von Klaus Dräger
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) wie auch der DGB lehnen den Fiskalpakt, wie zuvor den Euro-Plus-Pakt, ab. Hoffnungen auf «Mitte-Links-Regierungen» können sie sich jedoch nirgendwo machen. Welche Alternative schlagen sie jeweils vor, um die «Eurokrise» zu überwinden? Und wie wollen sie diese durchsetzen?
Der EGB
Der EGB brauchte nach dem Kriseneinbruch Ende 2007 zwei Jahre, um 2010 zumindest eine vorläufige programmatische Alternative für Europa zu formulieren. Aus meiner Sicht hatte diese durchaus Substanz und bot vielfältigen gesellschaftlichen Kräften Anschlussmöglichkeiten für ihre jeweiligen Anliegen.
Im Mittelpunkt stand die Forderung nach einem europäischen ökologisch-solidarischen Zukunftsinvestitionsprogramm, das weit über die bisher in den Gewerkschaften üblichen Rufe nach «Konjunkturprogrammen» hinausging. Es war mindestens auf fünf Jahre angelegt, um einen «Pfadwechsel» nach der «Großen Rezession» 2007–2009 in der EU zu befördern. «Eurobonds» für Investitionen sollten es finanzieren und jährlich mindestens 1% des EU-BIP dafür aufbringen. Gebündelte öffentliche Investitionen und ihre gezielte Lenkung in bedürftige Regionen und Branchen zur Einleitung einer ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung – das war die Grundphilosophie des EGB-Vorschlags.
Im «Begleitprogramm»: Brechung der Macht der Finanzmärkte (Verbote von bestimmten Finanzinstrumenten; Schrumpfung von Banken und Finanzindustrie und deren Reduzierung auf eine dienende Funktion für Verbraucher und Realwirtschaft); neue ökologische und soziale Industrie- und Dienstleistungspolitik inklusive Fördermaßnahmen für die dazu nötige Ausbildung und Weiterbildung der Beschäftigten; höhere Löhne, «gute Arbeit» und verbesserte soziale Sicherungssysteme zur Stabilisierung der Massenkaufkraft; radikale Umverteilung von Einkommen und Vermögen usw.
Dies wurde verbunden mit dem Angebot «europäischer Aktionstage der Gewerkschaften» (und sozialer Bewegungen), um in diesem Rahmen parallel sowohl auf EU- als auch nationaler Ebene Druck gegen die von den EU-Eliten und nationalen Regierungen ab Ende 2009 eingeleitete Rückkehr zur Sparpolitik aufzubauen.
Die vorläufige Bilanz: Auf nationalstaatlicher Ebene unterstützten die Gewerkschaften der nordischen und exportorientierten EU-Staaten diesen Ansatz bestenfalls sehr verhalten. Die Umwelt- und Sozialverbände verstanden die Öffnung des EGB gegenüber ihren Anliegen nicht recht und verhandelten lieber mit der EU-Kommission über die neue neoliberale «Europa-2020-Strategie» (ohne positive Ergebnisse für sie). Überwiegend in den Staaten der EU-Südperipherie kam es zu machtvollen Demonstrationen oder Generalstreiks.
Ironie der Geschichte: Ein EGB-Generalsekretär wie der Brite John Monks, der zuvor stets von der europäischen gewerkschaftlichen Linken als «Weichei» betrachtet worden war, weil er den Vertrag von Lissabon als «Fortschritt zum sozialen Europa» pries und eine Politik im Geiste der Modernisierung der «Sozialpartnerschaft» propagierte, entschied sich plötzlich für eine Strategie der «gewerkschaftlichen Gegenmacht» in Europa. Rigoros lehnte er die Konzeption der Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM und die damit verbundenen Änderungen des EU-Vertrags ab, wie auch die Vorschläge der EU zur «wirtschaftspolitischen Steuerung» und den Euro-Plus-Pakt.
Doch Trägheit und Ignoranz vieler nationaler Gewerkschaftsdachverbände – vor allem die deutschen, niederländischen und skandinavischen wähnten sich 2010/2011 auf der sicheren Seite eines erneuten Wirtschaftsaufschwungs durch ihre «kluge Beschäftigungspolitik» in der Krise – sowie der übliche Opportunismus der NGOs im Umwelt- und Sozialbereich («Europa 2020 positiv begleiten, um Fördermittel für uns herauszuholen») strangulierten die Perspektive eines allgemeinen «sozialen Aufruhrs» in Europa, den die EU-Eliten zuvor so sehr befürchtet hatten.
Unter Monks’ Nachfolgerin Bernadette Segol an der Spitze des EGB wurde die Programmatik von 2010 schrittweise abgemildert, wie der jüngste EGB-Vorschlag für einen EU-Solidarpakt (2012) verdeutlicht. Doch selbst dieses abgespeckte Konzept wird von den Mitte-Links-Kräften in der EU praktisch nicht unterstützt.
Der DGB
Der DGB und das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) lehnen die scharfen Auflagen für Eurorettungskredite ab. Der DGB fordert ein Zukunftsprogramm für Wachstum und Beschäftigung, beklagt die mangelnde Regulierung der Finanzmärkte und fordert einen höheren Beitrag von Vermögenden, Kapitaleinkünften und hohen Einkommen zur Bewältigung der Krise. Letzteres hinderte den DGB allerdings nicht daran, Ende September 2011 gemeinsam mit Arbeitgeberpräsident Hundt den Bundestag aufzufordern, dem Eurorettungsschirm EFSF zuzustimmen.
Das Ratifizierungsgesetz sah aber die vom DGB kritisierten harschen Bedingungen für die Kreditvergabe vor, was die Gewerkschaftsführer durchaus wussten. In staatsmännischer Pose warben der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und die Vorsitzenden aller Einzelgewerkschaften mit großformatigen Anzeigen in Tageszeitungen trotzdem für die Zustimmung zum EFSF: «Ja zu Europa – ja zum Euro».
Der Hintergrund: «Die Konsequenz einer Verschärfung der Euroraumkrise bis hin zu einer Insolvenz wäre nicht nur für die Länder in Finanzierungsschwierigkeiten, sondern auch für Deutschland sehr negativ» (IMK 2011). Insbesondere wenn größere Länder (wie z.B. Spanien, Italien) in eine Abwärtsentwicklung gerieten, verschlechterten sich die «Absatzchancen für Deutschlands Exportindustrie». So gesehen wären Hilfen für die betroffenen Länder «also auch Hilfen für die deutsche Wirtschaft».
Noch deutlicher wurde die IG Metall (2011): «Die deutsche Wirtschaft ‹lebt› wie kaum eine andere Volkswirtschaft vom Export. Die Kunden im Ausland sichern bei uns Millionen von Arbeitsplätzen. Die wichtigsten Abnehmer deutscher Waren sind die Europäer … Die gemeinsame Währung hat gerade die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produkte enorm erhöht. Wenn die hoch verschuldeten Länder aus der gemeinsamen Währung ‹hinausgeworfen› werden, werten sie ihre Währungen ab, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern … Eurobonds, Rettungsfonds und andere Hilfeleistungen an Defizitländer sollten an Bedingungen geknüpft werden, die das Ziel haben, Schulden abzubauen: Das heißt, die Länder sollen Maßnahmen ergreifen, die die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft verbessern und Wirtschaftswachstum fördern. Hierzu müssen die Krisenländer zwar selbst beitragen, zum Beispiel durch effektivere Steuersysteme, allerdings brauchen sie auch Unterstützung etwa durch einen neuen ‹Marshallplan›.»
Das beherzte Bekenntnis solcher Gewerkschaftsspitzen zu EU und Euro dient in erster Linie der vermeintlichen Sicherung «deutscher nationaler Interessen». Kapital und Arbeit in Deutschland sitzen dabei im gleichen Boot. Gut – den Griechen, Portugiesen, Iren usw. muss mit Strukturbeihilfen und nicht näher ausgeführten «Marshallplänen» irgendwie geholfen werden. Aber in erster Linie sollen sie Schuldenabbau betreiben und die «internationale Wettbewerbsfähigkeit» ihrer Wirtschaften wieder herstellen – was implizit auch jahrzehntelange «Lohnmoderation» der dortigen Gewerkschaften einschließt.
Schwachpunkte
Die Schwäche der «Alternativkonzeptionen» der Gewerkschaften liegt in ihrer Fixierung auf einzelne Instrumente oder «Modelle», die den systemischen Zusammenhang der Krisen außer Acht lassen. Die realen politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die Strategien der EU-Eliten, werden von ihnen weitgehend ausgeblendet – dazu einige Beispiele:
- * Eine Teilvergemeinschaftung der Schulden der Mitgliedstaaten mit gemeinsamer Haftung durch Eurobonds klingt gut, würde sie doch den wirtschaftlich schwächeren EU-Ländern auf den ersten Blick niedrigere Zinskosten bringen. Ein Wechsel bestehender öffentlicher Schulden auf Eurobonds bewirkt aber weder Entschuldung noch neue fiskalische Schuldenkapazität für die Eurozone. Alle maßgeblichen Eurobonds-Vorschläge in dieser Hinsicht sehen genau wie bei den Euro-Rettungsschirmen vor, dass die Mitgliedstaaten bei einem Tausch ihrer Schuldtitel (bis zur Maastricht-Grenze von 60% ihres BIP) in gemeinschaftliche Eurobonds «strikte Konditionen» à la Fiskalpakt zu erfüllen hätten. Was wäre damit gewonnen?
- * Eine «demokratische europäische Wirtschaftsregierung» einschließlich der Kompetenz, «die Richtung der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten zu bestimmen», unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments? Hat man nicht bemerkt, dass die Mehrheit des EP bei den EU-Verordnungen zur «Economic Governance» sein Mitentscheidungsrecht nutzte, um dem Rat «automatischere Sanktionen» beim Stabilitätspakt und eine gestärkte Rolle der Kommission abzuringen? Warum sollte eine neoliberale Mehrheit des Europäischen Parlaments ausgerechnet die alternativen Vorschläge aus den Gewerkschaften umsetzen wollen?
Wer sind dann aber die Akteure, um einen Politikwechsel voranzutreiben? Roosevelts New Deal in den 30er Jahren, der vielen in den Gewerkschaften und der alternativen Linken als Vorbild für die heutige Krisenbekämpfung dient, war die Reaktion auf massive Kämpfe der Gewerkschaften, Kriegsveteranen und armen Farmer. Erst die Angst des Großkapitals, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte, machte es zu Zugeständnissen bereit. Ohne verallgemeinerten «sozialen Aufruhr», den die EU-Eliten in der Krise 2008/09 befürchteten, wird sich weder in Deutschland noch in der EU etwas zum Positiven bewegen.
Die Langfassung dieses Artikels findet sich in der Zeitschrift Z, Nr.92, September 2012.
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