Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2013

«Alles andere kommt später»
von Arno Klönne

Der Freitag-Herausgeber und Spiegel-Kolumnist Jakob Augstein freut sich, er hat wieder Spaß daran zu wählen, das verdankt er dem nun auch formell nominierten Spitzensozialdemokraten. Der hat auf dem Parteitag so sozialdemokratisch gesprochen, dass Augstein endlich weiß: Die Merkel-Regierung kann man tatsächlich in den Ruhestand schicken. Ganz einfach: «Peer Steinbrück wählen. Alles andere kommt später.»
Die SPD ist es leid in der Rolle der Opposition, sie will endlich wieder an die Regierung. Aber der SPD-Kanzlerkandidat hat seinen Schwur wiederholt: Nie wieder in einer Großen Koalition mit der jetzigen Bundeskanzlerin. Er jedenfalls nicht. Notfalls muss dann ein anderer Sozialdemokrat ran, und Steinbrück kann wieder als Vortragsreisender tätig werden.
Angela Merkel ist als oberste Christdemokratin bestätigt, sogar ein paar Prozente mehr hat sie dabei geholt als Steinbrück bei seiner Partei. Wer nicht die Stimmen von mindestens 90% der Delegierten hinter sich bringt, ist heutzutage bei einer Parteitagswahl ja praktisch durchgefallen. Eigentlich hält die Bundeskanzlerin nichts von einer neuen regierenden Partnerschaft ihrer CDU/CSU mit der SPD, die Grünen sind ihr noch zu grün und so schlimm ist die FDP gar nicht. Sagt sie. Aber sie ist Pragmatikerin. Wie auch immer – Merkel wählen, alles andere kommt später.
Von ihrem Parteitag abgesegnet wurden auch die grünen Spitzenkräfte, jetzt aufgefrischt durch eine ostdeutsche Protestantin, der ein soziales Herz nachgesagt wird. Die Grünen sind sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst, deshalb wollen sie in jedem Falle eines: mitregieren. Also brauchen sie viele, viele Stimmen, ein paar möglichst auch von Schlechterverdienenden, alles andere kommt später.
Nicht als hätte man auf diesen Parteitagen politische Verheißungen nicht zu hören bekommen. Alle drei Parteien sind dafür, dass es in der Marktwirtschaft sozial zugeht, noch sozialer, sagen SPD und Grüne. Im Detail gibt es Differenzen, wie das denn zu machen sei; die sind jedoch ziemlich unübersichtlich, schwer nachzuvollziehen, so dramatisch werden sie wohl kaum sein, dass deshalb diese oder jene Koalition nicht zustande käme. Außerdem sind programmatische Wünsche doch keine Gesetze! Vor der Wahl geht es um Werbung, alles andere kommt später.
Peer Steinbrück hat seine wahlkämpferischen Qualitäten, er kann viel eindrucksvoller reden als Angela Merkel, jetzt auch über soziale Gerechtigkeit. Aber bei der Bundeskanzlerin weiß man, wie tatkräftig sie ist, in ihrer ruhigen Art. Sie ist die mächtigste Frau in Europa, und mächtige Männer gibt es neben ihr nicht, nicht wirklich.
Das wird ein bisschen nervig am kommenden Wahlauftritt von CDU/CSU hier und SPD/Grünen dort sein: Sie müssen so tun, als stünden sie gnadenlos in Konkurrenz, obwohl doch klar ist, dass die CDU/CSU auch mit der SPD oder den Grünen ins Geschäft kommen kann, wenn der Politmarkt es so will. Und damit die Kundschaft nicht durcheinander gerät, müssen dazu noch die SPD und die Grünen jeweils ein Alleinstellungsmerkmal vorweisen. Da ist viel zu konstruieren für die Architekten des Wahlkampfs.
Nützlich sind Slogans, die schlicht genug sind, um in den Medien überall zitiert zu werden. Peer Steinbrück hat einen solchen zu bieten: «Wir brauchen mehr Wir, weniger Ich.» Damit dieser Spruch nicht bösartigerweise als Bekenntnis zum Kollektivismus gedeutet wird, zum sozialistischen, hat der Kanzlerkandidat auch gesagt: «Wir sind Verfechter eines gebändigten Kapitalismus.» Kapitalistisch soll es demnach weiter zugehen, nur eben moderat. Steinbrück ist eigentumsbewusst, in seiner Rede hat er etwas gesagt, das nicht so sehr beachtet worden ist: Die SPD werde sich «die Rendite der Agendapolitik Gerhard Schröders nicht stehlen lassen». Die Sozialdemokraten dürfen also weiter stolz sein auf Deutschlands Standortvorteile beim Fordern der Arbeitskraftanbieter auf dem Beschäftigungsmarkt. Die Folgen der Agenda 2010 rechnet Steinbrück nicht zu den «Wackersteinen», die er seiner Partei leider «ins Gepäck gelegt» habe. Bei dieser Bemerkung ging es ihm nur um die Eingänge auf sein eigenes Konto. Keineswegs wollte er damit die Extraprofite madig machen, die der Kapitalseite durch die Agenda der regierenden Sozialdemokraten und Grünen erwachsen sind.
Unterm Strich: Wie auch immer die kommenden Bundestagswahlen ausgehen, CDU/CSU, SPD und Grüne sind guter Hoffnung, und niemand muss sich Sorgen machen, die Bundesrepublik stünde im nächsten Herbst ohne Regierung da. Alles andere kommt später, vielleicht sind dann wieder Heulsusen zu konstatieren. Auch wird wohl eine dieser Parteien enttäuscht sein, weil sie nach der Wahl am oppositionellen Katzentisch Platz nehmen muss, denn für eine ganz große Koalition ist die Zeit noch nicht reif.
Das könnte anders werden, wenn die Bundesrepublik im wirtschaftlichen Rating zurückfällt und auch beim Politikexport in Schwierigkeiten gerät. Das wäre der Ernstfall, bei dem Angela Merkel ganz trocken erklären müsste: Jetzt kenne ich keine Parteien mehr, nur noch Deutsche.

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