Das neue Knechtschaftsgesetz
von George Lakoff
Mitte Dezember wurde im US-Bundesstaat Michigan ein sog. «Right-to-work»-Gesetz verabschiedet. Das Gesetz bestimmt u.a., dass Gewerkschaftsbeiträge nicht mehr obligatorisch sind.
Die republikanische Regierung des US-Bundesstaats Michigan hat ein sog. Corporate Servitude Law («Konzernknechtschaftsgesetz») verabschiedet, also ein Gesetz, das nur den Interessen der Konzerne dient. Das Gesetz besagt, dass die Beschäftigten keine Gewerkschaftsabgaben zahlen müssen, wenn sie einen Job annehmen – sogar wenn sie Arbeitgeberleistungen erhalten, die zuvor von einer Gewerkschaft ausgehandelt wurden.
In der Konsequenz werden viele Arbeiterrechte eliminiert werden, die die Gewerkschaften im Laufe ihrer Geschichte erkämpft haben: das Recht auf einen Lohn, von dem man leben kann, das Recht auf gleichen Lohn für Frauen, das Recht auf zeitlich verschobene Zahlungen wie Renten, das Recht, die Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Und das Recht auf die Bezahlung von Überstunden.
Das Gesetz zielt darauf ab, die Gewerkschaften zu zerstören bzw. sie ineffizient zu machen. Viele Arbeiter, die keine Beiträge zahlen müssen, werden auch keine zahlen, und das wird die Gewerkschaften finanziell austrocknen. Wenn Arbeiter nicht als geschlossene Gruppe verhandeln, werden die Firmen in Zukunft nicht mehr die von der Gewerkschaft erkämpften Rechte gewähren müssen. Die Konzerne werden also sozusagen einzelne Arbeiter vor die Alternative stellen können: «Friß Vogel oder stirb». Kurz gesagt, ist dies Knechtschaft gegenüber den Konzernen: Du tust, was dir gesagt wird, und nimmst, was dir geboten wird.
Doch Gewerkschaften sind nicht nur dazu da, Rechte für Arbeiter zu erkämpfen und zu bewahren, sie erarbeiten und schaffen entscheidende Rechte auch für die gesamte Gesellschaft. Die Gewerkschaften haben das freie Wochenende erstritten, den Achtstundentag, die Gesundheitsversorgung. Durch ihre Politik standen sie im Zentrum des Kampfes für Bürgerrechte und andere Fragen sozialer Gerechtigkeit. Kurz, Gewerkschaften arbeiten nicht nur für ihre Mitglieder. Sie arbeiten für uns alle, einschließlich der Geschäfte: Arbeiter schaffen Profit.
Da demokratische Kandidaten dieselben Ansichten vertreten, würde ein finanzielles Austrocknen der Gewerkschaften auch deren Macht verringern, für demokratische Kandidaten zu werben, das neue Gesetz in Michigan ist also auch ein Gesetz, dass die Republikanische Partei stützt.
Sprache spielt eine Rolle. Die Republikaner verstehen das besser als die Demokraten. Die Republikaner nannten ihr Knechtschaftsgesetz «Right to work» (Recht auf Arbeit), ganz so als ob das Gesetz ein Recht verleihen würde anstatt, wie es tatsächlich der Fall ist, viele Rechte zu beseitigen. Das erste Prinzip politischer und sozialer Kommunikation im Falle eines Konflikts ist: Vermeide die Sprache der anderen. Die Demokraten verletzen dieses Prinzip, indem sie den Namen gebrauchen, den die Republikaner dem Gesetz gegeben haben. Auf diese Weise helfen sie ihnen, denn der Gebrauch der republikanischen Sprache aktiviert republikanisches Denken, nicht nur in bezug auf dieses Gesetz, sondern auf die konservative Ideologie überhaupt.
Fortschrittlich Denkende und Konservative haben unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie. Für fortschrittliche Menschen stützt sich Demokratie auf Bürger, die füreinander sorgen und dementsprechend verantwortlich handeln, mit individueller wie sozialer Verantwortung, die Regierung ist dazu da, Schutz und Ermächtigung zu bieten. Mittels der Regierung zahlen Bürger für öffentliche Vorkehrungen, die allen zugute kommen: öffentliche Infrastruktur (Straßen, Brücken, Spitäler, öffentliche Gebäude), Erziehung, öffentliche Gesundheits- und Sicherheitsvorsorge (saubere Luft und sauberes Wasser, gutes Essen, Schutz vor Krankheit), ein Patentbüro, das Innovationen schützt, ein Justizsystem und Netzwerke/Strukturen für Energie, Kommunikation und Transport. Ohne diese öffentlichen Vorsorgemassnahmen sind wir nicht frei: Die Wirtschaft kann nicht blühen (sie kann nicht mal funktionieren), und wir können kein anständiges und zivilisiertes Leben führen.
Dies ist eine grundlegende Wahrheit über unsere Demokratie: Unsere Freiheit ist auf solche öffentlichen Vorsorgemassnahmen angewiesen, und das Private ist auf das Öffentliche angewiesen. Die Gewerkschaften verteidigen diese Freiheit und schaffen zusätzlich Rechte für die Arbeiter.
Die Konservativen akzeptieren diese Wahrheit nicht, sie nehmen sie nicht mal wahr. Sie tendieren dazu, die Demokratie als Urheberin von «Freiheit» zu sehen – die Freiheit jedes einzelnen nämlich, nur für die eigenen Interessen und das eigene Wohlbefinden zu sorgen, ohne für die Interessen und das Wohlbefinden anderer verantwortlich zu sein, und ohne dass andere für sie verantwortlich sind.
Aus diesem konservativen Blickwinkel sollen die Geschäftsleute die Freiheit haben, ihr Unternehmen so zu führen, dass es maximalen Profit abwirft, jeder einzelne Arbeiter soll für die Möglichkeit, einen Job zu bekommen und zu behalten, allein verantwortlich sein. Aus der Sicht von Konservativen verletzen Gewerkschaften erstens das Recht des Konzernbetreibers, ihren Arbeitern Bedingungen zu bieten, die für das Geschäft am profitabelsten sind, zweitens verletzen sie die Eigenverantwortlichkeit des Arbeiters und drittens die Freiheit zu arbeiten, ohne Gewerkschaftsbeiträge zu zahlen.
Vom fortschrittlichen Standpunkt betrachtet ist das neue Michigan-Gesetz ein Gesetz der Unterordnung unter die Gewalt der Konzerne, während die Konservativen darin ein «Recht auf Arbeit» sehen. Die Sprache bewirkt, dass der konservative Name für das Gesetz, «right to work», in den Gehirnen eine konservative Ideologie evoziert. Je mehr eine Idee im Gehirn aktiviert wird, desto stärker wird sie. Daher verstärkt der Gebrauch des konservativen Begriffs die konservative Ideologie im Denken der Bevölkerung.
Die Presse ist nicht neutral, wenn sie den republikanischen Begriff für das Gesetz verwendet. Allein indem sie diesen Begriff verwendet, unterstützt sie die konservative Ideologie und den republikanischen Grundton des Gesetzes. Die Presse ist nicht ausgewogen, wie Journalisten normalerweise behaupten. Ausgewogenheit würde bedeuten, dass beide Begriffe, «corporate servitude law» und «right to work law» verwendet werden, dass die Unterschiede im fortschrittlichen und konservativen Verständnis des Staates aufgezeigt werden und die Folgen, die das Gesetz haben wird.
Das würde aber auch bedeuten, eine falsche Sicht der Sprache zu korrigieren, die Journalisten viel zu oft verinnerlicht haben, dass nämlich Sprache neutral sei. Machen Sie die Probe aufs Exempel: Versuchen Sie einfach mal, den Begriff «Michigans Konzernknechtschaftsgesetz» zu verwenden und erleben Sie, wie die Konservativen dann Zeter und Mordio schreien. Und hören Sie sich ihr Schreien ruhig an, denn es ist wichtig, den wahren Namen des Gesetzes stets zu wiederholen, damit die Öffentlichkeit versteht, was das Gesetz tatsächlich bedeutet.
George Lakoff ist Professor für Kognitive Wissenschaft und Linguistik an der Universität Berkeley und Buchautor
Quelle: www.huffingtonpost.com.
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