012
Was den Griechen bislang nicht gelungen ist, schaffen Spanier und Portugiesen: Die Krise auf der Iberischen Halbinsel hat zu einer Konvergenz der Massenkämpfe geführt, die erstmals den Grundstein für einen (süd-)europäischen Generalstreik legt.
Die Spanier legen ein heißes Jahr 2012 hin: Am 19.Februar demonstrierten allein in Madrid 500.000 Menschen gegen die angekündigten Sozialkürzungen (das erste Sparpaket Rajoy; die Regierung Zapatero hatte im Jahr davor zwei Sparpakete durchgesetzt und war daraufhin nicht wiedergewählt worden; Rajoy hatte vor den Wahlen versprochen, mit der Sparpolitik aufzuhören). Im März folgte ein Generalstreik von UGT und CCOO. Die beiden gewerkschaftlichen Dachverbände riefen einen Sozialgipfel ins Leben, an dem sich inzwischen 150 Organisationen und Verbände beteiligen.
Der Jahrestag der Besetzung der Puerta del Sol in Madrid Mitte Mai wurde vielleicht nicht so massiv gefeiert, wie viele sich das gewünscht hatten. Aber im Juli, als die Regierung Rajoy, ungerührt vom schwarzen Marsch der Bergarbeiter, ihr Sparpaket durchs Parlament brachte und das Volumen der Ausgabenkürzungen von 65 auf 102 Mrd. Euro anhob, erhoben sich am 19.Juli im ganzen Land 4 Millionen Menschen. Am 22.Juli folgte ein Sternmarsch der arbeitslosen Jugend aus allen Landesteilen auf Madrid gegen die Kürzung des Arbeitslosengelds auf sechs Monate. CCOO und UGT kündigten für den Herbst einen Generalstreik an.
Am 15.September folgten Arbeiterinnen und Arbeiter aus allen Landesteilen dem Aufruf der beiden Gewerkschaftszentralen für einen Sternmarsch auf Madrid; an der anschließenden Großdemonstration beteiligte sich mindestens eine halbe Million Menschen. Am 25.September umzingelten mehrere zehntausend Menschen das spanische Parlament; sie wurden brutal von der Polizei angegriffen, es gab dabei 30 Verwundete. Die Umzingelung hatte die Coordinadora 25 organisiert, die auf der Demonstration vier Tage später, am 29.September, eine Erklärung verlas, in der es hieß:
«Die Regierung hat mit Knüppeln, mit Provokationen durch Polizeispitzel, mit Verhaftungen und blinder Gewalt, Verwundeten und einem nie da gewesenen Polizeiaufgebot reagiert. Und dennoch hat sie verloren. Die Bilder von den Knüppeleien sind um die ganze Welt gegangen. Jetzt gibt es eine öffentliche Diskussion um die Rechtfertigung ihrer Aktion. Wir haben einen großen Dialog angestoßen, die ganze spanische Gesellschaft redet darüber.
Wir werden das Parlament weiter umzingeln, weil wir einen Schritt vorwärts in der sozialen Mobilisierung machen und ins Zentrum die Rückeroberung der Volkssouveränität und der Bürgermacht, d.h. der Demokratie rücken wollen.
Weder die Regierung Zapatero noch die Regierung Rajoy haben auf die Bevölkerung gehört, dazu fehlt ihnen der Mut und auch das Interesse. Diese Regierung nützt uns nichts, wir fordern ihren Rücktritt.
Wir rufen auf zu einer neuen Mobilisierung, wenn der Haushalt im Parlament diskutiert wird … Wir fordern eine öffentliche Untersuchung über das Verhalten der Polizei am 25.September.

Wir haben keine Angst. ¡Que se vayan todos! Yes, we can.»

Katalonien – neuer Staat in Europa?
Parallel dazu gab es gewaltige Mobilisierungen für die Unabhängigkeit vor allem in Katalonien und im Baskenland. Am 11.September, dem Nationalfeiertag, an dem Katalonien des Falls seiner Hauptstadt im Jahr 1714 (wodurch es seine Autonomierechte verlor) gedenkt, ergoss sich eine Menschenflut in die Straßen von Barcelona. 1,5 Millionen Menschen forderten die Sezession von Spanien: «Katalonien, ein neuer Staat Europas.»
Tendenzen für mehr Autonomie bis hin zum Separatstaat gibt es in Katalonien (und im Baskenland) seit langem. Die Dynamik in diese Richtung hat sich jedoch massiv verstärkt, was damit zusammenhängt, dass die regionalen Haushalte bedeutende staatliche Dienstleistungen verwalten (Bildung, Gesundheit, Soziales, Polizei, Justiz, Infrastruktur, öffentlicher Verkehr usw.), aber immer weniger Steuermittel dafür aus dem Zentralhaushalt zur Verfügung gestellt bekommen.
Die katalanische nationalistische Rechte hat es verstanden, das Thema des «Steuerraubs» auszunutzen und dabei in Vergessenheit zu bringen, dass sie alle antisozialen Maßnahmen der Regierung Rajoy unterstützt. So sieht auch der aktuelle Haushalt der Generalitat, der Regierung von Katalonien, massive Angriffe auf das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen vor. Die in Katalonien regierende Convergència i Unió (CiU) hat ihn mit den Stimmen der Rajoy-Partei (PP) durchgesetzt.
Am 26.September folgte ein (sehr ungleich befolgter, aber stark von Jugendlichen getragener) Generalstreik im Baskenland, der von überraschend großen Demonstrationen in den Hauptstädten der vier baskischen Provinzen begleitet wurde.
Am 29.September demonstrierten in Spanien und Portugal erneut mehrere zehntausend Menschen gegen die Ankündigung weiterer Sparpakete, die die Regierungen beider Länder zuletzt unter dem Druck der internationalen Geldgeber angekündigt hatten. Die Regierung in Madrid hatte für 2013 weitere Kürzungen in Höhe von 39 Milliarden Euro bekanntgegeben.
Mitte Oktober wurden Schulen und Unis flächendeckend bestreikt, den Schülern und Studierenden schlossen sich auch Eltern, Lehrer und Professoren an. Sie wehren sich gegen massive Kürzungen im Bildungsbereich, u.a. gegen den Abbau von Lehrerstellen, die Kürzung des Erasmus-Programms (Beihilfen für Auslandssemester) um 60% und die Anhebung der Studiengebühren (sie liegen bei 1300 Euro).

In Portugal
Die portugiesische Regierung nahm am 7.September eine Vorlage an, wonach die Beiträge der Beschäftigten zur Sozialversicherung um 7% angehoben, die der Unternehmer aber um 5,75% gesenkt werden soll. Das entspricht einem Transfer von 2 Mrd. Euro zugunsten der Unternehmer. Außerdem sollen Steuern weiter erhöht, Privatisierungen und Entlassungen forciert werden.
Am 15.September gingen in über 40 portugiesischen Städten mehr als 500.000 Menschen auf die Straße. Am 22.September wurde der Staatsrat, ein Gremium, das den Staatspräsidenten berät, von zornigen Demonstranten umzingelt und der Ministerpräsident sah sich kurzfristig gezwungen zu sagen, er werde nach «Alternativen» suchen.
Am 29.September mobilisierte die PCP-nahe Gewerkschaft CGTP mehrere hunderttausend Menschen zu einer zentralen Demonstration, sie fand zeitgleich mit Protesten in vielen anderen europäischen Ländern statt (in Deutschland die Demonstrationen «Umfairteilen»). Für den 5. bis 13.Oktober hat die CGTP einen Sternmarsch quer durch Portugal angesetzt.
In Portugal wie in Spanien entwickelt sich aus dem Massenprotest eine politische Krise. In Spanien ist dies vor allem die Gefährdung des Zentralstaats (siehe oben). In Portugal geht der kleinere Koalitionspartner, die rechtspopulistische CDS-PP, auf Distanz zum großen Partner, der liberal-konservativen PSD.

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