von Gisela Notz
Im August 2012 berichtete der bundesdeutsche Blätterwald, dass «immer mehr Senioren» zu «Minijobbern» oder gar Vollzeitbeschäftigten werden. 762.000 Menschen über 65, 58,6% der Rentnerinnen und Rentner, waren 2011 geringfügig beschäftigt. 120.000 «Minijobber» sind sogar 75 Jahre alt und älter (Tagesspiegel vom 29.8.2012).
Experten sind alarmiert und befürchten eine neue Welle der Altersarmut. Das Sozialministerium argumentiert damit, dass die Menschen im Minijob arbeiten wollen, weil sie länger fit und aktiv bleiben und sich nicht automatisch mit 60 oder 70 Jahren aufs Altenteil begeben wollen. Tragen sie deshalb Zeitungen aus, schieben Wachdienste, putzen bei besser Verdienenden und räumen Regale im Supermarkt aus und ein?
Ein geschlechtersensibler Blick auf die Renten zeigt: Männer beziehen in Deutschland durchschnittlich nach nach einer Studie des Familienministeriums zum «Gender Pension Gap» von 2011 1500 Euro Altersrente aus den drei Säulen des Rentensystems, Frauen 645 Euro.* Der Gender Pension Gap beträgt beinahe 60%. Er beschreibt das Verhältnis der durchschnittlichen persönlichen eigenen Alterssicherungseinkommen von Frauen gegenüber denen von Männern. Mit dem Gender Pension Gap können die individuellen ökonomischen Erträge der unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Frauen und Männern zusammenfassend dargestellt werden.
Warum Frauen weniger Rente kriegen
Der Gender Pension Gap ist beinahe dreimal so hoch wie der «Gender Pay Gap», die Lohndifferenz zwischen Männer und Frauen. Diese lag 2012 bei 22%, 1 Prozentpunkt weniger als 2011. Wie lange sollen wir noch am Equal-Pay-Day die Fahne hoch bzw. die roten Taschen in der Hand halten, bis der Lohn- und Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern überwunden ist? Niemand kann zudem ernsthaft wollen, dass sich das Rentenniveau der Männer denen der Frauen anpasst, weil auch Männer während ihrer Lebensarbeitszeit in Zukunft vermehrt Auszeiten und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse inne haben werden. Es geht um existenzsichernde Renten für alle. Aber wie sind die zu erreichen?
Ausreichende Renten hängen bekanntlich davon ab, dass es zuvor eine durchgängige Vollzeiterwerbstätigkeit gegeben hat – die die meisten Frauen nicht erreichen. Frauen fehlten Ende 2008 durchschnittlich 13,7 rentenrechtlich relevante Erwerbsjahre und 0,26 Entgeltpunkte pro Jahr im Vergleich zu Männern. Mit zunehmender Kinderzahl verringert sich das durchschnittliche Einkommen westdeutscher Rentnerinnen.
Bei Männern spielt dieser Zusammenhang keine Rolle. Die bestehenden Niedrigrenten und die Rentenunterschiede zwischen Frauen und Männern sind in erster Linie durch die Überwindung von Erwerbslosigkeit und Niedriglohn und durch die Ablösung des «Ernährermodells» zugunsten einer Politik auszugleichen, die alle Menschen als eigenständige Individuen betrachtet, die ein Recht auf eigenständige Existenzsicherung und menschenwürdiges Leben nach der Erwerbsarbeitsphase haben.
Grundsätzlich schlagen sich in der geringeren Rente (in allen drei Säulen des Rentensystems) geringere Lebensarbeitszeiten, nichtexistenzsichernde Teilzeitarbeit, Phasen der Erwerbslosigkeit, nicht entlohnte Weiterbildung, Arbeit im Niedrig- und Niedrigstlohnsektor und die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern nieder. Ohne Überwindung dieser meist am «Familienernährer»-Modell orientierten Arbeitsbedingungen kann die wachsende Altersarmut – besonders von Frauen – nicht eingedämmt werden.
Doch der Niedriglohnsektor wird immer weiter ausgebaut. Ende 2011 gab es rund 7,5 Millionen geringfügig entlohnte Beschäftigte, wovon 62,7% Frauen waren.
Was tun gegen Altersarmut?
Die entscheidenden Stellschrauben für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung im Alter liegen im Erwerbssystem, so geht es auch aus dem Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hervor. Erst der gleichberechtigte und existenzsichernde Zugang zum ersten Arbeitsmarkt eröffnet auch die Möglichkeit, sich in der zweiten und dritten Säule (mit durchgängigen Uni-Sex-Tarifen) des Rentensystems abzusichern. Es ist also vordringlich die erste gesetzliche Säule zu stärken und auszubauen. Nur so kann Altersarmut vermieden werden.
Die betriebliche Altersvorsorge betrifft nur Menschen, die mit beiden Beinen im Erwerbsleben stehen, je kleiner der Betrieb, und je geringfügiger die Bezahlung desto schwieriger wird die betriebliche Altersvorsorge. Im Vergleich zu Männern haben Frauen seltener und signifikant niedrigere Ansprüche in der zweiten Säule des Rentensystems. Und privat kann sich nur versichern, wer über ein ausreichendes Einkommen verfügt. Aufgrund ihrer niedrigeren Erwerbseinkommen haben Frauen auch in der dritten Säule des Rentensystems die schlechteren Karten.
Minijobs und andere prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind abzubauen, denn auch sie unterstützen das überfällige Ernährermodell und machen eine eigenständige Rentenabsicherung im Alter unmöglich. Stattdessen brauchen wir Mindestlöhne, die eine eigenständige Existenzsicherung gewährleisten. Immer neu erfundene Modelle gehen in die entgegengesetzte Richtung, so beispielsweise der mit einem Taschengeld versehene Bundesfreiwilligendienst für alle Generationen, die Stärkung häuslich-privater Pflegearrangements, das Betreuungsgeld und die anvisierte Großelternzeit, die als Alternative zur staatlich bereitzustellenden Infrastrukur für Kinderbetreuung geschaffen werden soll. Diese Regelung geht in erster Linie zulasten des Rentenanspruchs von Frauen, denn ein finanzieller Ausgleich wie das Elterngeld ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen, und in der Regel sind es erwerbstätige Großmütter, die die berufliche Auszeit nehmen würden.
Mindestrente
Da die erwähnten Voraussetzungen für eine armutsvermeidende Altersvorsorge auf dem Arbeitsmarkt nicht von heute auf morgen zu erreichen sind, wird eine existenzsichernde Mindestrente für alle aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen notwendig. Die Witwenrente und ein auf dem Partnerschaftsprinzip aufgebautes Rentenanwartschaftssplitting wird dann überflüssig. Mindestrenten sind keine neue Erfindung. Sie werden schon lange diskutiert und auch aus feministischer Sicht gefordert. In anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Dänemark und Frankreich sind sie selbstverständlich.
Als «ungerecht», wie Birger Scholz in SoZ 10/2012 schreibt, kann ich es nicht empfinden, wenn jemand, die unter welchen Zwängen oder Versprechungen auch immer, «kaum oder nie» in die gesetzlich Rentenversicherung einzahlen konnte, und der nun rentenrelevante Erwerbsjahre fehlen, ein menschenwürdiges Leben im Alter erhält. Denn: «Abnorm sind im Grunde genommen alle auf sozialer Ungleichheit basierten Verhältnisse» (Rosa Luxemburg).
*Gender Pension Gap. Entwicklung eines Indikators für faire Einkommensperspektiven von Frauen und Männern. (Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.) Berlin 2011 (www.bmfsfj.de ).
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