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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2012
Beim Verpackungsmittelhersteller streikt die Belegschaft gegen Unternehmerwillkür
von Jochen Gester

Seit der Mitte der 90er Jahre hat sich die Zahl der tarifgebundenen Betriebe stark verringert, sie ist von etwa zwei Drittel auf die Hälfte gesunken. Die Arbeitgeber flüchten zunehmend aus ihren Verbänden und die Gewerkschaften haben nicht die Kraft dies zu verhindern. Und natürlich gibt es Betriebe, die seit Generationen bestehen und bis heute einen Tarifvertrag scheuen wie der berühmte Teufel das Weihwasser.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Unternehmen Neupack, das sich seit 53 Jahren im Familienbesitz befindet. Etwa 200 Beschäftigte produzieren in den Werken Hamburg und Rotenburg/Wümme Joghurt-, Quark-, und Frischkäsebecher sowie Salatschalen für Molkereien und den Lebens- und Verpackungsmittelgroßhandel.

Unternehmerwillkür
Die Firma genießt im Norden Deutschlands eine Art Monopolstellung. Dieses Machtbewusstsein zeigt sie auch im Betrieb. Zumindest gegenüber seinen gewerblichen Beschäftigten praktizieren die Chefs eine Unternehmensführung nach der berühmten Gutsherrenart: Es gibt Beschäftigte, die zehn Jahre lang keine Lohnerhöhung bekommen haben, und welche, die über Tarif bezahlt werden. Für gleiche Arbeit differieren die Löhne zwischen 8 und 15 Euro. Auch Urlaub und Prämien werden nach dem sog. Nasenfaktor gewährt.
Jahrelang hatte sich der Betriebsrat um Gespräche mit der Geschäftsleitung bemüht, um über Wege zu diskutieren, wie es zu einer tariflichen Anbindung des Betriebs kommen könne. Für derlei hatten die Eigentümer aber keine Termine frei. Deswegen wurden Anfang Mai 2011 zusammen mit der in dieser Branche tätigen Gewerkschaft IG BCE erste Vorbereitungen für einen Streik getroffen. Plötzlich kam ein erstes Verhandlungsangebot.
Doch die Eigentümerfamilie Krüger verschleppte die Verhandlungen und schickte lieber Abmahnungen an zwei Betriebsräte. Der BR-Vorsitzenden Murat Günes bekam gleich die fristlose Kündigung. Als Kündigungsgrund legte man eine angeblich falsche Fahrtkostenabrechnung vor. Als das vor dem Arbeitsgericht nicht griff, wurde eine zweite fristlose Kündigung nachgeschoben, die jedoch genauso wenig Erfolg hatte.

Streik!
Das kam nicht gut an. Anfang November 2012 war es dann soweit, dass ein Teil der Belegschaft – zum ersten Mal überhaupt – die Arbeit niederlegte. Und aus Warn-, wurde ein Erzwingungsstreik, für den knapp 90% der Gewerkschaftsmitglieder votierten.
Gestreikt wird nur in der Produktion. In Hamburg kam diese zu 75% und in Rothenburg zu 100% zum Erliegen. Sämtliche Angestellten halten sich bedeckt, einige vertreten auch aktiv die Sache des Hausherrn, stehen oben am Fenster und freuen sich, wenn der Streikbruch gelingt. Bereits während des Warnstreiks hatte Neupack mit Lohnzurückhaltungen für Streikende zwischen 200 und 400 Euro reagiert.
Streikende bildeten vor dem Firmentor eine «Diskussionskette», in der sie Arbeitswillige zu überzeugen versuchten, sich nicht als Streikbrecher einsetzen zu lassen. Besonders aktiv dabei war eine Gruppe von Arbeiterinnen, die untergehakt vor den Toren standen und immer wieder laut und ansteckend skandierten: «Tarifvertrag jetzt!».
Die Betroffenen wurden jedoch nicht am Zutritt in die Fabrik gehindert und nicht einmal beschimpft. Den streikenden Kolleginnen ist es wichtig, die emotionalen Brücken zu diesem Teil der Belegschaft nicht abreißen zu lassen. Es gelang, einige zur Umkehr zu bewegen. Andere scheinen immun, gingen weiter oder sprangen ein paar Meter entfernt über den Zaun.
Inzwischen steht auch die Streiklogistik. Ein beheizbares Zelt mit 40 Plätzen wurde aufgebaut. Verantwortlichkeiten für Sauberkeit, Essen und Bewachungsaufgaben wurden verteilt.

Solidarität
Und es gibt einen Solidaritätskreis Neupack, der sich auf Initiative des Jour Fixe Gewerkschaftslinke schon vor Beginn des Streiks gründete. Seine Aufgabe ist es, die Streikenden nicht nur vor den Toren, sondern bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen und bei allen anderen Aufgaben, auf die Kolleginnen von Neupack und vom Soli-Kreis kommen, wenn sie gemeinsam im Streikzelt tagen oder Streikposten stehen. Neupack hat jedoch nicht vor, auf die Streikenden zuzugehen, sondern setzt auf Leiharbeiterinnen, vor allem aus Polen.
So gelang es, mit Hilfe der Polizei zehn von der polnischen Firma Work Express angeheuerten Leiharbeiterinnen Zutritt zum Werk zu verschaffen. Bei einigen der ungebetenen Gäste handelt es sich offensichtlich um geübte und bewährte Streikbrecher, die energisch und lächelnd an den Streikenden vorbei ziehen. Andere scheinen schüchtern und desorientiert.
Wie üblich bei solchen Auseinandersetzungen versuchen beide Seiten, auch die Schritte des Gegners juristisch anzugreifen. Von praktischer Bedeutung waren bisher die Abweisung der Kündigungsversuche, aber auch ein Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg, das entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte Bielefeld und Berlin der Einstweiligen Verfügung von Neupack auf Unterlassung der «Diskussionsketten» entsprach.
Doch auch die Familie Krüger bekam Knüppel zwischen die Beine geworfen. Der Unterstützerkreis konnte aufdecken, dass an dem polnischem Verleiher Work Express der deutsche Besitzer einer Verleihfirma, Holger Piening, kapitalmäßig beteiligt ist. Piening ist außerdem stellvertretender Vorsitzer des IGZ (Interessengemeinschaft Zeitarbeit). Als das aufflog, kündigte Work Express sofort den Leiharbeitern. Neupack machte jedoch einen geschickten Schachzug und stellte die polnischen Streikbrecher als befristet Beschäftigte ein (bis zum 21.12.). Der Betriebsrat hat während des Streiks keinerlei Mitwirkungsrechte.

Parteien
Zur Unterstützung der Neupack-Kolleginnen kamen bisher Delegationen aus größeren Chemiebetrieben (Dow Chemical und Honeywell) und von Still, das zum Organisationsbereich der IG Metall gehört. Von einer Welle breiter Solidarität kann man jedoch nicht sprechen. Die am Streik beteiligten Neupack-Beschäftigten freuen sich jedoch über aktive Unterstützer, die mit den Ausständigen nicht nur Streikposten stehen.
So gingen am 14.11. etwa 30 Neupack-Arbeiterinnen zusammen mit Unterstützern zur Kundgebung anlässlich des südeuropäischen Generalstreiks. Mit 300 Teilnehmenden stellten sie den größten organisierten Zusammenhang! Ihr Betriebsratsvorsitzender, Murat Günes, hielt dort eine Rede.
Im Solidaritätskreis, der sich bisher acht mal getroffen hat, sind auch einige Kollegen aus politischen Parteien oder Gruppen. Die Zugehörigkeit zu ihnen wird am Garderobenständer am Eingang des Zeltes abgeben. Jeder macht ausdrücklich als Person, als aktiver Gewerkschafter, im Solidaritätskreis mit. Es geht einzig und allein um die Unterstützung des Kampfes und nicht um Parteireklame. Jeder versucht dann, in betrieblichen oder organisatorischen Zusammenhängen, Unterstützung zu organisieren.
Parteireklame wird dennoch verstärkt seit einigen Tagen gemacht, seit der Streik hamburgweit bekannt wurde. Jeden Tag schlagen Abgeordnete verschiedener Parteien auf: Linkspartei, Grüne, SPD. In Rotenburg auch CDU-Abgeordnete.

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