Korrespondent München
Ganz Deutschland ist beherrscht von vier Energiemultis: E.on, RWE, Vattenfall und EnBW. Ganz Deutschland? In einigen Ecken gibt es Gemeinden, die sich selbständig gemacht haben und ihren Strom selber erzeugen. Seit 1980 engagieren sich Bürger in Furth, einer Gemeinde mit ca. 3500 Einwohnern in Niederbayern, für die Energiewende. Als erster in Deutschland beschloss der Gemeinderat 1999, auf der Grundlage einer Studie der Fachhochschule Weihenstephan 100% erneuerbare Energie zu erreichen. Die Gemeinde schreibt:
«Von dem hochgesteckten Ziel konnten inzwischen etwa 80% bei Wärme und 40% bei Strom erreicht werden. So existieren derzeit ca. 3000 m2 Sonnenkollektoren, 12.000 m2 Photovoltaikanlagen, ein Hackschnitzelheizwerk mit 800 kW Nennleistung, zahlreiche moderne kleinere Biomasseheizanlagen und eine 240 kW Biogasanlage mit Nahwärmenetz. Es gibt ein kommunales Energiesparprogramm für öffentliche Gebäude und eine allgemeine Energieberatung. In der Gemeinde wurde die Idee ‹Bürgersolarkraftwerk›, also private Anlagen auf öffentlichen Dächern, entwickelt und äußerst erfolgreich ‹exportiert›. In den letzten zwölf Jahren wurden in der Gemeinde über 10 Millionen Euro in Erneuerbare Energien und in Energieeinsparung investiert und damit die lokalen und regionalen Wirtschaftskreisläufe ganz erheblich und spürbar gefördert. Das Geld dafür stammt überwiegend und direkt von verantwortungsbewussten Bürgern aus dem nahen Umkreis.»
Die kleine Gemeinde Wildpoldsried im Oberallgäu erhielt 2009 den deutschen Solarpreis.
Über 285% des Strombedarfs werden durch 5 Windkraft-, 5 Biogas-, 3 Wasserkraft- und ca. 200 Photovoltaikanlagen erzeugt. Ein Biomasseheizkraftwerk deckt den gesamten Wärmebedarf der kommunalen Gebäude und der ans Nahwärmenetz angeschlossen Privathäuser. Bis zum Jahr 2020 soll der gesamten Wärmebedarf regenerativ erzeugt werden.
Die Eigentümer der Anlagen sind meist Landwirte, entweder allein oder, bei größeren Anlagen, in Genossenschaften oder Gesellschaften zusammengeschlossen. Die Gemeinde unterstützt Energieeinsparung durch kostenlose Energieberatung, Ausleihen von Stromverbrauchsmessgeräten und konkreten Projekten wie eine Austauschaktion von Heizpumpen oder die Umrüstung aller Straßenlaternen auf LED, die den Stromverbrauch um rund 75% reduziert und sich in weniger als zwei Jahren amortisiert.
Ein Versuch in der Großstadt
Was auf dem Land mit seinen Flächen für Windkraftanlagen und der Landwirtschaft für Biogasanlagen noch relativ einfach ist, gestaltet sich in einer Großstadt schwierig. Hier ist es nicht mehr möglich, auf dem Stadtgebiet die benötigte Energie zu erzeugen. Windanlagen im Wohngebiet sind nicht gerade erwünscht. Die Dächer sind meist ausgebaut und viele Wände und Dächer werden von den Nachbarhäusern verschattet und sind damit für Photovoltaik nicht gut geeignet. Biogasanlagen im Gemeindepark würden auch nicht auf Zustimmung stoßen.
München ist mit 4440 Einwohnern je km2 eine sehr dicht besiedelte Großstadt. Im Jahre 2008 hat die Stadt die Klimaziele des europäischen Netzwerks «Klimabündnis e.V» übernommen: die CO2-Emissionen sollen alle fünf Jahre um 10% reduziert werden; der CO2-Ausstoß soll bis spätestens 2030 – bezogen auf das Basisjahr 1990 – halbiert werden.
Neben Kooperationen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene gibt es zwei Handlungsfelder:
* Das Integrierte Handlungsprogramm Klimaschutz in München (IHKM), das in die Stadtverwaltung hinein wirkt und relevante Handlungsfelder in der Verwaltung erschließt. Dazu gehören u.a.: die «Ausbauoffensive Erneuerbare Energien» der Stadtwerke München (SWM), einem der größten kommunalen Versorger in Deutschland; das Förderprogramm zur Energieeinsparung (FEM); der Ausbau der Energieeffizienz bei städtischen Gebäuden oder die Umstellung der Straßenbeleuchtung und Signalisierung auf stromsparende Technik.
* Das Bündnis «München für Klimaschutz» (MfK) für den Privatsektor, an dem die Stadtwerke, die Verkehrsbetriebe, städtische und private Wohnungsgesellschaften, die IHK, Banken, Versicherungen u.a. teilnehmen. Es organisiert viele Veranstaltungen, wie den Klimaherbst München, und hat viele Projekte initiiert. Neben den weiter unten beschriebenen Projekten der Stadtwerke sind es die klimafreundliche Wiesn, E-mobility-Projekte, Solarprojekte und Effizienzmaßnahmen beim ÖPNV. Einige der Projekte riechen sehr nach Greenwashing, wie die Wiesn, zu der die Menschen bis aus Australien kommen, um hier Hendl und Bier zu konsumieren.
Ausbauoffensive erneuerbare Energien
Laut Angaben der Stadtwerke setzte sich letztes Jahr der Münchner Strom so zusammen: 37% Strom aus Erdgas, 30% aus Kohle und 32% aus erneuerbaren Energien. Daneben gibt es noch einen reinen Ökostromtarif.
* Zwei Kraftwärmekopplungsanlagen (KWK) decken ungefähr zwei Drittel des Münchner Strombedarfs und werden mit Erdgas, Kohle und Abfall (Müllverbrennung) betrieben. Sie erzeugen Strom und Fernwärme und haben daher einen hohen Wirkungsgrad. Das HWK Süd hat ca. 700 MW elektrische Leistung, das HWK Nord 360 MW. Die Wärmeleistung ist mehr als doppelt so hoch. Diese CO2-Schleudern sollen ersetzt werden.
* Außerdem sind die Stadtwerke München noch zu 25% am AKW ISAR 2 beteiligt, das im Jahr 2022 als eines der letzten abgeschaltet werden soll. Laut Angaben der Stadtwerke wird der dort erzeugte Strom nicht für München verwendet, sondern auf dem Strommarkt verkauft.
* Daneben liefern Wasserkraftwerke an der Isar, in den Mühlbächen und im Umland Strom. Teilweise wurden bestehende Anlagen erneuert, sodass sich ihr Wirkungsgrad erhöhte.
* Die Projekte in Solarthermie, Geothermie und viele kleinere Photovoltaikanlagen im Stadtgebiet führen eher ein Nischendasein.
Die großen Solarprojekte sind Solarparks in Bayern und Brandenburg und das Solarthermiekraftwerk Andasol 3 in Spanien. Dieser größte Solarenergiestandort in Europa mit einer Leistung von 50 MW wird von einem Konsortium aus Stadtwerke München, RWE Innogy, RheinEnergie, Ferrostaal und Solar Millennium betrieben. 205000 Parabolspiegel bündeln die Hitze der Sonnenenergie und übertragen diese auf eine Wärmeträgerflüssigkeit. Über Wärmetauscher wird Wasserdampf erzeugt, der in einem Generator Strom erzeugt. Ein Teil der Wärme wird in einem thermischen Speicher mit Hilfe eines speziellen Salzgemischs gespeichert, sodass das Kraftwerk auch nachts Strom liefern kann. Es ist Anfang des Jahres in Betrieb gegangen.
Der Anteil der SWM entspricht knapp 50% und deckt den Jahresverbrauch von 33.000 Haushalten.
Mit diesen schon realisierten oder angestoßenen Projekten sollen bis 2015 2,4 Mrd. kWh Strom erzeugt werden. Mit dieser Menge wären dann bereits alle rund 800.000 Münchner Haushalte versorgt und darüber hinaus noch der Bedarf von U-Bahn und Tram gedeckt.
Der gesamte Strombedarf in der Stadt ist aber dreimal so hoch. Bis 2025 soll er jedoch vollständig aus Ökostrom von Anlagen der Stadtwerke gedeckt werden. «München wird damit weltweit die erste Millionenstadt sein, die dieses Ziel erreicht», schreiben die Stadtwerke München (SWM). Bis 2025 rechnen sie mit einem Investitionsvolumen von 9 Mrd. Euro. Vorrang haben die Stadt und die Region. Doch die SWM engagiert sich in ganz Europa.
Der zusätzliche Strom aus erneuerbaren Energien soll in unterschiedlichsten Anlagen erzeugt werden:
* Offshore-Windparks in der Nordsee und einer in Großbritannien vor der Küste von Nordwales.
Der Windpark DanTysk bspw. liegt 70 km westlich von Sylt und hat eine Ausdehnung von 70 km2 bei einer Länge von 19 km. Angeschlossen wird er über eine etwa 200 km lange Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ), die als Erdkabel realisiert ist und als sehr verlustarm gilt. Die Gesamtkosten für den Park, der vom dänisch-deutschen Joint Venture Aarsleff Bilfinger Berger mit 80 Siemens-Windanlagen gebaut wird, belaufen sich auf über 1 Mrd. Euro. Ab 2014 soll die 288-MW-Anlage in Betrieb gehen und dann 1,4 Mrd. kWh Strom im Jahr liefern. Neben Vattenfall sind die SWM mit 49% daran beteiligt und versorgen dann ca. 250000 Haushalte in München. Die beiden anderen Projekte haben ähnliche Dimensionen.
* An 14 Onshore-Windparks in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und weiteren in Belgien, Frankreich, Kroatien und Polen haben die SWM eine 33%ige Beteiligung. Sie liefern 100 Millionen kWh Strom für 40000 Münchner Haushalte.
* Ein Geothermie-Heizkraftwerk in der Umgebung soll demnächst 16000 Haushalte mit Strom versorgen und gleichzeitig Fernwärme bereitstellen.
Fernwärme aus regenerativen Energien
Die Fernwärme, die heute in den fossilen Heizkraftwerken erzeugt wird, soll bis 2040 zu 100% aus regenerativer Energie gewonnen werden. Diese Vision sieht die Erschließung von Erdwärme, die Verwendung von Biogas und Windgas und die Verbrennung von Restmüll vor. Dabei hoffen die SWM auf einen Rückgang des Verbrauchs auf Grund der Gebäudesanierung (Wärmedämmung). Dieses Projekt befindet sich noch in einer frühen Phase. Probebohrungen in der 2000 bis 3000 m tiefen Malm-Kalksteinschicht, die in der Gegend von München 80–100 Grad warmes Wasser führt, haben das Potenzial aufgezeigt. Aktuell gibt es aber erst drei kleine Projekte, an denen die SWM lernen wollen.
Im Sommer wird nicht Wärme, sondern Kälte benötigt. Die Kälte wird aus den kalten Stadtbächen oder dem Grundwasser entnommen. Beispielsweise kühlt das Grundwasser eines U-Bahn-Hofs über Wärmetausch das Entwicklungszentrum von BWM. So sollen elektrische Klimaanlagen überflüssig gemacht werden
Ist Energieautarkie für eine Großstadt sinnvoll?
Die Stadtwerke bieten eine Energieberatung an, verleihen kostenlos Energiemessgeräte und schulen ehrenamtliche Berater von Wohlfahrtsverbänden, die kostenlose Beratungen für Haushalte mit geringen Einkommen durchführen. Die Stadt München hat ein Förderprogramm Energieeinsparung (FES) aufgelegt, das im Jahre 2010 von 10 auf 14 Millionen aufgestockt wurde.
In diesem Katalog werden u.a. gefördert:
* die Wärmedämmung von Außenwänden, Sanierung von Wohngebäuden und Unterstützung von Neubauten, wenn diese bestimmte Standards erfüllen;
* der Anschluss ans Fernwärmenetz oder Bau eines Blockheizkraftwerks;
* der Austausch von elektrischen Nachtspeicheröfen gegen gebäudezentrale Heizungssysteme;
* der Bau von thermischen Solaranlagen.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen stößt an Grenzen, wenn Häuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt sind und die Eigentümer sich nicht dazu entschließen können. Daher muss gerade bei Altbauten mehr Druck seitens des Gesetzgebers erfolgen und die Mieter vor Mieterhöhungen geschützt werden. Über die Planung und die Ergebnisse der Sanierung von öffentlichen Gebäuden in München gibt es wenig Quellen, sodass der Eindruck entsteht, dass dies noch zu wenig angegangen wird.
Ist es sinnvoll, dass eine Großstadt autark werden will? Da die Beteiligung an vielen dezentralen Anlagen zu aufwändig ist, konzentriert man sich wieder auf einige Großprojekte, wie die Offshore-Windparks, die wegen der Umweltbelastung, aber auch wegen ihrer Wartbarkeit und Lebensdauer in der Kritik stehen. Bei großen Projekten mischen auch die großen Energieversorger und Großkonzerne wie Siemens, ABB mit.
Die Energiewende muss bundesweit, besser europaweit geplant werden. Wir brauchen eine öffentliche Diskussion über die wichtigen Entscheidungen der Energiepolitik:
* Zeitplan für die Abschaltung der Atomkraftwerke und Klärung der Entsorgung.
* Zeitplan für die Abschaltung der fossilen Kraftwerke.
* Wie soll der Mix zwischen den regenerativen Energieträgern sein?
* Wie viele Reserven an fossilen Kraftwerken brauchen wir?
* Wollen wir viele dezentrale Anlagen oder große (Offshore-)Windparks und große Solaranlagen?
* Wie lösen wir das Speicherproblem des Stroms und die Netzverfügbarkeit?
Damit die notwendigen Entscheidungen umgesetzt werden können, müssen die großen Stromerzeuger aufgeteilt und in öffentliche Hand oder in Genossenschaften überführt werden. Die Stromnetze gehören in die Hand des Bundes. Die Gewinne werden dann nicht den Investoren als Dividende ausgezahlt, sondern in den Umbau investiert, für Einsparprojekte verwendet oder sie kommen in Form von Preissenkungen den Verbrauchern zugute.
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