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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2012

Linke Opposition gegen Putin soll mundtot gemacht werden

Wir, Vertreter von russischen linken Organisationen, wenden uns mit einem Aufruf zur Solidarität an unsere Genossinnen und Genossen überall auf der Welt.
Es geht um eine Repressionskampagne der russischen Behörden, die in der jüngeren Geschichte Russlands ohne Beispiel ist. Ihr Ziel ist es, die Linke als organisierte politische Kraft auszulöschen. Wir sind konfrontiert mit Verhaftungen, Drohungen, Prügeleien, aggressiven Medienangriffen und Schritten zur Illegalisierung linker Gruppen: All das deutet auf eine neue Strategie der Behörden hin, die grausamer und unberechenbarer ist als vorher.
Die massive Protestbewegung, die im Dezember 2011 begonnen hat, hat die Atmosphäre politischer und sozialer Passivität, die während der Putin-Jahre vorherrschte, radikal verändert. Zehntausende Menschen in jungem und mittlerem Alter gingen damals auf die Straße und forderten Veränderungen. Am 10. und 24.Dezember 2011 und dann am 4.Februar 2012 fanden in Moskau, Petersburg und anderen Großstädten Massenkundgebungen statt, die bei einem großen Teil der Gesellschaft ein neues Niveau der Politisierung zeigten. Das Modell der «gelenkten Demokratie», an dem die herrschende Elite lange Jahre gearbeitet hat, ging in wenigen Tagen unter. Die Bewegung, deren Forderungen sich anfänglich auf «ehrliche Wahlen» beschränkten, weitete sich rasch zum Protest gegen das gesamte politische System aus.
Nach der Wahl Putins am 4.März 2012 dachten viele, die Protestbewegung hätte sich nun erschöpft. Doch der Wahlbetrug ließ das nicht zu. Am 6.Mai, dem Tag vor Putins Amtsantritt, kamen im Zentrum von Moskau trotz skeptischer Vorhersagen über 60.000 Menschen zusammen. Als der Demonstrationszug den Platz erreichte, wo die Kundgebung stattfinden sollte, organisierte die Polizei eine massive Provokation und versperrte den Marschierenden den Weg auf den Platz. Alle, die den Polizeikordon zu umgehen versuchten, wurden verprügelt und festgenommen. Einige Protestierende widersetzten sich und weigerten sich, den Platz zu verlassen, bis alle freigelassen worden waren. Die Konfrontation dauerte mehrere Stunden. Am Ende wurden über 650 Menschen festgenommen, einige von ihnen verbrachten die Nacht im Gefängnis.
Die Ereignisse vom 6.Mai führten zum Aufschwung der Occupy-Bewegung, zu der tausende von jungen Menschen im Zentrum von Moskau zusammenkamen und die bis Ende Mai stark war. Linke Gruppen, die bis dahin gegenüber etablierten liberalen Sprechern der Bewegung eine randständige Rolle gespielt hatten, konnten sich zunehmend Gehör verschaffen.
Diese Ereignisse waren für die Behörden ein Signal: Die Bewegung war über das hinausgegangen, was zugelassen war, die Wahlen waren vorüber, und es war an der Zeit, die Zähne zu zeigen. Fast sofort wurde eine strafrechtliche Untersuchung der «massiven Störung der öffentlichen Ordnung» eingeleitet, am 27.Mai fand die erste Verhaftung statt. Die Beschuldigten sind langjährige politische Aktivisten (vor allem Linke), aber auch gewöhnliche Menschen, die am 6.Mai erstmals eine Demonstration mitgemacht hatten. Bis jetzt wurden 19 Menschen wegen der Teilnahme an diesen «Störungen» angeklagt. [...]
Am 5.Oktober hat NTV, einer der führenden russischen Fernsehkanäle, einen Film ausgestrahlt, der haarsträubende Anschuldigungen gegen die Opposition erhob, insbesondere gegen den bekanntesten Vertreter der Linken, Sergej Udalzow. Dieses Machwerk, das in der Tradition von Goebbels’ Propaganda steht, informiert uns über Udalzows Verbindungen zu ausländischen Nachrichtendiensten; die Aktivitäten der Linken Front, an deren Spitze er steht, werden zu geheimen Plänen von ausländischen Staatsfeinden erklärt. Als entscheidenden Beweis enthält der Film Aufnahmen von einem Treffen von Sergej Udalzow mit Leonid Raswoshajew (Linke Front), Konstantin Lebedew (Russische Sozialistische Bewegung) sowie Givi Targamadse, einem der engsten Berater des georgischen Präsidenten. Dabei ist insbesondere von Geld die Rede, das die Georgier für die «Destabilisierung» von Russland zur Verfügung stellen würden.
Trotz der Tatsache, dass die Gesichter auf der Aufnahme praktisch nicht zu erkennen sind und dass der Ton eindeutig bearbeitet und dem Video hinzugefügt worden ist, hat der Untersuchungsausschuss des Büros des Generalstaatsanwalts sie sofort benutzt, um Strafverfahren zu eröffnen. [...]
Am 19.Oktober ersuchte Leonid Raswoshajew bei der Vertretung der Vereinten Nationen in der Ukraine um Asyl. Als er das Gebäude verließ, zwangen ihn Unbekannte in ein Fahrzeug und transportierten ihn illegal über die ukrainische Grenze auf russisches Territorium. Dort angekommen, wurde er gefoltert, mit Angriffen auf seine Familie bedroht und gezwungen, eine «freiwillige Gehorsamserklärung» und ein «Geständnis» zu unterschreiben. Darin gesteht Raswoshajew Verbindungen zu ausländischen Diensten und Vorbereitungen für einen bewaffneten Aufstand, an denen auch Konstantin Lebedew und Sergej Udalzow beteiligt sein sollten. Danach wurde er nach Moskau ins Gefängnis gebracht. Raswoshajew hat Menschenrechtsaktivisten gegenüber versichert, dass er diese unter Zwang gemachten Geständnisse widerruft. Doch die Folgen lassen sich nicht rückgängig machen: «Raswoshajews Liste», die durch Folter aus ihm herausgeprügelt wurde, ist notorisch geworden: Sie enthält die Namen von Menschen, die über kurz oder lang mit Verfolgung zu rechnen haben.
Vor kurzem wurde eine Untersuchung gegen die Linke Front eröffnet, in deren Folge sie durchaus als «extremistisch» verboten werden könnte. Der Druck auf die antifaschistische Bewegung steigt gleichfalls. Bekannte Aktivisten wurden unter erfundenen Beschuldigungen festgenommen und befinden sich in Moskau in Vorbeugehaft.
Wir wenden uns an euch mit der Bitte um die Organisierung von Tagen der Solidarität gegen politische Repression, zwischen dem 29.November und 2.Dezember vor der Botschaft der Russischen Föderation oder vor anderen Vertretungen der russischen Regierung in euren Ländern.
Wir fordern die sofortige Freilassung der illegal Verhafteten, das Ende der Verfolgungen und der Vorbereitung von neuen, auf Folter und Fälschungen beruhenden «Moskauer Prozessen».
Bitte schickt eure Berichte über Solidaritätsaktionen und weitere Informationen oder Fragen an diese E-Mail-Adresse:
solidarityaction2012@gmail.com.
Solidarität ist unsere einzige Waffe!
Gemeinsam werden wir nie besiegt werden!
Rossiskoje Sozialistitscheskije Dwishenije (RSD – Russische Sozialistische Bewegung), Awtonomoje Dejstwije (Autonome Aktion), Lewy Front (Linke Front)
www.politzk-ru.org/prizyiv-k-mezhdunarodnyim-dnyam-solidarnosti-protiv-repressij-v-rossii.html.

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