Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2013

Eindrücke einer Arbeitstagung in Berlin
von Raimund Waligora

Nach der Arbeitstagung, die am 12./13.Oktober 2012 im Willi-Münzenberg-Saal des ehemaligen ND-Gebäudes in Berlin stattfand, kann man dies durchaus vermuten.*
Münzenberg, 1889 in Erfurt in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren, wurde bald zu dem journalistisch-propagandistischen Organisationsgenie der deutschen kommunistischen und auch internationalen Arbeiterbewegung. Als Begründer der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), der Kommunistischen Jugendinternationale, vor allem aber einflussreicher Presse- und Verlagsorganisationen ist sein Name untrennbar mit den Kämpfen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts verbunden.
Auch wer sie nicht gelesen hat, kennt sie, die unter seiner Regie entstandenen beiden Braunbücher über den Reichstagsbrandprozess. In seinem etwas degoutanten Ruf als «Roter Hugenberg» spielten Hochachtung und Neid zusammen. Die Nazis, die seine propagandistischen Fähigkeiten kannten und zu Recht fürchteten, setzten ihn auf die erste Ausbürgerungsliste vom August 1933.
Dennoch ist die Erinnerung an ihn seltsam gering. Im Westen erinnerte man sich eher an das spannende Leben, das rastlose und umtriebige Wesen dieses Mannes als moderner Manager und an die mysteriösen Umstände seines Todes (Opfer Stalins oder Hitlers oder Selbstmord aus Verzweiflung?), und im Realsozialismus war er wegen des Bruchs mit Stalin und der damit verbundenen Exkommunizierung aus der KPD eine Unperson. Jemand, der in großer Verzweiflung, in einem seiner letzten Texte die Worte schrieb, «der Verräter, Stalin, bist du», war in der DDR nicht oder nur extrem pejorativ zitierbar.

Der Medienmensch…
Im Jahre 1992 traten zum letzten Mal in Aix-en Provence Forscher und Zeitzeugen zu einer Tagung zusammen.**
Damals stand man noch ganz unter dem Schock des Totalzusammenbruchs des sowjetisch dominierten Teils Europas und der sich daraus ergebenden realpolitischen Veränderungen, die aber auch eine Chance waren, z.B. vermittels der sog. Archivrevolution» die Geschichtsfälschungen der Stalinisten und damit auch das Wirken und die Leistungen Münzenbergs neu zu bestimmen.
Viele der Kommunistischen Parteien des 20.Jahrhunderts sind heute marginalisiert, neue soziale Bewegungen sind im Entstehen und trotz des Niedergangs der Arbeiterbewegung bleibt die Frage: Können wir von Münzenberg noch oder wieder etwas lernen?
Der Vielgestaltigkeit seines Wirkens entsprach das Tagungsprogramm: In verschiedenen Panels wurde der Raum abgesteckt von «Internationalismus und transnationale Solidaritätsnetzwerke», berichtet wurde über «Münzenberg als Protagonist von visual history», über Münzenbergs Rolle in der internationalen kommunistischen Bewegung. Die als Mitorganisatoren und Gäste der Tagung angereisten Wissenschaftler der Universität Abo-Akademie Finnland Kasper Brasken, Fredrik Peterson und Holger Weiss, konzentrierten sich vor allem auf den Internationalismus Münzbergs, wie auch die anderen Panelteilnehmer den weltweiten Blick Münzenberg hervorhoben – seien es die damals schon tobenden Kämpfe im Nahen Osten (1925 hatte Münzenberg einen Aufruf «Gegen die Kriegsgreuel in Syrien» initiiert) oder die antikolonialen Aufbrüche in China und Indien gewesen.
Durchaus schon bearbeitet, aber bei weitem nicht zufriedenstellend dargestellt, ist Münzenbergs Einordnung in die Mediengeschichte. Günter Adge berichtete sehr anschaulich über das Wirken der Gesellschaft Meschrabpom-Film (die bezeichnenderweise 1936 ihre Tätigkeit einstellen musste!), die auf der diesjährigen Berlinale einen eigenen Auftritt hatte.

Anhänger der Volksfront
Der zweite Tag der Konferenz widmete sich vornehmlich Münzenbergs Rolle als Propagandist und Verleger und seinem Verhältnis zu den Intellektuellen, dem Wechselverhältnis zwischen sozialer und künstlerischer Revolution, mithin seinem Beitrag zu einer «Ästhetik des Widerstands».
War schon am Vortag betont worden, wie «modern» Münzenberg im Umgang mit neuen Medien war, damals Rundfunk, Film und Zeitung (man denke nur an die legendäre AIZ), ging es nun um seine Zusammenarbeit mit Künstlern. Münzenberg hätte es wohl weit von sich gewiesen, sich «Intellektueller» zu nennen, er ging durch die Schulen des Lebens, aber er war fähig, alle die an sich zu binden, die er als Verbündete ansah, hier vor allem die vielen linksbürgerlichen Intellektuellen. Er praktizierte als führender KPD- und Kominternfunktionär eine breite Bündnispolitik, weit bevor dies, zumindest für wenige Jahre, nach dem VII.Weltkongress die offizielle Politik der Komitern geworden war. Diskussionen auf der Konferenz zeigten, dass es hier noch Forschungsbedarf gibt, so etwa, ob man Münzenberg wirklich einen «linken Stalinisten» nennen kann.
Der weitere Konferenzverlauf konzentrierte sich auf Münzenbergs Leistungen nach 1933 im Exil. Er, der kein Französisch sprach, organisierte sofort im Pariser Exil den Aufbau von leistungsfähigen Exilverlagen. Unvergessen bleiben seine schon erwähnten «Braunbücher,» die mit Sicherheit der größte propagandistische Erfolg waren, den das antifaschistische Exil je hatte.
In Frankreich wurden ihm zwei schon vorher existierende Verlage zur Verfügung gestellt, die er mit großem Engagement in den Dienst seiner antifaschistischen Aufklärungs- und Propagandaarbeit stellte.
Im Verlag Editions du Carrefour erschienen unter seiner Regie 55 Titel, im Sebastian-Brant-Verlag 19 Titel und in der Edition Prométhée, eher ein Verlag der Komintern und der französischen KP, 66 Titel, die  überwiegend den Kampf gegen den Faschismus und die Abwehr des drohenden Kriegs zum Inhalt hatten.
Sein schon in der Weimarer Republik bedeutender Neuer Deutscher Verlag wurde von den Nazis sofort zerschlagen, die später in der Schweiz zum Verlag umgewidmete Universum-Bücherei und auch die in Moskau tätige «Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR» profitierte von Münzenbergs rastloser Tätigkeit, denn hier wurden auch Texte und Buchblöcke aus Paris übernommen.

Zwischen den Stühlen
Münzenberg hatte andere Vorstellungen von der Volksfrontpolitik als die von Moskau aus agierende KPD-Zentrale. Auch deshalb geriet er zunehmend in praktische und ideologische Zwangslagen. Detailliert war das im gleichen Panel aus dem Vortrag «Die Ulbricht-Verschwörung gegen Münzenberg 1936–1938» von Kasper Brasken zu erfahren.
Der praktische Abbruch der Volksfrontpolitik, beginnend mit den Prozessen in Moskau in den Jahren von 1936 bis 1938, die Entmachtung der Komintern und die Politik der Sowjetunion unter Stalin im Zusammenhang mit den Abkommen mit Hitlerdeutschland 1939 ließen Münzenberg in eine aussichtslose und sehr verzweifelte Lage geraten. So wurde das Jahr 1940 schließlich das Jahr der großen Morde und Selbstmorde. Pars pro toto: Leo Trotzki, Walter Benjamin, Willi Münzenberg. Aber für Stalin, so die Meinung von Historikern, war das Jahr 1940 das «glücklichstes Jahr».
Die unkritische «Freundschaft zur Sowjetunion,» die unter Honecker Verfassungsrang bekam, machte eine wissenschaftlich anspruchsvolle und der Wahrheit verpflichtete Auseinandersetzung mit den Leistungen von Menschen wie Münzenberg unmöglich. Ein ergreifendes «document humain» war der Beitrag des früheren DDR-Literaturwissenschaftlers Dieter Schiller, der von der Unmöglichkeit berichtete, in den Quellen des Instituts für Marxismus-Leninismus, die ein Kollege vorher schon benutzt hatte, weiter zu forschen. «Wenn Münzenberg ein Verräter war, wollte ich doch wenigstens wissen, was er verraten hatte.» Mit diesem Satz stellte Dieter Schiller sein persönliches Dilemma dar. Der umsichtigen Konferenzführung Uwe Sonnebergs war es zu verdanken, dass dieser Beitrag nicht der Zeitglocke zum Opfer fiel.
Allein schon wegen der vielen nur angerissenen und aus Zeitgründen nur verkürzt vorgetragenen Beiträge ist der Veranstaltung eine Dokumentation zu wünschen und einer geplanten Folgekonferenz in zwei Jahren ein ähnlicher Erfolg.

*Europäische Willi-Münzenberg-Tagung. Internationalismus, transnationale Solidaritätsnetzwerke, Antifaschismus und Antistalinismus in den 20er und 30er Jahren.

**Siehe die Dokumentation: Willi Münzenberg (1889–1940). Ein deutscher Kommunist im Spannungsfeld zwischen Stalinismus und Antifaschismus. (Hrsg. Tania Schlie, Simone Roche.) Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1995.

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