Chronik eines angekündigten Todes
von Jochen Gester
Kurz vor dem 50.Jahrestag ihrer Firmengründung in Deutschland gab die Adam Opel AG bekannt, dass das Bochumer Werk Ende 2016 geschlossen werden soll. Der Schritt kommt nicht aus heiterem Himmel. Fast könnte man sagen: es ist nur noch die letzte Schicht, die von Bord geht.
Von einmal fast 20.000 Beschäftigten sind auf der direkten Gehaltsliste bei Opel noch 3100 übriggeblieben. Die rastlose Jagd nach Produktivitätsgewinnen ließ eine steigende Produktion auch mit stetig sinkender Belegschaft zu. Mit der Konzentration auf die sog. Kernkompetenzen wurde zudem ein Teil der Belegschaft, zumeist prekarisiert, outgesourced. Die sog. sozialverträglich Abgewickelten fielen lange nicht ins Bodenlose, auch wenn die Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz abnahmen. Auf der Basis des Sozialplans, der 2004 durch einen Streik erkämpft wurde, konnte sich ein 53-jähriger Elektriker nach 28 Jahren Betriebszugehörigkeit den Abgang mit 190.000 Euro versüßen lassen. Das sind für die im Niedriglohnsektor Gefangenen Nachrichten aus einer anderen Welt.
Schon damals stand die Frage: «Kämpfst du noch, oder rechnest du schon?» einer Weiterführung des «wilden Streiks» im Wege. Bis zum angekündigten Schlussakt hat der Mutterkonzern General Motors Welle für Welle diese Strategie mit Erfolg weiterverfolgt. Zudem sorgte GM durch die Aufnahme von Parallelproduktionen dafür, dass die Bochumer nicht länger mit der Unterbrechung der Produktion strategisch bedeutender Komponenten Druck ausüben konnten. Strategische Bedeutung haben lediglich noch die Entwicklungsabteilungen in Rüsselsheim.
Das Geschäft konzentriert sich immer stärker auf die asiatische Region, die Eurozone spielt gerade den Verlustbringer. Die gesamte Automobilindustrie steckt seit über einem Jahrzehnt in einer Überproduktionskrise. 30% bleiben unverkauft, so dass fürs Überleben weniger entscheidend ist, wer die besseren oder schlechteren Autos produziert, sondern schlicht, wem als erstem die Luft ausgeht.
Besonders von Luftnot bedroht sind europäische Kleinwagenhersteller wie Opel, PSA und Fiat. Sie leiden vor allem unter dem Einbruch der Masseneinkommen infolge der EU-Krise. GM nutzt die Situation, um die Belegschaften gegeneinander in Stellung zu bringen: Rainer Einenkel, Betriebsratsvorsitzender in Bochum, rechnet dem GM-Management vor, die Bochumer seien die produktivsten, sprich die, die am meisten Gewinn bringen. Die Rüsselsheimer winken mit ihrem Renommee als bewährte Co-Manager, und die Kollegen im spanischen Zaragoza bieten einen 30%igen Lohnverzicht. «Wer bietet mehr weniger?» – diese Frage ist Musik in den Ohren der Aktionäre, wissen sie doch, dass es so für sie nur mehr werden kann. Bereits 2004 mussten die Bochumer die schmerzhafte Erfahrung machen, dass ihre Rebellion gegen den für alternativlos erklärten Belegschaftsabbau aus den anderen Werken keine Unterstützung fand.
#Die Situation zeigt wie in einem Brennglas, wie wenig die Gewerkschaften heute in der Lage sind, ihre Grundaufgabe zu lösen, die Konkurrenz der Lohnabhängigen durch solidarisches Handeln zu überwinden – trotz großer Gewerkschaftsverbände und von ihnen dominierten Belegschaftsvertretungen an allen europäischen Autostandorten. Diese machen sich zu Anwälten kurzsichtiger Überlebensstrategien von Belegschaftsteilen, die hoffen, durch Verzicht ihre Arbeitsplätze zu retten. Sie wagen es nicht mehr, werksübergreifende Abwehrstrategien zu erarbeiten, zu propagieren und in der Auseinandersetzung zu behaupten.
Doch während die Geburt einer neuen Generation von Basisgewerkschaftern vorerst eher ein Wunschtraum ist, könnte der Impuls für die Störung dieser Chronik eines angekündigten Todes aus scheinbar nichtigen Anlässen wie dem Platzen der betrieblichen Jubiläumsfeier entstehen. Das Opel-Management hatte sie platzen lassen aus Angst, das erwartete Massenpublikum könnte vielleicht Lust auf ein anderes Programm bekommen. Schon auf der Betriebsversammlung erregte Opel-Chef Sedran viel Empörung, weil er die Schließungsnachricht überbrachte wie jemand, der eine Bombe abstellt und danach schnellstens Reißaus nimmt.
Der Betriebsratsvorsitzende Einenkel will jetzt die Zeit vor der angekündigten Schließung nutzen, um die Öffentlichkeit in der Region zu mobilisieren. Das ist wohl die einzig verbleibende Chance, zu mehr als einem etwas versüßten Sozialplan zu kommen. Wenn daraus mehr werden soll als Folklore für den anstehenden Wahlkampf der SPD, müsste es allerdings gelingen, ein gesellschaftliches Bündnis auf die Beine zu stellen, das mehr thematisiert als nur den Verlust eines Werks.
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