Wie Schäuble sich an der Finanzkrise gesundstößt
von Paul Michel
«Jetzt wird es teuer», textete Spiegel-Online und die großbürgerliche Zeit wollte wissen: «Griechenland-Hilfe belastet Bundeshaushalt millionenschwer.» Es geht um das neue Griechenland-Hilfspaket, das angeblich im Haushalt von Finanzminister Schäuble mit 730 Millionen zu Buche schlägt. Die Bundesregierung verkauft das als «Teil der Solidarität in einer schwierigen Zeit».
Es lohnt sich genauer hinzusehen, wo die 730 Millionen herkommen:
– Da fallen zunächst 130 Mio. Euro Zinseinnahmen aus bilateralen Krediten der Bundesrepublik an Griechenland weg. Sie stammen aus dem ersten Hilfspaket aus dem Jahr 2010. Dazu ist in Spiegel-Online zu lesen: «Rund 15,17 Mrd. hat Deutschland den Griechen damals gewährt – und daran bisher gut verdient. Rund 300 Mio. Euro sind laut Bundesfinanzministerium bis jetzt an Zinsen geflossen. Künftig soll es nun etwas weniger werden. Deutschland und die anderen Geberländer senken die Zinsen um 0,6 Prozentpunkte. Im deutschen Haushalt kommt damit nicht mehr so viel Geld an.» (27.11.2012.)
– Deutschland verzichtet zudem auf den deutschen Anteil an den Gewinnen, welche die Europäische Zentralbank(EZB) mit ihren Aufkaufprogrammen für griechische Staatsanleihen erzielt, insgesamt sind das rund 599 Mio. Euro.
In der Substanz bedeutet das: Schäuble zahlt nicht einen Cent aus dem Bundeshaushalt an Griechenland. Das Gläubigerland Deutschland gewährt Griechenland lediglich einen gewissen Abschlag auf die Zinszahlungen, die es ständig abkassiert. Das als deutsches «Opfer» zu verkaufen, ist wirklich ein starkes Stück.
Das aktuelle Schmierenstück ist nur die jüngste Folge einer sich mittlerweile über mehrere Jahre hinziehenden verlogenen Soap Opera mit dem Obertitel: «Wir sind die Zahlmeister Europas». Von einem Zahlmeister Deutschland kann aber nicht die Rede sein. Bislang hat der deutsche Staat von der Verschuldung der Krisenländer nur profitiert. Nicht nur in Form von direkten Zinsgewinnen, sondern vor allem dadurch, dass wegen der Eurokrise deutsche Staatsanleihen als «sicherer Hafen» gelten.
Fred Schmid vom Münchner Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) schreibt dazu: «Mit zunehmender Ausfallgefahr bei Staatsanleihen der Problemländer, flüchteten immer mehr Anleger in die angeblich sicheren deutschen Staatsanleihen, mit der Folge, dass aufgrund des Nachfragebooms nach deutschen Staatstiteln, Zinsen und Rendite auf historisch niedrigstem Stand angelangt sind. Für Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit muss der deutsche Finanzminister derzeit nur 1,37% Zinsen zahlen, der Zinssatz für fünfjährige Staatsanleihen liegt bei knapp 0,4% und Kurzläufer werden mit null Prozent emittiert. Das Top-Rating der Bundesrepublik ermöglichte niedrigste Zinsen für die eigene staatliche Kreditaufnahme, das Downgrading der Problemländer ließ dort die Zinsen immer weiter ansteigen.»*
Schmid hat die seit 2008 erzielten Zinseinsparungen zusammengerechnet: «Der deutsche Staat hat sich also im Verlauf der Finanz- und Schuldenkrise bis einschließlich 2011 insgesamt 65 Mrd. Euro an Zinsen erspart, die er hätte zahlen müssen, wenn die Zinsen auf dem Niveau von 2007 geblieben wären. 2012 kommen nochmal etwa 30 Mrd. Euro dazu, was dann einen Zinsgewinn von fast 100 Mrd. Euro bedeutet.»
Zu einem ähnlichen Ergebnis – bei einem anderen Rechenansatz – kommt das unternehmernahe Kieler Institut für Weltwirtschaft. Das Institut hat errechnet, dass allein der Staat für die in den vergangenen dreieinhalb Jahren – bis Mitte 2012 – ausgegebenen Anleihen fast 70 Mrd. Euro weniger Zinsen zahlen muss, als das bei dem Zinsniveau zwischen 1999 und 2008 fällig gewesen wäre.
Die Aussage «Deutschland ist Zahlmeister» hat ebenso viel mit der Wirklichkeit zu tun wie die Behauptung «Die Erde ist eine Scheibe». Sie ist ein Produkt pathologisch verzerrter Wahrnehmung, die zur Rechtfertigung einer imperialen Staatsräson die Dinge auf den Kopf stellt.
*Fred Schmid: Krisenprofiteur deutscher Staat – wie die Bundesregierung Milliardengewinne aus der Schuldenkrise zieht, 27.November 2012, nachzulesen auf: www.isw-muenchen.de.
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