Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2012

Der Briefwechsel zwischen Heinrich und Klaus Mann. (Hrsg. Inge Jens, Uwe Naumann.) Reinbek: Rowohlt, 2011. 304 S., 19,90 Euro
von Peter Fisch

Inge Jens und Uwe Naumann haben eine gediegene Edition des Briefwechsels zwischen Heinrich Mann und seinem 1906 geborenen Neffen Klaus Mann, die beide zu Repräsentanten des antifaschistischen deutschen Exils wurden, vorgelegt – und nicht nur das. Ergänzt wird der 300-Seiten-Band durch alle Tagebuch-Eintragungen von Klaus Mann, die seinen Onkel betreffen, sowie die wichtigsten Aufsätze, die beide übereinander geschrieben haben.
Ein ausführliches Doppelporträt (Nachwort) über deren Rolle in den politischen und literarischen Auseinandersetzungen der Zeit und, dazugehörig, detaillierte und akribisch aufgelistete Anmerkungen runden die Edition ab. Der größte Teil der Briefe und Aufsätze erscheint erstmalig (!). Damit wurde eine spürbare Lücke in der Familiengeschichte der Manns überzeugend geschlossen.
Was war der Grund für die Hinwendung von Klaus zum Onkel Heinrich? War es das Ausleben seiner inneren Befindlichkeit, ein Gegenentwurf zum bürgerlich-konservativen Lebensstil des Bruders Thomas? Es war wohl noch mehr: die grundsätzliche Übereinstimmung darin, sich ungeteilt und von Anfang an (im Gegensatz zu Thomas) zur antifaschistischen Emigration zu bekennen. Beide, Heinrich und Klaus, sahen sich verpflichtet, «die große Tradition des deutschen Geistes in der Fremde» (vgl. die Autobiographie Klaus Manns Der Wendepunkt) zu verteidigen und zu erhalten. Klaus imponierten nicht nur seine schriftstellerisch-publizistischen Leistungen und das politische Bekenntnis des Onkels zum Antifaschismus und zur Demokratie, schon seit den 20er Jahren, sondern auch sein militantes Eintreten, «unter vollem Einsatz seines Talents und seiner Person» gegen «alles Verhasste».
Heinrich Mann war bis zur Besetzung Frankreichs durch die Naziwehrmacht im Mai /Juni 1940 der führende Kopf und Sprecher der Gegner des Hitler-Regimes. Es war kein Zufall, dass er an der Spitze des «Vorbereitenden Ausschusses für eine deutschen Volksfront» gestanden hatte. Klaus reifte im Exil zum bedeutenden Schriftsteller und Publizisten. Mit Beginn der NS-Diktatur engagierten sich beide tatkräftig für die Einheit der antifaschistische Bewegung. Der Briefwechsel widerspiegelt gerade das in vielerlei Nuancen, vor allem die beidseitig vielfältigen Anstrengungen auf publizistisch-literarischem Gebiet, u.a. von Klaus Mann die Herausgabe der Zeitschriften Die Sammlung (1933–1935) und Decision (1941/1942), sowie beim Schreiben seiner Romane Treffpunkt im Unendlichen, Flucht in den Norden und Vulkan. Umgekehrt erbat sich Heinrich Mann ein Urteil des Neffen über seinen Henri Quatre und den Roman Lidice. Es ist nur zu natürlich, dass persönliche Befindlichkeiten und Informationen von und über den «Zauberer» Thomas und seine Familie, das Suchen nach Publikationsmöglichkeiten und den Aufbau von Kontakten zu Verlagen ausgetauscht wurden.
Bemerkenswert ist die beidseitige menschliche Wärme, sichtbar z.B. in den Äußerungen von Klaus über die zweite Frau von Heinrich Mann, Nelly, im Gegensatz zu deren üblicher Abwertung, ja Ausgrenzung im Hause von Thomas Mann. Es gehört zum Bild, dass Klaus, kurz nach Kriegsende, die erste Frau von Heinrich und deren Kind in Prag aufsuchte und dem Onkel berichten konnte, dass beide überlebt hatten, trotz der Haft im KZ Theresienstadt. Heinrich wurde zu einer Art Vaterfigur und Vorbild zugleich. Freilich gab es auch Differenzen, besonders bezüglich der UdSSR, die Klaus kritischer sah als der Onkel, einschließlich der Beurteilung der Moskauer Terrorprozesse. Das Verhältnis zueinander war von großem Respekt und geistiger Verwandtschaft, besonders im Literarischen, geprägt, jedoch nicht, was anzunehmen wäre, von emotionaler Zuneigung.
Mit dem Exil in den USA änderte sich besonders für Heinrich die Lebenssituation grundsätzlich. Während Klaus, umtriebig bis zuletzt und ruhelos für immer und dann, in den USA ankommend, sich 1942 freiwillig für den Dienst in der US-Armee meldete und an den Kämpfen zur Befreiung Europas vom Faschismus teilnahm, wurde es um seinen Onkel immer einsamer. Er fand keinen Zugang zur amerikanischen Kunst und Kultur samt Sprache, Literaturbetrieb und Öffentlichkeit. Im Dezember beging seine Frau Nelly Selbstmord, was seinen Lebensnerv traf. Nur einer der Manns, Klaus, äußerte warmherziges Mitfühlen. Die 1946 eingegangene Einladung von Becher und Wandel, in die Ostzone zu kommen, nahm er letztlich nicht wahr. Hinderten am Kommen nur Unsicherheiten, Alter und Krankheit? Die Frage bleibt offen. Zunehmend isoliert, fand er keinen angemessenen Platz in einer Welt, die schon durch den Kalten Krieg gekennzeichnet war. Dazu kam zunehmende Enttäuschung über die politische Nachkriegsentwicklung in den Westzonen, ohne jedoch in der Ostzone eine politische und künstlerische Verwurzelung finden zu wollen. Zu seinen Lebzeiten wurde keine Zeile mehr von ihm gedruckt.
Heinrich Mann starb am 12.März 1950 in Santa Monica. Seine Lebenskraft war aufgebraucht. Klaus schrieb am 25.Dezember 1947 aus Amsterdam den letzten Brief an den Onkel, immerhin eineinhalb Jahre vor seinem eigenen Ableben, den dieser am 2.Januar 1948 beantwortete. Die Frage, warum zu diesem Zeitpunkt bereits der Briefwechsel beendet wurde, findet keine schlüssige Antwort.
Der letzte Text, an dem Heinrich Mann mitarbeitete, war ein 16-seitiger Essay über Klaus. Er sollte in einem ihm gewidmeten Gedenkbuch Platz finden, das Erika Mann geplant hatte. Der Essay schließt, fazitartig, mit den Worten: «Es ist zu sagen, dass dieser ein reiner Mensch war.» Klaus hatte, in gleicher Linie denkend, in einer Tagebuch-Notiz vom 17.Juni 1939 festgehalten: «Eines Tages – gesetzt, ich soll meinen Vater überleben – werde ICH DAS [Hervorhebung K.M.] Buch über ihn und Heinrich Mann schreiben...»

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